Herr im eigenen Haus?

Literarische Wohngeschichten der bürgerlichen Epoche – Zu Norbert Wichards Studie über das „Erzählte Wohnen“

Von Kristian DonkoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kristian Donko

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Jahr 1775 sorgt sich ein sächsischer Konrektor um die Inneneinrichtung bürgerlicher Wohnungen. Vor allem die Tapeten erregen den Unwillen des Pädagogen Westhof, böten sie doch oft Motive, die die Fantasie der Bewohner gefährlich erhitzen, so etwa „Landschaften“ aus „einer andern Welt“ und „Personen, deren Originale die Erde nie gesehen“ hat. Stattdessen plädiert Westhof im „Hamburgischen Magazin“ für eine Innenraumgestaltung, die die Moral und die Sitten der Bürger hebt und sie an ihre Pflichten und Zwecke erinnert. In diesem Sinne versprächen etwa „Begebenheiten aus der Geschichte des Vaterlandes“ oder gar Gesetzestexte als Tapetenmotiv Abhilfe gegen die besonders unter Jugendlichen grassierenden Fantastereien.

So skurril diese Vorschläge anmuten, sie veranschaulichen ein im späten 18. Jahrhundert entstehendes Interesse für die auf den Einzelnen einwirkende Materialität der bürgerlichen Kultur. Die den Menschen umgebende räumliche Ordnung erscheint nicht als quasi-natürliche Selbstverständlichkeit, sondern als gestaltete, machbare und damit sozial kodierte Umwelt. Entsprechend ist die Behausung nicht nur ein Ort, der vor Unwetter oder Wildtieren schützt oder an dem man ungestört schlafen und essen kann, sondern zugleich auch ein Spiegelbild des Bewohners, ein Ort mithin, der auf politische, moralische, psychologische Zeichen hin lesbar und damit auch für soziale Normierungen zugänglich wird. Damit überschneiden sich im Wohnraum exemplarisch individuelle Identitätssuche und Übernahme sozialer Funktionen, Innen und Außen des modernen Menschen.

So lässt sich im Kern auch der Leitgedanke einer Kölner Dissertation zum Thema Wohnen in der Literatur zusammenfassen, die 2010 von Norbert Wichard vorgelegt wurde und nun bei transcript erschienen ist. Darin wird die Epoche des bürgerlichen Wohnens im „langen 19. Jahrhundert“ untersucht – von der Sattelzeit um 1800 also, in der das Wohnen zum „Selbstvergewisserungs- und Abgrenzungsmechanismus“ der bürgerlichen Schichten werde, bis zum frühen 20. Jahrhundert, wo sich die bürgerliche Wohnkultur im Zeichen einer „Pluralisierung“ der Wohnformen zunehmend erschöpfe. Diesem Zeitraum widmet die Studie drei chronologisch angeordnete Großkapitel, die in der Hauptsache Interpretationen literarischer Texte bieten, flankiert von Ausführungen zu Diskursen der Psychologie, Mode, Architekturgeschichte et cetera.

Dem eigentlichen Untersuchungsteil geht jedoch eine Einleitung voraus, in der Wichard unter anderem klärt, was er unter bürgerlichem Wohnen verstanden wissen will. Die dabei genannten Merkmale sind geläufig: die Trennung von Wohnen und Arbeiten, die Beschränkung der eigentlichen Wohngemeinschaft auf Kleinfamilien, die Gegenüberstellung von öffentlichem und privatem Raum, die damit einher gehende Herausbildung einer innerfamiliären Intimsphäre sowie die Spezialisierung der Raumfunktionen, was eine exklusive Nutzung von Räumen bedingt (zum Beispiel Räume für den engsten Familienkreis, Empfangszimmer, Räume für Frauen, für Männer et cetera).

