Aus einer nicht versiegenden Quelle
Hans Blumenbergs nachgelassene Analysen dreier Wasser-Metaphern
Von Sebastian Tränkle
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWie der Nachlass eines Philosophen zum Kampffeld um Deutungs- und Publikationshoheit werden kann – das wäre ein Sachverhalt, für den gerade Hans Blumenberg zu Leb- und Schreibzeiten gewiss eine genüsslich-ironisierende Sentenz übrig gehabt hätte. Blumenbergs im Marbacher Deutschen Literaturarchiv aufbewahrter Nachlass besteht aus zigtausend Seiten ordentlicher getippter und handschriftlich korrigierter Manuskripte, einer Vielzahl an Briefen mit intellektuellen Zeitgenossen aller Formate und immensen Zettelkästen voller Materialien und (Text-)Ideen. Da der übergroße Teil noch unpubliziert ist, wird immer wieder der Ruf nach einer kritischen Gesamtausgabe laut. Sei es aus editionspolitischen oder aus ökonomischen Gründen, eine solches Mammutprojekt scheint zur Zeit allerdings ein ebenso frommer wie unerfüllbarer Wunsch zu sein. So ist man bis auf weiteres darauf angewiesen, sich in die stetig anwachsenden Reihen der Marbacher Archivmaulwürfe zu begeben und dort in stiller Einsamkeit zu graben, zu lesen und Schätze zu heben.
Und dann sind da noch die gelegentlichen Appetizer aus dem Nachlass. Jüngst ist in der Reihe „Bibliothek Suhrkamp“ der Band „Quellen, Ströme, Eisberge“ erschienen, der ein nie zustande gekommenes Buchprojekt Blumenbergs dokumentiert und direkt am Hause in Marbach von Ulrich von Bülow und Dorit Krusche – die in jahrelanger akribischer Arbeit den Blumenberg-Nachlass erschlossen hat – ediert und betitelt wurde. Die Manuskripte dazu stammen aus dem Kontext der „Metaphorologie“, Blumenbergs Projekt einer philosophisch-ideengeschichtlichen Untersuchung des Erkenntnis- und Ausdruckspotentials von Metaphern.
Die drei Metaphern, denen Blumenberg im vorliegenden Band nachspürt, entstammen alle dem Assoziationsfeld des Wassers, während ihre Implikationen, Verwendungsweisen und Genealogien höchst unterschiedlich sind. So gilt was Blumenberg für die individuelle Spracherfahrung und die eigenwilligen „Nebentönungen“ der Namen feststellt auch für den eigenen Gegenstand: „Wasser ist nicht gleich Wasser.“ Und da, dem Fragmentcharakter der versammelten Manuskripte geschuldet, dem Buch eine kontextualisierende Einleitung ebenso fehlt wie ein synthetisierendes Schlusswort, folgen die Untersuchungen der drei Metaphern abgesehen von einigen Stellen, an denen der Bezug von Strom und Quelle diskutiert wird, recht unverbunden aufeinander.
Der Text hebt mit der Betrachtung eines „Ordnungsrufes“ an, der dem von Edmund Husserl revitalisierten und von Blumenberg andernorts in extenso untersuchten „Zu den Sachen!“ stets zur Seite gestanden habe: „Zu den Quellen!“ Weil der geforderte Rückgang zu den im Rücken der Geschichte liegenden „Quellen“ de facto unmöglich sei, müsse er als nur „rhetorisch mögliche“ und folglich metaphorisch gewandete „Zumutung“ gedeutet werden. Mit gewohnter Blumenberg’scher Materialwucht wird nun demonstriert, wie das Bild der Quelle immer dann aufgerufen wird, wenn mehr ausgesagt werden soll, „als die Strenge von Theorie zu leisten im Stande ist“, und dieser Befund durchexerziert: An Sigmund Freuds unbewussten Quellen des Traums, an Martin Heideggers existentialontologischer Proklamation der „Übermacht der Quelle“, an Arthur Schopenhauers Ablehnung des Beweises zugunsten unmittelbarer Anschauung als der Quelle von Wahrheit, aber auch an Johann Gustav Droysens Kritik an der Verabsolutierung historiografischer Quellen. Was an historischer, philologischer und anekdotischer Fundfülle zunächst zu erschlagen droht, das verspricht bei genauer Lektüre theoretische Einsichten in das Verhältnis von Metaphorik und Terminologie. Dabei thematisiert Blumenberg zwei gegenläufige Prozesse: Zum einen die Steigerung des Abstraktionsgrades bis zu einem Punkt, an dem der bildliche Horizont aus dem Blick gerät und die „fachsprachliche Fixierung“ zum Terminus abgeschlossen ist – etwa beim selbstvergessenen Gebrauch von „Quellen“ in der Historiografie. Zum anderen gelingt es Blumenberg zu zeigen, wie im gegenläufigen Prozess einer Art von Re-Metaphorisierung der Terminologie bisweilen längst geronnene Metaphern wieder „beim Wort genommen“ werden, ihre Bildlichkeit aufs neue evoziert wird. Diese „Wiederentdeckung des metaphorischen Horizontes“ könne eine ganz bewusst angewendete Strategie der „Auffrischung“ der „sich verschleifenden Sprache“ sein, aber auch Indikator für die Notwendigkeit theoretischer Neuorientierung, wenn bisherige in Termini geronnene Selbstverständlichkeiten fraglich werden.
