Nach Dienstschluss ist noch lange nicht Schluss

Christoph Bartmann zeigt, wie sehr der ‚Managerismus‘ das heutige Leben prägt

Von Stefan NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manche werden sich noch daran erinnern, dass es früher frustrierend war, zur Post oder zur Bank zu gehen man musste lange warten, und die Bedienungen waren oft nicht besonders freundlich. Heute muss man auch lange warten oder seine Geschäfte selbst erledigen, mit Hilfe technischer Geräte, und die wenigen Angestellten, die es noch gibt, sind sehr freundlich, aber auch sehr gestresst, so dass man sie aus Mitgefühl oft gar nicht ansprechen möchte. Noch extremer haben sich die Abläufe innerhalb von Organisationen verändert. Früher gab es beispielsweise, wenn man studierte, ein Studienbuch, in das man seine Kurse eintrug, die Scheine einheftete und das Ganze dann, um zu den Zwischen- oder Schlussprüfungen zugelassen zu werden, vorlegte. Heute sind Studierende wie DozentInnen ununterbrochen damit beschäftigt, TeilnehmerInnenlisten oder Prüfungslisten online zu verwalten, mit speziellen Programmen, für die man besser eine Schulung macht – für solche Schulungen gibt es natürlich ebenso Personal wie für die Programmierung der Datenbanken. Nur für die Lehrveranstaltungen scheint es immer weniger Personal zu geben.

Um so zu werden, wurden Verwaltungen, vor allem von Unternehmensberatungen, konsequent auf ‚Kundenorientierung‘ getrimmt, ohne dass sich bisher die Erkenntnis verbreitet hat, dass mit den Kosten zwar eine Veränderung herbeigeführt wurde, die Verbesserungen aber höchstens kosmetischer Natur sind. Der Verfasser dieser Zeilen hat in den 1990er-Jahren einmal erlebt, wie ein für sehr viel Geld ‚erstelltes‘ Verwaltungsgutachten von dem Mitarbeiter einer großen Unternehmensberaterfirma dem Stadtrat präsentiert wurde – die Firma hatte vergessen, an einigen Stellen den Namen der richtigen Stadt einzusetzen. Und mehr als das, was man auch ohne Gutachten hätte wissen können, war dem mit Managementformeln bis zum Rand gefüllten ‚Expertenbericht‘ nicht zu entnehmen. Wer sich über diese und viele andere merkwürdige Veränderungen der letzten Jahrzehnte gewundert hat, der hat noch nicht begriffen, dass der Wahnsinn Methode hat. Den Gründen für diese ‚Methode‘ ist Christoph Bartmann nachgegangen, Direktor des Goethe-Instituts in New York und durch seinen Werdegang sowohl ein Kenner als auch ein Grenzgänger des Angestelltendaseins. Sein Buch handelt aber durchaus nicht nur von Angestellten. Der Klappentext schickt voraus, es handele sich um „eine brillante und witzige Analyse unserer Gesellschaft“. Brillant trifft zweifellos zu, nur das Lachen bleibt einem eher im Hals stecken.

Die populärwissenschaftlich auftretende, dabei durchaus wissenschaftlich fundierte Studie (Bartmann arbeitet wie jeder Profi mit Belegen und kennt sich auf zahlreichen Feldern der Gesellschaft und in ihren Theorien aus) ist in vier große Kapitel gegliedert. Im ersten skizziert der Autor einen exemplarischen Bürotag, wie er ihn für Otto Normalangestellten oder für Anna Normalbürofrau in unserer Zeit und Gesellschaft annimmt. Die Schritte durch den Tag sind gepflastert mit Meetings, Besprechungen, Sitzungen sowie dem Planen von weiteren Meetings, Besprechungen und Sitzungen, bis dann am Abend schnell noch die wichtigsten Mails beantwortet werden und die eigentliche Arbeit auf den nächsten Tag verschoben wird, der selbstverständlich auch nicht anders aussehen wird. Das traurige Fazit lautet: „Die Momente dieses Tages, in denen ich zum Arbeiten, ja gar zum Denken kam, habe ich mir erkämpft oder erschlichen. Ich habe mir dann heimlich freigenommen von den Instrumenten, den Maßnahmen, den Verfahren.“

Das zweite Kapitel ist nichts weniger als eine Geschichte des Büros und des Angestelltendaseins, Bartmann orientiert sich hier stark an Theorien und Konzepten von Max Weber über Michel Foucault bis Tony Blair. Im nächsten großen Kapitel „Pathologien des Gegenwartsbüros“ werden die Managementlehren, die den Hintergrund für die heutige Angestelltenexistenz bilden, genauer unter die Lupe genommen. Sie haben dazu geführt, dass am Kuchen nur noch der Zuckerguss wichtig ist, also die Arbeit an Inhalten durch positives ‚Selbst-Marketing‘ ersetzt wurde. Entsprechend formelhaft, jargonbasiert und inhaltsleer ist die Sprache geworden, mit denen suggeriert werden soll, dass es noch Inhalte gibt. Besonders betroffen sind Bereiche, in denen sich Leistung schwer messen lässt, hier kann die Verpackung den Inhalt am allerbesten ersetzen: „Der öffentliche Dienst scheint mit Public Relations fusioniert zu haben. Nie ging es mehr darum, ‚sexy‘ zu sein. Wobei ‚sexy‘ hier nicht unbedingt etwas Schönes meint.“

Kapitel vier resümiert: „Die ganze Welt ist jetzt Büro“, hier wird nicht nur zusammengefasst, sondern auch überlegt, wie der heutige Managementglaube entmythologisiert werden kann und sich an seine Stelle eine ganz praktische, das Individuum nicht überfordernde und vielleicht sogar befriedigende Tätigkeit setzen lässt. Dem Kontrollwahn unserer Zeit lässt sich für Bartmann etwa dadurch begegnen, wieder Vertrauen in die Fähigkeiten und den guten Willen des Einzelnen aufzubauen. Wobei die Kontrolle heute eine doppelte ist, sie ist einerseits in das Individuum selbst verlagert, das angespornt wird, angeblich zu seinem eigenen Besten, möglichst ‚sexy’ in der Berufswelt zu sein, also eine möglichst große Leistung zu bringen und sie entsprechend, wie man heute sagt, ‚sichtbar’ zu machen; andererseits wird genau kontrolliert, ob die Selbstkontrolle auch funktioniert.

Von Vertrauen in den Einzelnen sind wir also weit entfernt. Deshalb muss Christoph Bartmann am Ende seines exemplarischen Bürotages seufzen: „Liebe Externe, liebe Berater, wie wäre es, wenn ihr die Beobachtung meiner Arbeit kurzfristig einstellen könntet und mich einfach mal arbeiten ließet? Ich würde beispielsweise gern einfach mal einen Brief schreiben und mich dabei weder selbst beobachten noch von euch beobachtet werden.“

Noch einmal einen Schritt zurück und ein paar Worte zu der Entwicklung des Managerismus, wie Bartmann und seine von ihm zitierten Gewährtsleute ihn sehen. Für Bartmann gehören Religion, Psychologie und Ökonomie zusammen – sie haben einen „Homo Communicans“ erzeugt, der von den großen Managementschulen, den ‚Kirchen‘ unserer Zeit in der westlichen Welt, missioniert worden ist beziehungsweise wird. Bartmann verwendet hierfür sogar den Begriff der „Gegenaufklärung“: „Der populäre Wunderglaube, von Freud schon 1880 verspottet, erweist sich als durchgehende Tendenz der modernen Bürowelt. Die sogenannte Wissensgesellschaft ist zugleich immer auch eine Glaubensgesellschaft. Der Glaube, den die Coaches und Ratgeber in uns einpflanzen wollen, gilt uns selbst. Wir selbst, wenn wir nur unser Potential abrufen, können es schaffen.“

Das „positive Denken“ und die „Performance“ gehen Hand in Hand, denn nur mit ihnen lässt sich das Individuum so weit dressieren, dass es aus sich das Letzte für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens oder, wenn es selbständig ist, der Gesellschaft herausholt. Bereits Foucaults Überlegungen zur „Gourvernementalität“ haben gezeigt, wohin die Reise geht, doch seit auch die sozialdemokratischen Parteien, allen voran New Labour unter Tony Blair, den Neoliberalismus zum Programm erhoben haben, hat sich die Entwicklung noch einmal beschleunigt. An schönen neuen Plastikworten für die neoliberale Ideologie ist kein Mangel, heute wird beispielsweise die beste Lösung für die Organisation als „Best Practice“ bezeichnet. Widersprüche wie jener unhinterfragte, dass ‚Exzellenz‘ bedeutet, dem jeweils neuen „Standard“ zu entsprechen, verschärfen die Situation weiter.

