Auf der Suche nach dem Dopamin
Über Karl Ove Knausgards Roman „Lieben“
Von Peter Mohr
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Einer der springenden Punkte bei diesem Schreibvorgang war, dass ich mich wirklich einschloss in eine stille Kammer und nicht daran dachte, was darauf folgen konnte“, hatte der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgard in einem „Deutschlandradio“-Interview über den nun in deutscher Übersetzung vorliegenden zweiten Band seines monumentalen autobiografischen Erzählzyklus erklärt.
Der 44-jährige, in Malmö lebende Autor hat in kurzer Zeit ein insgesamt sechs Bände und rund 3.000 Seiten umfassendes radikal-autobiografisches Werk vorgelegt, das inzwischen in 14 Sprachen übersetzt wurde. Nach dem Auftaktband „Sterben“, in dem Knausgard das Dahinsiechen seines alkoholkranken Vaters beschrieben hat, geht es in „Lieben“ vorrangig um den ganz normalen Familienalltag eines Schriftstellers, seiner Frau Linda und den Kindern Wanja, Heidi und John.
Der Leser erlebt minutiös beschriebene Familienausflüge, Alltagsbeschwernisse wie Windelwechseln und Einkäufe, leidet mit an den Kreativitätskrisen des Künstlers, die – gepaart mit Anflügen einer midlife crisis – zu außerordentlich aggressivem Verhalten in der Partnerschaft und (so steht es zu vermuten) auch zu einem ungesunden Maß des Alkoholkonsums führt.
Die Grenzen zwischen dem Erzähl-Ich Karl Ove und Autor Knausgard verschwimmen völlig. Diese radikal-autobiografische „Stimme der eigenen Persönlichkeit“ fesselt den Leser auf mysteriöse Weise an den Text. Knausgard betreibt eine intensive und tiefgehende Selbstbefragung. Er entlarvt eigene Fehler, macht sich bisweilen selbst zum Gespött der Leser, etwa als er in einer Babytanzgruppe eine peinlich-alberne Vorführung gibt. Diese Methode reicht bis an die Grenzen der Selbstzerfleischung. Nicht überhörbar ist überdies ein leicht misanthropisch-anarchistischer Tonfall. Knausgard hadert mit Gott und der ganzen Welt und wandelt dabei erzählerisch stets auf dem gefährlich schmalen Grat zwischen kunstvoller Zeitdehnung und ermüdender Langatmigkeit.
In seiner subtilen Selbstbespiegelung entsteht das Bild eines abweisenden, introvertierten Egozentrikers und dauernörgelnden Besserwissers – keine Figur, mit der man einen geselligen Abend im Biergarten verbringen möchte. Auch die beschriebene „Flucht“ von Bergen ins Nachbarland Schweden hat dem Erzähl-Ich keinen neuen positiven Schub verliehen.
„Das Leben ist keine mathematische Größe, es hat keine Theorie, nur Praxis“, heißt es treffend im vorliegenden Band, in dem es um nicht weniger geht, als um die radikale Suche eines Schriftstellers nach dem Lebenssinn. Das liest sich über weite Strecken sehr schmerzhaft – ein klein wenig wie masochistische Prosa. Insofern wirkt der norwegische Originaltitel „Mein Kampf“ durchaus sinnstiftend. So trägt Knausgards opulente literarische Suchbewegung auch selbsttherapeutische Züge. Es geht um den unsichtbaren Kampf gegen die „bösen Geister“ des Mainstreams, gegen die fortschreitende Verfinsterung des eigenen Blicks – ein gewagter künstlerischer Versuch, das Glückshormon Dopamin im eigenen Körper zu reaktivieren.
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