„Er braucht mich“

Bärbel Reetz’ Biografie erzählt von „Hesses Frauen“

Von Marc ReichweinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marc Reichwein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seinem ersten Biografen, Hugo Ball, hatte Hermann Hesse 1926 noch genaue Vorgaben gemacht: „Meine erste Ehe steht fern genug, um, wenn nötig, kurz gezeigt werden zu können. Meine zweite dagegen ist noch nicht diskutabel.“

50 Jahre nach Hesses Tod diktiert niemand mehr, wie mit den Frauen an seiner Seite zu verfahren ist. Allenfalls der Zeitgeist, denn biografische Recherchen zu Dichterfrauen sind zu einem beliebten Sachbuch-Genre geworden: Bücher wie „Christiane und Goethe“ oder „Frau Thomas Mann“ wussten in den letzten Jahren nicht zuletzt auch Personality-Interessen an den großen Figuren unserer Kulturgeschichte zu bedienen. Und was wäre die Botschaft von Studien wie „Die intellektuelle Ehe“ (Hannelore Schlaffer)? Werkspezifisches und Privates darf heute viel selbstverständlicher als Nexus gedacht werden, als dies zu Hochzeiten des Biografismus-Verdikts akzeptiert worden wäre.

Wenn Bärbel Reetz nun ein Buch über „Hesses Frauen“ vorlegt, dann schließt sie im Dickicht der Hesse-Biografien tätsächlich noch eine Lücke. Eine Gesamtdarstellung, die auf Hesse in seinen Paarbeziehungen fokussiert, gab es bislang nicht.

Dreimal war der Schriftsteller verheiratet. Mit seiner ersten Frau Mia (eigentlich: Maria) Bernoulli, einer Basler Fotografin, die ihr Handwerk als eine der ersten Frauen überhaupt beim Berliner Lette-Verein gelernt hatte, hatte er die drei Söhne – und zumindest zeitweise so etwas wie klassisches Familienleben. Eine Kurz-Ehe führte er mit Ruth Wenger. Die Tochter aus der gut situierten Schweizermesser-Dynastie heiratete ihn sehr jung, fast noch als Mädchen – und musste bald feststellen: „Er verstand nichts von der Liebe, weder von der seelischen, noch von der körperlichen.“

Erst mit seiner dritten Frau Ninon lebt Hesse ab 1931 das Modell einer „Zweisiedlerliebe“ dann konsequent: Über Ninon, geborene Ausländer, geschiedene Dolbin, war und ist von allen Hesse-Frauen zweifellos das Meiste bekannt: Die aus Czernowitz stammende Kunsthistorikerin und Archäologin hatte dem Schriftststeller bereits als 14-jährige Schülerin glühende Verehrungsbriefe geschrieben. Sie sah sich für ein Leben an seiner Seite bestimmt: „Er braucht mich“. Wer sich über ihre Herkunft und intellektuelle Biografie einschlägig informieren will, greift nach wie vor auf Gisela Kleines Doppelbiografie zurück („Ninon und Hermann Hesse. Leben als Dialog“). Hesses Korrespondenzen mit Ruth und Ninon liegen im Suhrkamp-Verlag vor; der Großteil seiner Post an Mia hat sich hingegen nicht erhalten.

Was leistet nun Reetz mit ihren „narrativen Nahaufnahmen“? Sie will vor allem mit Blick auf Hesses erste Frau revidieren, was in den Biografien allzuoft mit Schlagworten abgehandelt wird. So erfährt Mias „Nervenkrankheit“ eine Differenzierung. Wobei Hesse selbst zum Bild der „abweisend-depressiven Gefährtin“ (Heimo Schwilk) beigetragen hat, wenn er von Mias „Jahren in den Irrenhäusern“ sprach. Reetz rechnet vor, dass es sich dabei jeweils nur um wenige Wochen handelte. Ihre Recherchen hat sie auch in einer Zeittafel im Buchanhang zusammengetragen.

Überzeugend dargelegt wird, inwiefern gerade Hesses erste Ehe für sein weiteres Beziehungsleben prägend und traumatisierend war: Klassische Ideen der Lebensreform mögen das junge Paar beflügelt haben, ins idyllisch abgelegene Bodensee-Dorf Gaienhofen zu ziehen und wie „Peter Camenzind“ naturnah und ursprünglich zu leben. Allein diese Landlust war eine Illusion, und Hesse schon bald mehr auf Fluchten und Selbstfindungstrips vom Monte Verità bis Indien unterwegs denn als fürsorglicher Familienvater zu Hause. Ohne die Modediagnose Burn-out zu bemühen, zeigt Reetz auf, wie Mia, die ihren Beruf als Fotografin aufgegeben hatte, die Decke auf den Kopf fällt. Eine aufmerksame Detailbemerkung gilt den Fotografien: Als Fotografin hat Mia ihren Mann nie in den klassischen Schriftstellerposen porträtiert, wie man sie etwa aus den Serien von Gret Widmann kennt. Vielmehr knipste Mia ihren Hesse so, wie sie ihn subjektiv zu selten hatte: privat. Umgekehrt steht Hesses Aussage „Habe Familie, Haus, Frau und alles tiefer satt denn je“ (in einem Brief an seinen Therapeuten) bezeichnend für das Dilemma, das der Künstler zeitlebens mit familiären oder partnerschaftlichen Bindungen hatte. Um weiteren Kindern vorzubeugen, ließ Hesse sich 1928 sogar sterilisieren. Diese Detailinformation kannte man aus den einschlägigen Biografen bislang nicht; leider verzichtet Reetz hier – wie überhaupt – auf Einzelnachweise. Dabei hätten sich Lesbarkeit und Wissenschaftlichkeit auch in einer Insel-Taschenbuch-Ausgabe keineswegs ausschließen müssen.