Auch der neu entstehende Wohnmarkt wird von Wichard genannt, für sein Vorhaben jedoch als von eher geringer Bedeutung eingeschätzt. Auf die den bürgerlichen Lebensstil beeinflussende Konsumkultur und zunehmende Massenfertigung hätte man an dieser Stelle (wie auch überhaupt) noch eingehen können. Ebenso wäre wohl eine Abgrenzung gegenüber der Wohn- und Lebenswelt der höfischen Kultur, die das bürgerliche Selbstverständnis im positiven Sinne wie auch insbesondere als Kontrastmodell zweifellos prägte, nicht fehl am Platz gewesen. Systematisch unberücksichtigt bleibt auch der Prozess zunehmender Urbanisierung. Dies wiegt umso schwerer, da gerade die Entwicklung der Städte das bürgerliche Wohnen mit seiner signifikanten Trennung von Innen und Außen entscheidend hervortreibt. Es kommt nunmehr zu einer Zivilisierung und Disziplinierung des Zusammenlebens, die zum Ausschluss des Körperlichen aus der Öffentlichkeit führt und etwa den Bereich der Hygiene, der Nacktheit und der körperlichen Bedürfnisse in die Intimsphäre des Hauses verlegt (bereits 1976 sprach Peter Gleichmann von einer bürgerlichen „Verhäuslichung der Vitalfunktionen“). Dass der im bürgerlichen Wohnen verdrängte Bereich des Körpers, zu dem auch die Sexualität gehört, hier ausgespart wird, ist daher nicht leicht nachvollziehbar; zumal Wichard selbst in der Thematisierung des „unter der Oberfläche Liegenden“, des „eigentlich Unsagbaren“ das Erkenntnispotenzial der Literatur für eine Beschreibung der bürgerlichen Wohnkultur ausmacht. Ungelöste sexuelle Spannungen, verdrängte Körperlichkeit, verleumdete Triebhaftigkeit ebenso wie die sozialen Arrangements zur Bändigung der Affekte und Begierden sowie Formen ihrer Sublimierung und Verdrängung sind aber allemal Themen dieser Literatur und dürften sich auch in Erzählungen vom bürgerlichen Wohnen niederschlagen.

Der Grund für solche Weglassungen liegt vermutlich in der methodischen Richtungsentscheidung des Autors. Trotz der Nähe seines Themas zu neueren kulturwissenschaftlichen Forschungen (Stichwort: spatial turn), verfolgt Wichard eine genuin literaturwissenschaftliche Absicht. So gehe es ihm darum zu zeigen, „inwieweit Wohnen eine Analysekategorie ist, die auch für eine philologische Untersuchung aufschlussreich sein kann“. Die „Einbindung kulturgeschichtlicher Positionen“ diene daher vor allem der „Erzähltextanalyse“.

Man mag dies als wohltuende Konzentration aufs philologische Kerngeschäft empfinden. Doch so ganz will Wichard auf den Brückenschlag zwischen Literatur und außerliterarischer Wohnkultur nicht verzichten. So möchte er auch belegen, wie die Literatur zum produktiven Faktor des bürgerlichen Wohndiskurses werde. Allerdings bleibt diese Ankündigung bloße Behauptung. Den Nachweis eines Erkenntniswerts der Literatur für eine Mentalitäts- und Kulturgeschichte des Wohnens erbringt die Studie nicht. Stattdessen illustrieren die vorwiegend textimmanenten Lektüren vor allem, wie zentrale Motive und Themen der literarischen Texte in Darstellungen des Wohnens wiederholt und verstärkt werden. Dies allerdings kenntlich zu machen, ist das eigentliche – wenn auch nicht immer auf der Höhe der eigenen Ansprüche liegende – Verdienst der Arbeit.

