Trauma, Drogenrausch, Gewaltrausch

Klaus Gauger über drei liminale Zustände in Ernst Jüngers Werk

Von Helge SchmidRSS-Newsfeed neuer Artikel von Helge Schmid

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Klaus Gauger hat sich für seine Jünger-Studie ein "plurales Konzept" zurechtgelegt. Es umfasst geistes- und mentalitätsgeschichtliche Ansätze, psychoanalytisch orientierte, ideologiekritische und werkimmanente Analysen. Der Untertitel der Arbeit ("Das kriegerische Frühwerk Ernst Jüngers") ist insofern irreführend, als auch Werke der mittleren und späten Schaffenszeit berücksichtigt werden, darunter die Romane "Heliopolis" (1949), "Die Zwille" (1973) und "Eumeswil" (1977).

Gauger benennt für Jüngers Œuvre drei Topoi oder zentrale, immer wiederkehrende Komplexe, die er "liminale", auf die "Reizschwelle" ("Limen") bezogene Zustände nennt: die "traumatisierende Situation", den "Drogenrausch" und den "Gewaltrausch". Die einfache These lautet, dass Jünger im Prinzip drei Wege zur Erlangung von Rauschzuständen beschreibe: "Ein Weg führt über die höchste physische und psychische Anspannung in der traumatisierenden Situation. Ein zweiter führt über den Gebrauch von Drogen. Der dritte führt über die Entfesselung der destruktiven Triebe im Gewaltrausch." Es sei Jüngers Ansicht und Haltung, dass die genannten Wege "zum Erkennen einer tieferen Wirklichkeit" führten.

Als Basis aller Methoden oder Fragestellungen wählt Gauger für seine Studie den biographischen Ansatz: Trauma und Gewaltrausch verweisen zuerst und zuletzt auf die Erfahrungen des Frontsoldaten, der Drogenrausch meint hingegen den Dandy und Anarchen, der mit oder ohne Albert Hofmann auf halluzinogene Fahrten geht. Weil der Interpret Jüngers Werk autobiographisch liest, zieht jeder Textbefund auch eine Aussage über die Person nach sich und hat jede persönliche Mutmaßung Konsequenzen für die Lesart der Texte.

Einen Teil des Frühwerkes liest Gauger quasi als Dokumentation des Ersten Weltkrieges und als Bekenntnisbuch des "Kriegers" Ernst Jünger: Wenn der draufgängerische Soldat eine Schwäche eingestehen müsse, so gebe er sie "ehrlicherweise" auch zu. An der Darstellung des Grabenkrieges wird die "Genauigkeit" gelobt, wobei diese "Genauigkeit" selber ein vager Begriff bleibt und allenfalls feuilletonistisch brauchbar ist. Gauger hat einen quasi naiven Authentizitätsbegriff, der an die Beglaubigung des literarischen Werkes durch das Leben gebunden ist. So begeistert er sich darüber, dass Jüngers Schmerzerfahrung nicht nur graue Theorie bleibe, graue Theorie in Form eines Essays "Über den Schmerz", sondern durch die 14 Verwundungen des Frontsoldaten "historisch" gesichert sei.

Teile des fiktionalen Werkes werden mithin als verbrämte Autobiographie oder als "nachträglich erstellte Literarisierungen" gelesen, doch zollt der Verfasser diesen "Literarisierungen" keinen Respekt in der Hinsicht, dass er zwischen Jünger und seinen Protagonisten einen Unterschied machte. "Die Zwille" liest er als "Kindheitsbeschreibungen", und noch Poes Zentralbild des "Malstroms" wird in einem sprachlichen Gestus wiedergegeben, als liege dem Text eine wahre Begebenheit zugrunde.

Sprachliche Unsicherheiten, wobei hier nicht nur das falsche Deutsch gemeint ist, sind häufig Ausdruck mangelnder wissenschaftlicher Qualifikation. Für die Erörterung des "psychischen Traumas" bietet der Verfasser zwei sehr unterschiedliche Stimmen auf, zum einen Sigmund Freud ("Jenseits des Lustprinzips"), zum anderen Edgar Allan Poe ("Der Malstrom"). Der Begriff des "Unterbewusstseins" verrät, dass er zumindest bei Freud nicht sattelfest ist. Immerhin bemerkt er, dass auch die traumatische Erfahrung "lustvoll" sein kann.

In positivistischer Manier versammelt der Verfasser allerlei Material in Fußnoten, die schier aus den Nähten platzen wollen, doch in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle wird nur kulturelles Wissen allgemeinster Form aufgeboten, ein Wissen, das sich entweder von selbst versteht oder zur Interpretation der Texte nichts hergibt. Am wenigsten kommt Gauger zur immanenten Methode, die er "klassisch" nennt, obgleich sie von der Germanistik der späteren Nazizeit entwickelt worden ist.


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Klaus Gauger: Krieger, Arbeiter, Waldgänger, Anarch. Das kriegerische Frühwerk Ernst Jüngers.
Peter Lang Verlag, Frankfurt 1997.
290 Seiten, 42,90 EUR.
ISBN-10: 3631321805

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