Und ansonsten – bemerken wir „neue Facetten der Persönlichkeit des Dichters“, wie sie das Buch verspricht? Naja, das Close-up auf den privaten Hesse kann dem Klischee nach wenig überraschen: Schriftsteller sind egozentrisch, beziehungsgestört und nur bedingt familientauglich. Doch das sind viele andere Menschen auch, und so sind es am Ende wie immer die Details, die diesen Allgemeinplatz hessespezifisch machen: Bemerkenswert, wie Hesse, der ein Freund der Psychoanalyse war und uns einen dahingehend eindrucksvollen Briefwechsel mit dem Jung-Schüler Josef Bernhard Lang hinterlassen hat, Mias Anspruch auf Therapie und Familienauszeit gar nicht goutierte: „Daß Du für uns seit der Analyse kein Interesse mehr hast und dich nur noch für Deine eigenen Sensationen interessierst, weiß ich ja schon. […] Mit der Zeit wirst Du, wie wir alle, ja doch das Vorhandensein andrer Menschen wieder anerkennen müssen.“

Die mit dem Bruch der Familie notwendig gewordene Unterbringung der Kinder in wechselnder Obhut – bei Pflegeeltern, Verwandten und in einer dubiosen Reformschule, in der es zu sexuellem Missbrauch kam – wirft ingesamt Schatten auf die Familienfürsorge im Hause Hesse.

Und wie fruchtbar waren seine Ehen für das Werk? Mit Blick auf den vergleichsweise selten gelesenen Eheroman „Roßhalde“ waren sie es unbedingt. Alle Frauen haben Hesse gesucht, ermunterten oder drängten ihn zur Ehe – um im Fall von Ruth Wenger enttäuscht festzustellen: „Wir haben niemals in einem Zimmer geschlafen.“ Intellektuell selbst verwirklicht zu haben scheint sich am ehesten Ninon: „Frau Hermann Hesse“ steht bei Reetz anspielungsreich über dem Lebenskapitel, in dem sie von der „Sekretärin“ (so die Hesse-Diktion) zur Schriftstellergattin aufgestiegen ist. In den gemeinsamen Skiferien bekommt sie sogar noch Tipps von „Frau Thomas Mann“, wie es sich an der Seite eines Großschriftstellers lebt. Später geht sie viel allein auf Studienreisen, wie sie auch schon auf „Solo-Hochzeitsreise“ war.

Eine bemerkenswerte Medienpraxis sind die „Hausbriefe“, denn Hesse kommunizierte (schon mit Ruth und Mia) lieber schriftlich als persönlich, und wenn seine Frauen mit ihm frühstücken wollten, hatten sie das per Kurzmitteilung anzufragen. Vielleicht wären SMS oder Facebook heute seins? Wobei er sich auf ständige Erreichbarkeit nie verpflichtet hätte: Schon seine Korrespondenz vor der Eheschließung mit Mia ist von ungewöhnlichen Aussetzern geprägt. Sie nehmen bereits den Problempartner und -vater vorweg, dessen Selbstsuche und Selbsttherapie (auch als Maler und Gärtner) zur eigentlichen Lebenserzählung wird, die den Schriftsteller Hesse in seiner Wahrnehmung und Wertschätzung heute manchmal fast überstrahlt.

Unterm Strich ist Reetz eine gut lesbare Lebenschronik von Hesse in seinen Beziehungen gelungen. Sie schreibt jenen Strang der Hesse-Rezeption fort, der sich auch an den Hesse-Gedenkstätten etabliert hat: Bedacht wird längst nicht mehr nur der Literat, sondern der ganze Mensch. Ein archetypisches Individuum der Moderne, das mit seinen widersprüchlichen Idealen und Lebensentwürfen dem Therapeuten im Zweifelsfall nähersteht als dem eigenen Lebenspartner.

Titelbild

Bärbel Reetz: Hesses Frauen.
Insel Verlag, Berlin 2012.
426 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783458358244

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