Das erste Hauptkapitel der Untersuchung behandelt die „Formierungsphase des bürgerlichen Wohnens in der Literatur“ um 1800. Darin zeichnet der Verfasser einleuchtend eine Entwicklung nach, die nicht nur vom Wandel des Wohnens an sich, sondern auch vom Sprechen über das Wohnen charakterisiert ist. Diskurse über Mode und Stil erweitern das Wissen und das Geschmacksrepertoire der Bürger bezüglich des Wohnens. Es komme damit zu einer Aufladung des Wohnens mit neuen Bedeutungen und damit zu einer Lesbarkeit der Behausungen, die nicht nur im Hinblick auf sozialen Status aussagefähig sind, sondern auch auf den Charakter der Bewohner schließen lassen. Mit anderen Worten: Je mehr der Bereich der Wohnung der Intimsphäre des Einzelnen zugerechnet wird, desto mehr wird das eigentlich Äußere, die Wohnsituation, zum Ausdruck seines Inneren, zum lesbaren Zeichen der verborgenen Psyche des Bewohners.

Zentral für Wichards Textanalysen ist somit der Befund vom Wohnen als „äußerlicher Verweisungskomplex auf die Psyche“. Diese Grundthese macht der Verfasser anhand unterschiedlicher Lektüren (unter anderem von Karl Philipp Moritz’ „Anton Reiser“, Johann Wolfgang Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, Erzählungen von Ludwig Tieck, E.T.A. Hoffmann, Achim von Arnim) plausibel. Prinzipiell unsichere Wohn- und Lebensentwürfe stehen hierbei meist im Zentrum. So wird etwa im „Anton Reiser“ deutlich, wie sich der Zusammenhang zwischen den seelischen Krisen des Protagonisten und seiner desintegrierten sozialen Existenz in prekären, oft wechselnden Wohnsituationen verdichtet. In diesem Sinne sei das Wohnen auch als Reflexion über das „Verhältnis von Individuum und Gesellschaft“ zu verstehen.

Gelegentlich vermisst man den Blick über den Tellerrand der bloßen Textdeutung, so etwa im Wilhelm Meister-Kapitel. Wichard arbeitet hier einleuchtend, hinsichtlich der um 1800 virulenten Frage nach dem ,richtigen’ Wohnen, die Dominanz rationaler beziehungsweise moralischer Zwecksetzungen gegenüber ästhetischen Anliegen heraus. Dass rationale Forderungen nach Brauchbarkeit, Vermeidung von Überflüssigem, Mäßigung et cetera im Kern einen Verdacht gegen alltagsästhetische Entscheidungen formulieren, dass sich hier auch ein Misstrauen gegen die vermeintlich übersteigerte Selbstemphase bürgerlicher Individuen artikuliert, bleibt allerdings unbeachtet. Inwiefern also der Rückzug des Bürgers in die eigenen vier Wände (wo unkontrolliert Leidenschaften und Genüssen nachgegangen werden kann), Versuche der Einflussnahme und Steuerung durch rationale und moralische Diskurse provoziert, scheint für den Verfasser nicht im engeren Sinne Thema einer Studie über bürgerliche Wohnerzählungen zu sein.

Das zweite Hauptkapitel widmet sich mit dem Biedermeier und dem Realismus dem ausgemachten Höhepunkt bürgerlicher Wohnerzählungen. Der Bürger suche nun im Wohnen vor allem Stabilität, Harmonie und Geborgenheit und damit nach einem Gegenentwurf zur (politischen) Öffentlichkeit, die nach der gescheiterten 1848er-Revolution als Sphäre der Ohnmacht erlebt werde. Dabei zeige die Literatur dieser Epoche, wie den Wohnentwürfen, und damit den bürgerlichen Identitätsentwürfen, immer schon eine Ambivalenz und Brüchigkeit eingeschrieben sei, allerdings ohne dass radikale Konsequenzen gezogen und bürgerliche Wohnprojekte grundsätzlich in Frage gestellt würden.

