Programmierung des Schönen

Ein reichhaltiger Materialienband beleuchtet die Anfänge digitaler Ästhetik

Von Friedrich W. BlockRSS-Newsfeed neuer Artikel von Friedrich W. Block

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 10. August 2012 wurde die Philosophin und Literatin Elisabeth Walther-Bense 90 Jahre alt. Sie hat maßgebliche Schriften zur systematischen Philosophie und zur Semiotik verfasst. Mit ihrem geistigen Weggefährten und Gatten Max Bense hat sie die Zeitschriften „augenblick“, „semiosis“ und der Reihe „rot“ herausgegeben und bildete mit ihm den Kern des „Stuttgarter Schule“ genannten Kreises, von dem wesentliche Impulse für die Entwicklung von Wissenschaft, Poesie, Literatur und Kunst in ihrer Wechselwirkung ausgegangen sind.

Aus diesem Anlass ist auf ein interessantes, informatives und schön gestaltetes Buch hinzuweisen, das bereits im Jahr 2004 erschienen ist. Es widmet sich als kommentierter Materialienband dem mit dem Namen Bense verbundenen Zusammenhang von Theorie, Kunst und (Computer-)Technik seit den 1940er-Jahren. Das Spektrum dieses „Kaleidoskops“ – so der Titel der Reihe, in dem der Band erschienen ist – reicht von Max Benses Tätigkeit im Berliner „Labor für Hochfrequenztechnik“ seit 1941 und seiner im Band abgedruckten Schrift „Der geistige Mensch in der Technik“(1946) über Quellen zum regionalen und internationalen Netzwerk, das sich aus Benses Forschung und Lehre als Professor für Wissenschaftstheorie an der TH Stuttgart heraus bildete, bis zu den Auswirkungen der Stuttgarter Informationsästhetik insbesondere auf die Computerkunst der 1960er-Jahre.

Elisabeth Walther-Bense ist im Band neben einem Originalbeitrag zur Aleatorik von Henri Michaux insbesondere mit einem langem Interview vertreten, das die Herausgeber im Jahr 2003 mit ihr geführt haben. Darin berichtet sie über die Zeit seit dem Jahr 1946, in der sie den charismatischen Lehrer Bense als Studentin kennenlernte, um dann bei ihm zu promovieren und seine engste Mitarbeiterin, seine Partnerin und später auch Ehefrau zu werden. Viele wissenschafts- und kunsthistorische Details und Zusammenhänge sind hier zu erfahren, aber auch die Einsicht, dass diese in der Lebenspraxis verankert sind. Deutlich wird auch die seltene Gemeinschaft eines intellektuellen Paares, das eng zusammen lebt und arbeitet und sich dabei gegenseitig inspiriert. Die Interviewer hätten hier vielleicht noch ein klein wenig mehr auf Elisabeth Walter-Bense als Person und Forscherin selbst und nicht nur als Frau im Genitiv eingehen können, auf ihre eigenen Leistungen etwa zur Semiotik nach Peirce und zur avancierten französischen Philosophie und Literatur und auf deren Bedeutung für den mit Max Bense verbundenen Technikdiskurs.

Der Band ist klug und übersichtlich in fünf Kapitel eingeteilt, die zugleich einer historischen Entwicklung und einer zunehmenden Konkretisierung folgen: Geht es zunächst um „Metatechnik“ beziehungsweise um eine vor allem von Kybernetik angeregte, grundlegende Philosophie der Technik, folgen dann Materialien zur Informationsästhetik, zur Geschichte des Recheninstituts an der TH Stuttgart 1956-1964, sodann zu praktischen Ansätzen einer „Programmierung des Schönen“ und zur Formierung des Genres „ComputerArt“ in den 1960er-Jahren.

Die Herausgeberkommentare leisten jeweils historische und theoretische Einordnungen des dann folgenden Quellenmaterials, in dem sich neben wichtigen Essays Benses auch Perlen wie Theo Lutz’ Aufsatz über seinen Versuch mit „stochastischen Texten“ im Jahr 1959 oder das „Zagreb Manifesto“ von Gordon Hyde, Jonathan Benthall und Gustav Metzger aus dem Jahr 1969 zur Computer-Kunst finden.

Für heutige Diskurse zum Schnittfeld der Künste mit Computertechnologie liefert der Band also elementare historische Grundlagen und vermittelt besonders auch die theoretische Schärfe, mit der seinerzeit bereits künstlerische Experimente im elektronisch-digitalen Medium betrieben wurden.

Indem der Band auf ComputerArt zusteuert, lässt er, trotz der wiedergegebenen Materialien zu informationstechnischer Textästhetik, den weitläufigen literarisch-poetischen Komplex unterbelichtet, der mit Max Bense, Elisabeth Walther-Bense und weiteren Namen im Umfeld der „Stuttgarter Schule“ verbunden ist. Dabei sind die Stuttgarter Knoten konkreter und experimenteller Poesie für die gegenwärtige Entwicklung elektronischer oder Netz-Literatur beziehungsweise digitaler Poesie im internationalen Raum von großer historischer Bedeutung. Es ist an sich auch richtig, dass der Band sich hier bedeckt hält, da bereits bei Abfassung des Buches eine umfassende Materialiensammlung zu diesem Bereich im Internet vorlag (und bis heute weiter gepflegt wird): http://www.stuttgarter-schule.de/. Ein Hinweis auf diese von Reinhard Döhl und Johannes Auer begründete Sammlung wäre aber durchaus hilfreich gewesen.

In jedem Fall lohnt sich die Lektüre von „Ästhetik als Programm“ für alle, die sich mit dem Zusammenhang von Kunst und Computer beschäftigen.

Titelbild

Christoph Hoffmann / Barbara Büscher (Hg.): Ästhetik als Programm. Max Bense / Daten und Streuungen. Kaleidoskopien. Medien - Wissen - Performance. Band 5.
Institut für Theaterwissenschaft der Universität Leipzig, Leipzig 2004.
307 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-10: 3000141804
ISBN-13: 9783000141805

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