Ausgehend von Heraklits Feststellung, dass man nicht zweimal in denselben Fluss steigen könne, nähert sich Blumenberg im zweiten und dichtesten Teil des Buches der Metapher des Stroms in ihren unterschiedlichen Besetzungen. Die metaphorischen Qualitäten des „Strömens, Quellens und Spülens, Höhlens und Stürzens“ böten sich an, den Weltenlauf in seiner Unbeständigkeit, seinem Mangel an festen Gestalten zu bebildern, und den Zweifel über die letztendliche Fassbarkeit der uns entfliehenden Wirklichkeit auszudrücken. Als „Metapher für große Anwendungen“ ziehen sich die „großen Ströme“ so durch die Philosophiegeschichte und stehen alternierend für das Schicksal, das Leben, die Zeit, die Geschichte oder das Bewusstsein ein. Blumenberg verfolgt die Metaphern des Stroms der Zeit bei Francis Bacon und die des Stroms der Materie, die sich von der griechischen Atomistik bis in moderne biologische Theorien des Stoffwechsels hinein nachweisen lasse. Der Untersuchung der die Phänomenologie Husserls „beherrschenden Metapher“ des Bewusstseinsstroms widmet Blumenberg besondere Aufmerksamkeit – was mitunter zu einer komplexen, kleinteiligen und der phänomenologischen Sprache verhafteten Diskussion gerät.
Dass sich der letzte Abschnitt zur Metapher des Eisbergs am besten liest, mag daran liegen, dass hier der Blick nicht über alle Weltalter schweift und oft auf abseitigstes Material der Wissenschaftsgeschichte fällt. Vielmehr gilt das Augenmerk nun vor allem alltäglich-trivialen Funden aus Zeitungen und Zeitschriften. Wer nun aber vermeint, damit gehe es auch in Blumenbergs Analysen „unphilosophischer“ zur Sache, geht gänzlich fehl. Während das Kapitel zu den Strömen disparates Material zusammenzieht und diskutiert, sich darin aber immer wieder zu verlieren droht, umkreist, – man ist geneigt zu schreiben: umschifft – Blumenberg die metaphorischen Eisberge mit Geschick. Folgt man seiner stringenten Argumentation, so wird erkennbar, dass Blumenberg hier an einer genuin historischen, ja, einer geschichtsphilosophischen Theorie der Funktion und Wirkmacht von Metaphern strickt. Mehr noch – man könnte behaupten, hier ließe sich eine Methode herausdestillieren: Blumenberg betreibt „philosophische Metaphernkritik“, die nicht nur im Hintergrund wirkende Orientierungsbilder als uneingestandene Voraussetzungen von Theorien aufzeigt, sondern die „auf dem metaphorischen Niveau selbst“ agiert. Tatsächlich gelingt es Blumenberg diese auch in anderen metaphorologischen Texten umrissene Programmatik an der Metapher des Eisbergs durchzuspielen: Er kann zeigen, wie sich sprachliche Bilder mit bestimmten historischen Denkformen kurzschließen und so die Plausibilisierung kaum einsichtiger Sachverhalte leisten.
Bedingt sei das Aufkommen der Metapher von einem Verdacht, der zwar bis auf den frühneuzeitlichen Verlust des antiken „Sichtbarkeitspostulats“ zurückgehe, sich aber erst in der Gegenwart des Schreibenden – es geht um die 70er- und 80er- Jahre des 20. Jahrhunderts – die metaphorische „Gewandung“ des Eisbergs mit seinem Missverhältnis von kleiner sichtbarer Spitze und großem verborgenem Rest zugelegt habe. Seit Friedrich Nietzsche gehe man von „hinterhältigen Verhältnissen im Bewußtsein, in der Gesellschaft, in der Wissenschaft“ aus, und das motiviere eine „ganze Rhetorik des Mißtrauens“, in der das Bild des Eisbergs für die Annahme unsichtbarer Ausmaße aktueller Probleme einstehe. Doch warum gerade der Eisberg, mag man sich fragen. In Sinne seiner auf die Funktionalität der Metapher fokussierten Analyse antwortet Blumenberg darauf, dass nicht das berühmte titanisch-fatale Missverhältnis allein ihn metaphorisch prädestiniere. Vielmehr ziehe die Metapher ihre „rhetorische Stärke“ aus dem Faktum, dass die Natur selbst ein „solches Exempel von Disproportion von Vordergrund und Hinterhalt kenne“; es erscheine nur folgerichtig, dass entsprechende Disproportionen auch für die „psychische, soziale und politische Wirklichkeit“ des Menschen anzunehmen seien.
