Nur eine Liste

Chester Browns „Ich bezahle für Sex“ – oder über die Gemeinsamkeiten von Kunst und Literatur

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 1960 in einem Vorort von Montreal geborene Comiczeichner Chester Brown ist Ende der 1980er-Jahre mit seiner Graphic Novel „Ed the Happy Clown“ bekannt geworden. Seine den Storys von Robert Crumb nahestehenden Arbeiten beinhalten einen einfachen, direkten, manchmal fast holzschnittartigen Stil, der in der Kombination mit den Texten immer einen unmittelbaren Effekt erzeugt. In dem vorliegenden Buch „Ich bezahle für Sex“ wird der Leser mit den autobiographischen Aufzeichnungen Browns konfrontiert, mit einer Art gezeichneten Tagebuch, das die Begegnungen des Protagonisten mit Prostituierten beschreibt.

Brown geht chronologisch vor. Er listet die Begegnungen nacheinander auf, versucht die Besonderheiten der „Beziehungen“ zu den Huren aufzuzeichnen. Letztendlich ergibt sich für den Leser aber nur eine Liste von Namen, deren Anfang auf den Juni 1996 datiert ist. Der Protagonist beginnt mit seinen Berichten, nachdem er von seiner Freundin den klassischen Satz hört: „Wir müssen reden“. Es folgt eine Trennung. Die emotionale Befindlichkeit des Protagonisten stellt sich folgendermaßen da: „Ich habe zwei widersprüchliche Verlangen… das Verlangen nach Sex und das Verlangen, KEINE neue Beziehung mehr einzugehen“. Brown schildert ab diesem Zeitpunkt einerseits die unterschiedlichen Kontakte und Beziehungen zu Prostituierten, andererseits aber auch die Bemühungen, sein eigenes Verhalten zu kommunizieren. Was immer man von seinen Statements zu Beziehungen, Ehe et cetera halten mag, so beschreibt er doch einige Verhaltensweisen, die in den westlichen Gesellschaften von Teilen der Bevölkerung als nicht unbedingt moralisch integer gewertet werden. Die Ablehnung seiner „Beziehungen“ zu den Huren wird auch in seinem Buch thematisiert. Einem Kumpel gegenüber erwähnt er etwa seine Gespräche mit den Huren. Dieser antwortet: „Warum redest du überhaupt mit ihr? Du bist zum Bumsen dort, nicht zum Reden“.

Dabei bemüht sich Brown, die Position seines Protagonisten deutlich zu machen: „Also ist bezahlter Sex kein leeres Erlebnis, wenn man die richtige Person für Sex bezahlt“. Ob man den Argumentationen der Hauptfigur folgen kann oder nicht, ob man mit Browns Ansichten zur Prostitution übereinstimmt, sie vielleicht etwas differenzierter sieht oder sogar grundsätzlich ablehnt – dies alles verweist auf die eigentliche Qualität des Buches: Es gibt in kurzer Zeit einen Einblick in das weitgehend tabuisierte Thema: „Ich bezahle für Sex“. Zwar wird auf einer abstrakten Ebene eine Metadiskussion geführt – zu der Brown übrigens in einem detaillierten Anhang interessantes Material, dezidierte Kommentare und Anmerkungen liefert –, aber sobald es um die Frage geht, wer „bezahlten Sex“ in Anspruch nimmt, wenn also die Perspektive des Freiers berücksichtigt wird, ist sofort der „moralische Hammer“ zur Hand und Beteiligte werden stigmatisiert.

Damit ist Chester Browns Buch ein idealer Einstieg in eine Diskussion, die wahrscheinlich nicht stattfinden wird. Dass er mit der Popularisierung des Buches ebenfalls Schwierigkeiten haben wird, ist abzusehen. Trotz einiger persönlicher Vorbehalte sei „Ich bezahle für Sex“, das ein interessantes Gegenstück zu seinem 1992 erschienenen „The Playboy“ ist, dringlich empfohlen. Es gab schon bei der „Lektüre“ und auch beim Schreiben dieses Textes Anlass zu vielfältigen Diskussionen. Und was kann man eigentlich mehr von einem Buch erwarten? Robert Crumb schreibt lobend im Vorwort: ‚Ich bezahle für Sex ist ein großartiger Comic. Vielleicht Chester Browns bisher bestes Werk.‘ Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

Titelbild

Chester Brown: Ich bezahle für Sex. Aufzeichnungen eines Freiers.
Übersetzt aus dem Englischen von Stephan Pörtner.
Walde + Graf Verlag, Zürich 2012.
322 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783037740453

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