Teil des Problems

Ivo Ritzer kritisiert in „Fernsehen wider die Tabus“ die weithin gelobten Serien US-amerikanischer Pay-TV-Sender

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Feuilletons führender deutscher Tageszeitungen sind seit geraumer Zeit voll des Lobes für die Serien des amerikanischen Pay-TV-Senders HBO wie etwa „The Sopranos“, „Deadwood“ oder „Rome“. Und nicht wenige kulturwissenschaftliche Untersuchungen stimmen in diesen Beifall ein. Da greift man mit umso größerem Interesse zu einem Bändchen, das ganz andere Töne anzuschlagen verspricht.

Ivo Ritzer hat es verfasst und unter dem Titel „Fernsehen wider die Tabus“ im Bertz + Fischer-Verlag publiziert. Zwar gesteht er zu, dass es Serien wie „Californication“, „True Blood“ oder „Spartacus“ „ganz gezielt darum geht, mit tabuisierten Inhalten zu spielen, die antithetisch zu Werttraditionen bürgerlicher Gesellschaften stehen“, doch beklagt er, dass sie und andere „vermeintlich transgressive Serien keine ‚Politisierung der Kunst‘ verfolgen“. Warum aber sollte das überhaupt erstrebens- beziehungsweise begrüßenswert sein? Die Ergebnisse solcher Bestrebungen waren künstlerisch selten überzeugend und politisch eher verheerend. Und dabei muss man nicht mal an den Sozialistischen Realismus bildender Künstler, die ‚revolutionären Kurzgeschichten‘ im KPD-Organ „Die roten Fahne“ oder die ‚proletarischen Romane‘ Willi Bredels denken.

Statt also die Kunst zu politisieren, so Ritzer weiter, betrieben die Serien vielmehr umgekehrt eine „Ästhetisierung der Politik“. Ein Vorwurf, der umso schwerer wiegt, als er gemeinhin gegen die im und für den Nationalsozialismus geschaffenen Kunstwerke – aber auch Dokumentarfilme wie etwa Leni Riefenstahls „Olympia“ – erhoben wird. Eine Parallele, die Ritzer allerdings nicht zieht.

Zwar arbeitet der Autor ausführlich mit einem nicht nur an Freud, sondern insbesondere an Lacan und Kristeva geschulten psychoanalytischen Tabu-Begriff, mehr aber scheint ihn die ökonomische Seite der Sache zu interessieren. Und da hat er durchaus auch einige, hierzulande weithin unbekannte Informationen etwa über den rechtlichen Status der Broadcast Networks wie CBS, NBC oder Fox, die – weniger hinsichtlich exessiver Gewaltdarstellungen, aber dafür umso mehr Sexualität, ‚nackte Haut‘ und obszöne Schimpfwörter betreffend – einer scharfen Zensur unterliegen, was bei Pay-TV-Sendern wie HBO nicht der Fall ist.

Nur vermeintlich – und nicht wirklich – transgressiv seien die Serien der Pay-TV-Sender, weil weder ihre „narrativen Strategien“ und noch gar ihre „offenen Darstellungsweisen von Nacktheit, Sex und Gewalt“, sondern nur ihre „die Funktionsweise des Kapitals, das als Grund ihrer Existenz und Horizont ihrer Ökonomie fungiert“, transgressiv sei. Somit sind „die ‚neuen‘ US-Fernsehserien“ für Ritzer gerade ein „Teil des Problems, als dessen Lösung sie sich gebärden“, wie er einen von Karl Kraus an die Psychoanalyse gerichteten Vorwurf paraphrasiert. Unbeantwortet bleibt dabei allerdings die sich den Lesenden vermutlich stellende Frage, als Lösung welchen Problems sie sich denn gebärden.

Ritzers Kritik ist nun zwar nicht ganz von der Hand zu weisen. Doch statt den verworfenen Serien nun „‚harmlosen‘, das heißt jugendfreien und ‚unterkomplexen‘, pseudo-narrativen Network-Serien“ den Ehrentitel „progressiv“ zu verleihen, ist bei allem argumentativen Bemühen des dialekisch beschlagenen Autors auch nicht recht überzeugend.

Titelbild

Ivo Ritzer: Fernsehen wider die Tabus. Sex, Gewalt, Zensur und die neuen US-Serien.
Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2011.
135 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783865057075

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