Homo homini lupus est

In ihrem Buch „Sexualisierte Gewalt“ präsentieren und analysieren Brigitte Halbmayr, Katrin Auer und Helga Amesberger Interviews zu „Weibliche[n] Erfahrungen in NS-Konzentrationslagern“

Von Jens ZwernemannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Zwernemann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fast steht zu befürchten, dass auch dieses Buch, wie es Elfriede Jelinek in ihrem Vorwort zur mittlerweile vierten Auflage von „Sexualisierte Gewalt“ so realistisch-pointiert formuliert, während beziehungsweise nach der Lektüre höchstens zu einem kurzen Moment des betroffenen Innehaltens führen wird: „Unzählige Male sind wir der Opfer des Dritten Reichs eingedenk, und auf Zehenspitzen schleichen wir uns von ihnen wieder davon. Das wird auch diesmal so sein […].“ Längst schon erscheint uns sexuelle Gewalt – gegen Frauen wie Männer gleichermaßen – als eine weitere, zwar besonders verabscheuenswürdige, aber letztlich doch – dank globaler Medienberichterstattung – auch schon wohl bekannte „Waffe“ in kriegerischen Konflikten, und es bedarf vermutlich schon einer derart radikal-brutalen Darstellung derselben wie sie etwa Sarah Kane in ihrem Skandalstück „Blasted“ (1995) präsentierte, um noch einen nachhaltigen Schockeffekt erzeugen zu können.

Doch ist es gar nicht der Schockeffekt, auf den „Sexualisierte Gewalt“ abzielt, so unbeschreiblich schockierend die Schilderungen der betroffenen Frauen fraglos auch sind, die von den Autorinnen Helga Amesberger, Katrin Auer und Brigitte Halbmayr befragt wurden: In über 40 Interviews erzählen ehemalige Insassinnen des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück, wie sie selbst ebenso wie auch Mitgefangene Opfer nicht nur sexueller, sondern – und hierauf liegt der Fokus der Autorinnen – vor allem „sexualisierter“ Gewalt wurden: „Wir bevorzugen die Bezeichnung sexualisierte Gewalt gegenüber dem Ausdruck sexuelle Gewalt, da es uns nicht nur um direkte, körperliche Gewalt gegenüber Frauen (und auch Männern), bezogen auf ihre Sexualität, geht, sondern auch um darüber hinausgehende ‚Grenzüberschreitungen‘ wie Verletzung des Schamgefühls, verbale Erniedrigung, psychische Nötigung zu sexuellen Handlungen etc.“ Die interviewten Frauen berichten von perversen Foltermethoden der Gestapo, von Schlägen auf die Genitalien und Vergewaltigungen, von Bloßstellung und Erniedrigung, vom Verlust der Kleidung und der Haare, aber auch von den unvorstellbaren Umständen, unter denen Frauen im Konzentrationslager Kinder gebaren und von den furchtbaren hygienischen Verhältnissen, denen sie sich insbesondere während ihrer Menstruation ausgesetzt sahen. Besonderes Augenmerk liegt auf einer Einrichtung, die in ihrer menschenverachtenden Perfidität kaum vorstellbar erscheint – den Lagerbordellen. So wurden seit 1941 in diversen Konzentrationslagern systematisch Bordelle eingerichtet, und weibliche Inhaftierte, insbesondere aus dem Lager Ravensbrück, wurden – unter der (selbstverständlich falschen) Inaussichtstellung besserer Haftbedingungen – dazu gebracht, sich „freiwillig“ für die Arbeit in diesen Bordellen zu melden. Dabei dienten die Lagerbordelle aus Sicht der Nationalsozialisten gleich einer ganzen Reihe von Zwecken: So waren die (auf rund 12 Minuten begrenzten) Besuche, die den Lagerinsassen als besonderes Privileg gewährt wurden, häufig genug Ansporn für die Häftlinge, ihre Arbeitsleistung noch weiter zu steigern; darüber hinaus sorgte diese „Prämienordnung“ auch für eine zunehmende Konkurrenz unter den Häftlingen, da eine Solidarisierung derselben verhindert werden sollte. Schließlich, und dies scheint vor allem Himmlers Hauptanliegen gewesen zu sein, leisteten sie auch einen Beitrag zur sogenannten „Rassenhygiene“: „Himmler war überzeugt, dass Homosexualität durch fehlenden sexuellen Kontakt mit Frauen mitbedingt sei. Er trat deshalb für die kontrollierte weibliche Prostitution und (daher) für die Einrichtung von Bordellen für Wehrmachtssoldaten, SS-Angehörige und männliche KZ-Häftlinge ein.“

Dass man angesichts solcher, rational kaum erfassbarer Gräuel bald an die Grenzen des überhaupt noch Sagbaren stößt, stellt Jelinek bereits zu Beginn des Bandes fest: „Ich spreche die ganze Zeit um das alles herum, weil ich es nicht aussprechen kann, aber das Buch sagt es, und dort sprechen diejenigen, die es überlebt haben, diese wenigen sprechen also selber. Ich will und darf ihnen hier nicht dreinreden, das wäre eine weitere Schändung.“ Gerade darin liegt aber zweifellos auch das kaum zu überschätzende Verdienst des Buches: Es wird den Betroffenen selbst Raum gegeben, in ihren eigenen Worten über das zu berichten, was ihnen angetan wurde. Dadurch wird, ganz im Sinne des jüdischen Historikers Emanuel Ringelblum, den nationalsozialistischen Tätern der vermeintliche Triumph genommen, ihre Opfer völlig ihrer Stimme und damit ihrer Individualität und Subjektivität beraubt zu haben.

Diesem zentralen Verdienst stehen in „Sexualisierte Gewalt“ sicherlich auch weniger positive Aspekte gegenüber: So zeigt etwa die Tatsache, dass sich die Autorinnen sprachlich sehr prononciert um politische Korrektheit bemüht haben, wie unnötig schwerfällig der Duktus von Texten durch die Verwendung des geschlechterinklusiven (und mittlerweile doch wohl schon wieder etwas antiquierten) Suffixes „-In“, etwa in „TäterIn“, „BibelforscherIn“ und RassenhygienikerIn“, werden kann. Weitaus schwerwiegender ist jedoch der Umstand, dass die Analysen und „Interpretationen“ der Interviewpassagen häufig primär zu langatmigen Paraphrasen geraten oder schnell in konjunktivische Spekulationen abrutschen, deren tatsächlicher Erkenntniswert – über das von den Interviewten bereits Gesagte hinaus – fraglich erscheint. Dennoch: Allen – primär formal-methodologischen – Einwänden zum Trotz ist „Sexualisierte Gewalt“ ein zweifellos notwendiges Buch, das es hoffentlich vermag, wie es Jelinek formuliert, auch noch über den kurzen Moment des Betroffenseins hinaus, „uns an irgendeinem Stück von unserem Gewand oder an etwas andrem hier fest [zu halten]“.

Kein Bild

Helga Amesberger / Katrin Auer / Brigitte Halbmayr: Sexualisierte Gewalt. Weibliche Erfahrungen in NS-Konzentrationslagern.
Mit einem Vorwort von Elfriede Jelinek.
Mandelbaum Verlag, Wien 2007.
359 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783854762195

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch