Das Ende der Heldenzeit

Dirk Blotzheim untersucht Ernst Jüngers Frühwerk

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Jünger-Literatur boomt und wiederholt sich - kaum neue Erkenntnisse, wohin man sieht. Immerhin erscheinen recht flott geschriebene Synthesen, die einzelne Aspekte der Jünger-Rezeption vertiefen und die zuhandenen Erkenntnisse geschickt bündeln. Eine davon ist Dirk Blotzheims Studie "Ernst Jüngers 'Heldenehrung'", die sich vorgenommen hat, "Facetten in seinem Frühwerk" zu untersuchen.

Umstandslos und in Sieben-Meilen-Schritten leitet der Autor den Begriffsinhalt des "Helden" und die Symbolik des "Heroismus" von der "Ilias" her und führt sie in die Gegenwart, nicht ohne unterwegs ein paar schöne Fundstücke aufzulesen. So kann er zeigen, daß bereits Johann Gottfried Herder das Ende der "Heldenzeit" gekommen sah: "Gewiße Tugenden der Wißenschaft, des Krieges, des Bürgerlichen Lebens, der Schiffahrt, der Regierung - man brauchte sie nicht mehr: es ward Maschiene, und die Maschiene regiert nur Einer."

Allzu innovativ musste Ernst Jünger nicht sein, um von dieser Einsicht Herders zu seinem "Typus" des Soldaten oder des Arbeiters zu finden, zum Leitbild des nur noch "funktionierenden" Subjekts, das selber Maschine ist oder - wie im Bilde des Ein-Mann-Torpedos - mit der Maschine verschmilzt. Das Ideal des Kriegers, wie es noch zu Beginn des Ersten Weltkrieges beschworen wurde, erwies sich zwar ex post als Anachronismus, gleichwohl versuchten noch viele, es zu "leben". Nur schwer gelang der Kriegsliteratur der Abschied von dieser längst überholten Kollektivsymbolik.

Dass dies auch für Ernst Jünger gilt, versucht Dirk Blotzheim in seiner Studie zu zeigen. Im Zentrum der Darstellung steht die Werkphase der zwanziger Jahre, darunter "In Stahlgewittern" (1920), "Der Kampf als inneres Erlebnis" (1922), "Sturm" (1923), "Das Wäldchen 125" (1925), "Feuer und Blut" (1925) und "Das Abenteuerliche Herz" (1929). In diesen Werken, so die bekannte These, versuche der Autor, "dem Krieg einen Sinn abzugewinnen". Jüngers biographische Stationen werden zu "eminent wichtigen" erklärt ("Autor und Icherzähler sind identisch"), seine Werke den "Selbstzeugnisse[n]" gleichgestellt und als Etappen auf dem Weg ins eigene Heldentum interpretiert. In den "Stahlgewittern" betreibe der Autor "Selbstheroisierung", auch auf die "Gefahr einer Verfälschung des Erlebten" hin. Bereits in Jüngers "Flucht" in die Fremdenlegion (1913) manifestiere sich sein Beschluss, "es den Helden seiner Bücher" (gemeint sind Werke wie "Simplizius Simplizissimus" oder "Don Quijote") gleichzutun und "das große Abenteuer zu suchen".

Dirk Blotzheim referiert einige Gemeinplätze über die Kriegsbegeisterung bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges, sowie einige weithin konsensfähige Befunde der Sekundärliteratur, darunter den von Wojciech Kunicki, daß Jüngers Autorschaft als "Fortsetzung seiner heroischen Lebensführung" verstehbar sei. Blotzheims Ausführungen zu dem oben genannten Frühwerk erschöpfen sich weitgehend in der Wiedergabe der neueren Sekundärliteratur; Versuche, sie zu diskutieren oder zu verifizieren/falsifizieren, kommen über den Vorsatz kaum hinaus. Zitate aus den Primärtexten dienen dem Verfasser zur Illustrierung seiner Thesen, bleiben jedoch weitgehend uninterpretiert. Blotzheim liest Jüngers Kriegsapologie "Der Kampf als inneres Erlebnis" als Versuch, dem Krieg einen "definitiven Sinn" abzugewinnen und führt dazu folgende Belegstelle an: "So bin ich bemüht, in diesem Buche, in dem ich mich mit dem Krieg abfinden will, ihn zu betrachten als etwas, das bestand und noch in uns besteht, ihn aus aller Vorstellung zu schälen als eine Sache für sich." In der Tat ein bemerkenswertes Zitat, jedoch interpretierbar und interpretationsbedürftig. Denn was heißt hier "abfinden", was bedeutet, der Krieg bestehe "in uns", was impliziert die Formulierung, der Krieg sei "eine Sache für sich"?

Wo die Interpretation recht eigentlich beginnen müßte, ist der Verfasser bereits am Ende seines Lateins. Arbeit am Text ist seine Stärke nicht, wie schon die umstandslose Identifizierung von Sprech- und Kommunikationssituation und von Autor, Erzähler und Figur zeigt, und diese Schwäche ist generell mit verantwortlich dafür, dass in der gegenwärtigen Jünger-Forschung keine relevanten Fragestellungen mehr entwickelt und kaum neue Forschungsergebnisse erzielt werden. Unser Wissen erweitert sich weitgehend nur durch die zutage tretenden Briefwechsel und sonstigen Dokumente aus dem Nachlass.