Weil Blumenberg diesen Befund für einen seiner gelegentlichen Seitenhiebe gen „Frankfurter Schule“ nutzt, indem er behauptet, „Ideologiekritik“ sei zum „Nationalsport“ aufgestiegen und deren Gestus „der Kritik verdeckter oder uneingestandener Voraussetzungen“ mit besagter Eisberg-Rhetorik in Verbindung bringt, hätte ihm der folgende Hinweis alles andere als behagt. Doch dort „feststehende, weil ganz natürliche Verhältnisse“ anzunehmen, wo sie gar nicht bestehen, also die unzulässige Übertragung von Naturgesetzen auf gesellschaftliche Verhältnisse, das ist auch das Grundthema der Verdinglichungskritik, wie sie ausgehend von Karl Marx, über die bahnbrechende Rezeption in Georg Lukács‘ „Geschichte und Klassenbewusstsein“ zum Repertoire einer Kritischen Theorie der Gesellschaft geworden ist. Blumenberg wollte nicht sehen, wie nahe seine metaphorologische „methodische List“ genau dem ideologiekritischen Programm steht, für das ihm wenig gelittene zeitgenössische Namen wie der Theodor W. Adornos stehen.
Auch Blumenberg geht es in seiner Metaphernkritik darum, unter- oder hintergründig wirksame, das Denken und Sprechen strukturierende Vorstellungen, „Weltmodelle“ als uneingestandene, genuin historische Voraussetzung des theoretischen Denkens und lebensweltlichen Handelns der Menschen zu thematisieren. Im Falle der Eisberg-Metapher zielt sie auf verdinglichtes Denken im Natur-Bild und die ideologischen Rezeptionseffekte ihrer bildmächtigen Suggestion von Evidenz und Natürlichkeit, die historisches Denken blockiere, Einspruch erschwere und den Eindruck der Vertrautheit, Selbstverständlichkeit und damit einen „Consensus“ stifte. Blumenberg betont die „hochgradig“ politische Disposition der Eisberg-Metapher, verhandelt und kritisiert ihre Instrumentalisierung im Bereich der Kriminalität, in dem ihre Evokation zur Legitimationsstrategie politischen Handelns werde. Doch auch wenn der metaphorologische vom ideologiekritischen Befund häufig nicht weit entfernt ist, so tritt Blumenberg mit dem Gestus der normativen Enthaltsamkeit auf – etwa im Hinblick auf Martin Heideggers organische Metaphorik, deren in Adornos „Jargon der Eigentlichkeit“ attackierte Antithetik von Boden und Bodenlosigkeit Blumenberg ebenfalls herausstellt, sich dabei aber einer Bewertung mit dem Hinweis entzieht, hier gehe es „nur“ um die Funktionsweise der Metaphorik.
Die Lektüre von „Quellen, Ströme, Eisberge“ kann verständlich machen, wie Metaphern funktionieren, wie sie einspringen, wenn begriffliche Sprache an ihre Grenzen gelangt und der „begrifflich ermüdeten Vernunft“ bildlich unter die Arme gegriffen wird. Blumenbergs philosophische Metaphernkritik zielt auf die dabei betretenen rhetorischen Um- und ideologischen Abwege und lässt so den historischen Index aller Metaphorik hervortreten. Sie verbleibt jedoch nicht auf der Ebene reiner Sprachkritik, sondern wirft Fragen nach dem Verhältnis von Sache und Sprache, wie nach den Rückverbindungen aller metaphorischen Orientierungen zu lebensweltlichen – und es ließe sich hier auch übersetzen: gesellschaftlichen – Verhältnissen und Bedürfnislagen auf. Das „metaphorologische Instrument“, so Blumenberg über seine Methode, erlaube von den rhetorischen Missbräuchen, den sprachlichen Unschärfen, den Brüchen in der Kohärenz und Plausibilität der Darstellung auf historische Verschiebungen und Verformungen der Argumentation und damit letztlich auf „Schwierigkeiten in und an der Sache“ zu schließen.
Erwähnung finden soll abschließend die sorgfältige und aufwendige Editionsarbeit Krusches und von Bülows, die dem Band neben einem instruktiven editorischen Anhang auch in drei, den jeweiligen Textabschnitten folgenden Sektionen Abbildungen von mit dem Text korrespondieren Archivalien zur Veranschaulichung der Blumenberg’schen Arbeitsweise beigefügt haben. So könnte das vorliegende Buch einen veritablen Band der Abteilung für metaphorologische Schriften in der ersehnten Gesamtausgabe der Werke des „Vernunftkünstlers“ Blumenberg abgeben – eine Vorstellung, die dieses Desiderat umso deutlicher hervortreten lässt.
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