Ein Herz wie ein Stier
Anhand eines dubiosen Professorensterbens führt Carina Nekolny in ihrem bulgarischen Winterkrimi „Fress-Schach“ den „Abschaum einer kranken Gesellschaft“ vor
Von Andreas Tiefenbacher
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseBei „Fress-Schach“ geht es darum, „so viele Figuren wie möglich zu schlagen, […] bis man einen richtigen Figurenfriedhof vor sich stehen“ hat. Zweistellige Opferzahlen sind da vorprogrammiert. Im gleichnamigen „Winterkrimi“ von Carina Nekolny kommen solche zwar nicht vor, doch „Fress-Schach“ gespielt wird auch hier. Schließlich sterben in kurzer Zeit vier Menschen: drei, weil man ihnen („mit der Absicht, ein Herzversagen zu provozieren“) eine hohe Dosis eines bestimmten Giftes verabreicht; der Vierte, ein Chauffeur und drittklassiger Krimineller, weil er vom falschen Teller gegessen hat.
Während man ihn später angezogen und mit dick geschwollener schwarzer Zunge auf dem Parkplatz des Ministerratshotels in Bansko findet, in dem sich österreichische und bulgarische WissenschaftlerInnen auf dem so genannten „Wintermeeting“ mit den „Historischen Wurzeln der Transformation“ auseinandersetzen und über „den Unterschied zwischen südosteuropäischen und westeuropäischen Familienformen“ streiten, sind die drei Professoren zum Zeitpunkt ihres Ablebens nackt, tragen ein glückseliges Lächeln im Gesicht und haben einen steifen Penis.
Verantwortlich für das „mächtige Ding zwischen ihren Beinen“ ist „das Mittel“, das weder rezeptpflichtig noch eigentlich „ein richtiges Gift“ ist, sondern vielmehr zur Gruppe der Aphrodisiaka oder Aufputschmittel gehört.
Wer es den Herren verabreicht hat und aus welchem Grund, bleibt lange offen. Geschickt gelingt es der Autorin über Aussparungen, wechselnde Perspektiven und eine mehrschichtige, zeitlich einmal vor- und dann wieder zurückspringende Erzählweise Spannung aufzubauen und dauerhaft zu konservieren. Denn enthüllt wird in kleinen Portionen. Und obwohl neben dem Kommissar auch eine „detektivische Dilettantin“ am Werk ist, wird (frei nach dem Motto: „Alles Konstrukt und Fragment“) keine restlose Aufklärung geliefert.
Die gesellschaftskritischen Töne sind auch so schon deutlich genug. Vor allem was die Parität der Geschlechter anbelangt, steigt einem dieser kurzweilig zu lesende Roman gehörig auf die Füße. Denn wie es den bulgarischen Frauen darin ergeht, ist bemitleidenswert. Selbst wenn sie ein abgeschlossenes Studium haben, bleibt den meisten (zumal Männer sie in allen Dingen blockieren) nichts anderes übrig, als sich auf die „traditionelle Rolle als Hausfrau und Mutter“ zu beschränken. Und in einer Zeit der „Anarchie im Sinne von Rechtsvakuum, im Sinne von: Wer Geld hat, hat die Macht“, in der (wie der Klappentext verrät) „politische und gesellschaftliche Umbrüche das Land beuteln“, lässt es sich nicht verhindern, dass sie – „ausgezehrt von Arbeit, Kindern und dem Leben im Kampf um die Subsistenz“ – mit 40 aussehen „wie ihre eigenen Großmütter“.
Da: rackernde, unfair behandelte Frauen; dort: „nichts als Weiber im Kopf“ habende und mit allen Mitteln ihre Karriere vorantreibende Männer, die – „sobald sie sich in Sicherheit [wiegen] – die Sau raus“ lassen.
Dementsprechend handelt es sich auch bei den drei ums Leben gekommenen Mittsechzigern, wie man nach und nach erfährt, um alles andere als um integre Personen: Der eine ist „ein Meister der Intrige“, der andere handelt unter der Hand mit Kunstschätzen; und der dritte hat keine Hemmungen, jemanden die Karriere zu „versauen“.
So richtig traurig über ihren Tod sind in der „etwa dreißigköpfigen Gruppe“ der Tagungsteilnehmer daher die wenigsten. Ein paar machen sich sogar verdächtig; wie etwa Professor Zehetner, der „mutterseelenallein im Wald“ herumrennt. Andere sind es, weil ihnen ein problematisches Verhältnis zu den Opfern nachgewiesen werden kann; wie Gastgeber Klimov, der von zwei der drei getöteten Professoren „unter Druck gesetzt“ worden ist, weil er sich angeblich „seine Habilitation erschlichen“ hat. Oder wie Slavka Doskalova, der sie als „prowestlicher Frau im Wissenschaftsbetrieb […] das Leben schwer gemacht“ haben.
Für Kommissar Kolarov entpuppt sich die Situation als relativ unübersichtlich. Denn er soll „eine Mordserie klären“, weiß aber nicht, „wo er ernsthaft zu suchen beginnen“ soll. Er hat zwar „viele Indizien“, aber keine einzige konkrete Spur. Dazu kommt, dass er es hasst, „sich etwas aufzuschreiben“, was man der Autorin ganz und gar nicht vorwerfen kann, die nicht nur auf Basis eines umfangreichen Hintergrundwissens, sondern auch noch aus verschiedenen Perspektiven sehr einfallsreich und witzig erzählt, ohne je verwirrend oder kompliziert zu werden. Außerdem dient ein Zeitraster „als Ariadnefaden durch das Tatsachen- und Textgewebe“.
Neben diesem kurzen Abriss der Ereignisse finden sich im Anhang auch recht unterhaltsam zu lesende Charakteristiken der Protagonisten. Des weiteren ist der Roman in feine Häppchen portioniert, die an keiner Stelle überfrachtet erscheinen. Man stößt beim Lesen ständig „auf interessante Dinge“.
Glücklicherweise kann es einem dabei nicht so ergehen wie dem Teilzeitlektor Peter Schwarzacher, der durch seine private Schnüffelei und sein Gieren nach dem „ultimativen Sex“ am Ende ganz schön in Bedrängnis gerät; meint er doch tatsächlich, dass seine Brust „unter Tonnen und Abertonnen von Schutt begraben“ liegt, „eine eiserne Faust“ ihn hält und sein Herz zerquetscht. Man sollte eben „nie jemanden unterschätzen“. Schon gar keine Frau. Auch wenn noch so oft von ihr behauptet wird, sie sei „kein kämpferischer Mensch“.
Das ist aber nur eine der Lehren, die man aus Carina Nekolnys fein gesponnenen Roman über das traditionelle „Bansko Winter Meeting […] mit seinem dubiosen Professorensterben“ ziehen kann. Eine weitere unbedingt zu nennende wäre: Wer „ein Herz [hat] wie ein Stier“, dem macht auch Gift nichts aus.
Doch so ein starkes Herz haben natürlich die wenigsten. Und schon gar nicht Kommissar Kolarov, der im Grunde „ein unverbesserlicher Romantiker“ ist. Denn obwohl er „tagtäglich mit dem Abschaum einer kranken Gesellschaft zu tun“ hat, glaubt er an das in jeder menschlichen Seele versteckte Gute. Das macht ihn sympathisch. Und es wäre eine Freude, ihm wieder begegnen zu dürfen.
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