Die für Selbstkontrolle und -ausbeutung versprochene „Erlösung“ durch Arbeit ist immer nur eine aufgeschobene. Genau diese Tendenz führt, wie Bartmann ausführlich zeigt, direkt hinein in die immer größeren Krisen des Individuums, die mit Depression und Burnout bezeichnet werden. Denn nach Dienstschluss ist noch lange nicht Schluss, „weil der Apparat“ den „Habitus über die Bürostunden hinaus prägt“. Umgekehrt ist in der täglichen Arbeit der Konformitätsdruck so groß, dass „dauernd meine Wahrheit auf dem Spiel“ steht, also das, was als individuelle Wahrheit im System erst erzeugt worden ist.

Nicht irgendwelche abstrakten Institutionen, sondern konkrete Unternehmen und Personen profitieren von dem permanenten ‚Change‘, wie er postuliert wird, Bartmann hat eine ganze Industrie ausgemacht, die von nichts anderem lebt. Man könnte noch weiter gehen und auch den Finanzmarkt in die Betrachtungen einbeziehen – er führt vor, wie sich mit wenig Aufwand viel Geld verdienen und verlieren lässt und wie man die Verluste erfolgreich auf andere abwälzt, vor allem auf die Allgemeinheit.

Die Reichen und Mächtigen der westlichen Welt sind eng mit der Managementindustrie verbunden und das Tabu, das Andere zu denken und die bestehenden Strukturen, statt sie immer wieder neu zu stüzen, zu hinterfragen, hat genau damit zu tun: „Keine Macht hat es gern, wenn man ihre Machtmittel kennenlernen will, statt sich mit den freundlichen Benutzeroberflächen zufriedenzugeben, die sie uns zur Kommunikation anbietet.“ Auch der Chef oder sogar der Abteilungsleiter profitiert davon, denn er hat seinen Job oft nicht wegen seiner Fähigkeit zur Problemlösung bekommen, sondern weil er sich besonders gut als Problemlöser inszenieren kann. Und er wird sicher niemand fördern, der mehr Substanz hat als er selbst. Somit bleibt festzuhalten: „Die Organisation produziert Opportunisten, und sie produziert Langweiler, und wenn beides zusammenkommt, ist eine Karriere vorprogrammiert.“ Die Folge ist dann auch nicht weniger, sondern „mehr Bürokratie“.

Der Wahn, alles messen und standardisieren zu wollen, bedroht nicht nur die letzten Residuen der Kreativität, er bezieht sie sogar mit ein – auch in der Kunst feiert die Oberfläche einen Erfolg nach dem anderen, gutes Design gilt fast schon als höchste Form der Kunst. Doch gerade auf solche „voreingestellte Formatierungen“ sollte man lieber, wenn man nicht mit der Schein-Individualität von der Stange zufrieden sein will, verzichten. Wie das gehen kann, sagt auch Bartmanns Buch nicht genau – aber alles andere wäre ja ein neuer Widerspruch und ein Zeichen, dass auch dieses Buch nur ein verkappter Versuch wäre, durch gezielte Provokationen neue Anpassungen zu erzeugen. Aldous Huxleys „Brave New World“ steckt im Titel und Bartmann zeigt, dass die Dystopie in vielen Bereichen Realität geworden ist. Daran etwas zu ändern, ist Aufgabe jedes Einzelnen.

Titelbild

Christoph Bartmann: Leben im Büro. Die schöne neue Welt der Angestellten.
Carl Hanser Verlag, München 2012.
318 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783446238770

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