„Beuys war hier!“

Gesammelte Texte über Reisen und die heimische Fremde von Axel Barner

Von Markus BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die erste Hälfte dieses Buches besteht aus sehr gelungenen, meist kürzeren Texten über Reisen in Afrika, Indien und dem Nahen Osten. Ausführlicher ist ein „Tagebuchbericht“ aus der Türkei – „durchs wilde Kurdistan“ nach Hakkari auf den Spuren des Film-Klassikers „Ein Winter in Hakkari“. Es sind atmosphärisch eindringliche Texte mit vielfacher Thematisierung der Differenz zwischen Beobachter und Beobachtetem, die dem Lesenden aber nicht aufdringlich serviert wird, sondern beim Lesen sich wie von selbst einstellt.

Den unerwarteten Beginn des Bandes macht allerdings ein klaustrophobisches Erlebnis – in Dänemark –, das die Frage nach den heutigen Bedingungen von Reisen drastisch vor Augen führt. So viel sei verraten, dass der Autor selbst das Erlebnis in einen allgemeineren Kontext stellt und festhält: „Die Reise hatte mit einem Schrecken begonnen, mit dem Gegenteil dessen also, was ich mir davon erwartet hatte. […] Nicht die Freiheit des Fortgehens hatte ich erlebt, sondern die Angst, in einem finsteren, engen Raum eingeschlossen zu sein.“ Dieser Kontrast von realen Reisen zu den erhöhten Erwartungen an die Ortsveränderung kann als Teil jenes Syndroms der Fremdheit gelten, das heute so häufig thematisiert wird – wobei zugleich eine gestiegene weltweite Kommunikation am Abbau von fremd erscheinenden Mustern arbeitet.

In der distanzierten und sich möglichst wenig von den Realitäten in anderen Ländern überwältigen lassenden Erzählweise Barners kommt die Fremdheit nicht direkt zur Sprache, sondern ist eher indirekt in vermittelten Andeutungen der Überraschung, Enttäuschung oder des Sarkasmus erkennbar. In dieser Indirektheit liegt ein großer Reiz der Sprache und der narrativen Anlage der Texte, die durch ihre Distanzierung Fremdes auch als Eigentliches erkennen lassen. In gewisser Weise gewinnt die Darstellung so eine komplexe ‚Objektivität‘, was das Verhältnis von Erzähler und Erlebtem/Dargestelltem betrifft, da die Affenscharen in den Städten Indiens oder die fehlende Infrastruktur in Burkina Faso nun einmal Teil einer vom einzelnen Reisenden kaum zu beeinflussenden Realität darstellen, aber in Barners Texten weder einem aus Überheblichkeit gespeisten Lamento noch einer alles desinteressiert akzeptierenden Gleichgültigkeit anheim fallen.

Natürlich trifft diese Nah-Perspektive nur für die individualistische Art des Reisens zu, die Barner praktiziert, nicht für die industrielle Verfrachtung von Menschenmassen zu „touristischen Highlights“ (Die greift ja massiv in die jeweiligen Regionen ein.). Wenn auch große Entfernungen mit dem Flugzeug bewältigt werden, so sind es in den Ländern eher die ortsüblichen Reisemittel wie Zug und Kleinbus, mit denen sich Barner bewegt. So trägt ein Text den Titel „Winterliche Fahrt mit dem Taurus-Express von Instanbul zur syrischen Grenze“ oder wir lesen über die besonderen Reize einer tagelangen Fahrt mit Sammeltaxis und Minibussen („Dolmusch“) im Osten der Türkei.

Zur erwähnten distanzierten Erzählweise gesellt sich eine leise Ironie über das Fehl-am-Platze-Sein des sich fremd fühlenden Reisenden. Etwa wenn man im Februar wegen des in Algier fehlgeleiteten Gepäcks in Bamako in Pulli, Stiefeln und Wollstrümpfen herumlaufen muss, während die Einheimischen angesichts der Hitze Badelatschen und T-Shirts bevorzugen. Barners Reisetexte sind voll von feiner Ironie und manchmal auch deutlicheren Sarkasmen. Aber es wird auch offen ausgesprochen, dass die wie auch immer entstandenen Erwartungen nicht immer mit den Realitäten übereinstimmen können: „Hakkari-Stadt, das hatten wir gesehen, war keine Reise wert.“ Der Gewinn liegt für den Reisenden wie den Lesenden in den Umwegen: „Aber die Berge ringsum waren von dramatischer Schönheit.“ Und dem Bildermenschen unter den Lesenden sind die Illustrationen von Annette Beisenherz eigener Zugang zu dem Erlebten.

Im zweiten Teil des Bandes, der mit Texten zu Rumänien beginnt, wechselt das „Ich“ zu einem fiktiven Erzähler, jedenfalls scheint dieses „Ich“ mit zu deutlich fiktional-literarischen Lizenzen ausgestattet, als dass wir es mit dem Autor identifizieren könnten. In einigen Texten taucht es garnicht erst auf, sondern ein Erzähler berichtet über besondere Gepflogenheiten wie die kuriose „Akatiste für die NATO“ oder er begibt sich in die Rolle eines Einheimischen, um den Leser über bestimmte Vorgänge zu informieren. Eindeutig fiktional ist auch die Geschichte eines deutschen Redakteurs, der auf die Meldung von makabren Traditionen im Umgang mit „Untoten“ sich nach Rumänien begibt und eine Fernsehreportage produziert.

Diese literarische Prägung nimmt gegen Ende des Bandes zu; Gedichte und Ereignissplitter aus Moabit treten in gedankliche Spannung zu den ersten Reisetexten. „Mein erster Gedanke: Beuys war hier! Auf dem Gehweg liegen: drei zerknautschte ‚Schultheiß‘-Dosen, ein Pappteller mit Ketchupresten und ein paar fettigen Pommes Frites in einem umgestürzten Einkaufswagen aus verchromtem Drahtgeflecht vom Aldi-Markt, daneben getrocknete Hundeköttel. Eine soziale Plastik. Beuys war hier!“ Diese Splitter lassen in Berlin das Ungewöhnliche, Banale und Interessante eines Alltags aufblitzen, der, wenn auch auf ganz andere Weise, auch in Hakkari oder Jaipur sich abspielt und ‚Exotik‘ produziert – und selbst Gegenstand literarischen oder gar touristischen Interesses werden kann.

Zur Zeit lebt Barner in Afrika, eine weitere Sammlung seiner abgeklärten Reiseminiaturen wäre für Reise(literatur)-Interessierte sicher eine willkommene Lektüre.

Titelbild

Axel Barner: Umwege nach Moabit. Reiseminiaturen.
Illustriert von Annette Beisenherz.
Zwischenbereiche Verlag, Berlin 2010.
192 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-13: 9783938069059

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