Dabei lägen neue Fragestellungen auf der Hand. So wird die "heroische" Welt des Krieges und der Kriegsliteratur traditionell der "bürgerlichen" Welt des Friedens und der konfliktscheuen Saturiertheit des "Bürgers" gegenüber gestellt. Folglich wäre zu fragen, in welche Aporien diese Opposition zu Beginn des 20. Jahrhunderts führen muss, wenn eine Europas Grenzen übersteigende Homogenisierung des Bürgertums erfolgt ist und die Welt, wie Jünger glaubt, in einen "Weltbürgerkrieg" eintritt, der eine Situation herbeiführt, in der jeder Bürger potentiell Krieger und jeder Krieger automatisch Bürger ist, so dass sich im "heroischen" Kampf zugleich Krieger und Bürger gegenüber stehen. Eine solche Frage erfordert natürlich eine genauere Begriffsbestimmung anhand Jüngers Frühwerk, und es reicht nicht mehr aus, den Begriff des Heroischen von der "Ilias" herzuleiten. Insofern führt Dirk Blotzheims Studie zu rasch in die Sackgasse der Motivforschung, die das funktional Verschiedene nur über den Kamm des äußerlich Ähnlichen zu scheren vermag. Blotzheim fällt hier hinter die Arbeit von Armin Steil zurück, der bereits 1984 die mythischen Konzepte des "Kriegers" und des "Führers" als konstitutive Aspekte "bürgerlicher Subjekthaftigkeit" zu beschreiben und mit den sozialen Realitäten des "Kleinbürgers" zu konfrontieren wusste. Von hier ließen sich neue Einsichten in alte Jünger-Texte gewinnen.

Im vierten Kapitel geht es Dirk Blotzheim darum, Jünger Widersprüche in seinem Heroismus-Konzept nachzuweisen. Hier ist seine Studie am ergiebigsten, denn hier wird textnah argumentiert. Anhand von tagebuchhaften Eintragungen zu einzelnen Kampfhandlungen wird die Frage aufgeworfen, in welchem Spannungsfeld Jünger seine Entscheidungen getroffen habe: verantwortungsbewußt/leichtsinnige, human/inhuman, konsequent/inkonsequent, eigen- oder uneigennützig. Die "Heroismus-Konzeption" der "Ilias" wird zugunsten eines individualistischen und in sich widersprüchlichen Konzepts aufgegeben, wie es in der Sinnstiftung des Sinnlosen zum Ausdruck kommt. Zu Widersprüchen neigt freilich auch der Argumentationsgang des Verfassers, der auf der einen Seite die militärischen Zwänge darstellt, denen der Frontoffizier unterliegt, andererseits aber von der "unabhängigen anarchischen Lebensführung" spricht, die dem Helden "fernab bürgerlicher Restriktionen und Sorgen" geboten werde. Von dieser anarchischen Unabhängigkeit aber, dies zeigen die Kampfhandlungen ebenso wie die Schlaglichter aus der Etappe, kann in Jüngers Texten allenfalls geträumt werden; bürgerliche Restriktionen und militärische Pflichten dominieren die Kriegerromantik in den Schützengräben. Es ist nicht so, dass Blotzheim dies nicht auch sähe, doch argumentiert er vielfach mit dem Ungeschick des Debutanten, der seine Behauptungen überzieht und damit den Boden dessen verlässt, was durch Textbefunde und/oder das kulturelle Wissen noch gedeckt ist. So vertritt er die irrige Auffassung, dass der Staat im Krieg alles (oder "nahezu" alles) erlaube, "was dem Einzelnen ansonsten untersagt" bleibe. Auch davon kann nicht die Rede sein, und es macht einen Unterschied, ob etwas verboten ist oder aber im Kriegszustand nicht geahndet wird, Plünderungen beispielsweise, Vergewaltigungen, Mord.

Das letzte Kapitel ist dem Topos des Soldaten als Kriegstechniker gewidmet. Das Heroismus-Konzept und der Maschinenpark des modernen Krieges scheinen unvereinbare Größen zu sein und das "Walzwerk der Front" keinen individuellen Helden mehr zuzulassen. Die Technik selbst widerspricht dem heroischen Kampfmodell Mann gegen Mann, und es entsteht ein "neuer Mensch", der die Technik beherrscht und mit ihr zu nie gekannter Schlag- und Zerstörungskraft findet. Dies ist, wie Blotzheim zurecht betont, ein elitäres soldatisches Modell, das später, 1932, durch ein egalitäres Modell, den Typus des "Arbeiters" abgelöst werden wird.

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Dirk Blotzheim: Ernst Jüngers >Heldenehrung<. Zu Facetten in seinem Frühwerk.
Athena Verlag, Oberhausen 2000.
172 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-10: 3932740629

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