Mit dem Kapitel zu Romanen Theodor Fontanes gelingt Wichard hier eines der besten Stücke seiner Arbeit. Die Labilität der Innen-Außen-Verhältnisse sowohl beim Wohnen als auch hinsichtlich der Identitätentwürfe werde bei Fontane durch die Einbettung des Wohnens in größere, meist städtische Räume und deren sozialer Binnendifferenzierung kenntlich gemacht. Wichard zeigt, wie der erzählerische Blick auf den Raum eine soziale und psychologische Topografie entstehen lässt, aus der Handlungsweisen und Charaktermotive der Figuren abgeleitet werden. Auf diese Weise werden „die literarischen Wohndiskurse in die künstlerischen Subtexte und Codes verwoben, so dass diese selbst zu einem Leseschlüssel realistischer Literatur werden können“.

Unter dem Titel „Fragiles Wohnen“ zeichnet das abschließende Großkapitel das Bild einer Krise des bürgerlichen Wohnens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts. Es wird die zeitgenössische Kritik am dominierenden Stil des Historismus referiert, wonach das Wohnen zur Inszenierung einer bürgerlichen Scheinwelt verkommen sei, die die zentralen Funktionen des Wohnens – authentisches Bei-Sich-Sein, Stabilisierung der Identität, Abgrenzung des Inneren vom Äußeren – nicht mehr erfülle. Ausgehend von dieser Analyse liest Wichard Texte des Naturalismus und Ästhetizismus. Dabei sollen „noch einmal die Einflüsse des langen 19. Jahrhunderts“ auf die „Diskurse des bürgerlichen Wohnens in der Literatur“ nachvollzogen werden. Dies mündet beinahe zwangsläufig in eine Art Verfallsgeschichte. Gerade die Literatur des Ästhetizismus und der Dekadenz führen die Krise des Subjekts auch anhand seiner Wohnverhältnisse vor (besprochen werden unter anderem Hofmannsthals „Das Märchen der 672. Nacht“ und Thomas Manns „Buddenbrooks“). Das Versprechen vom „privaten Lebensraum“ als einen vom allgemeinen Leben und seinen Ambivalenzen „isolierten Ort“, entpuppe sich in ästhetizistischen Lebens- und Wohnentwürfen als pathologische Selbsttäuschung der Figuren.

So erzählen die bürgerlichen Wohnerzählungen um 1900 offenbar von der Sinnentleerung des bürgerlichen Wohnens, von verlorener Geborgenheit und Sicherheit und damit vom Verlust des Vertrauens in die eigene Lebensweise, letztlich also von zerrütteten Innen-Außen-Verhältnissen und dem Zerfall bürgerlicher Identitätskonstruktionen. Die geistige Obdachloslosigkeit der Bürger spiegele sich somit in der Krise des Wohnens.

Wichards Analysen in diesem Kapitel sind in sich stimmig, doch im Blick auf den Wandel der Wohnkultur seit Beginn des 20. Jahrhunderts auch recht einseitig; denn dieser muss nicht zwingend als Verfallsgeschichte erzählt werden. Die Auflösung starrer Innen/Außen-Verhältnisse des Wohnens können ebenso gut als Entwicklung mit eigenen Chancen, auch für die literarische Darstellung, beschrieben werden. So lässt sich die aus Sicht des 19. Jahrhunderts fatale Durchlässigkeit von Innen und Außen durchaus auch als Befreiung lesen. Gerade in der Großstadt lädt etwa die Vielfalt an Freizeit- und Konsumangeboten zur Flucht aus oft beengten Wohnverhältnissen ein, wobei der urbane Raum zur Spielwiese neuer Identitätsentwürfe und Selbsterfahrungsmöglichkeiten wird. Die Grenzen von Innen und Außen an der Schwelle zur Wohnungstür zu lokalisieren, wird vollends fragwürdig, wenn man die Anonymität und Mobilität der urbanen Lebensweise nicht nur als Authentizitätsverlust begreift, sondern auch als Chance auf neue, flexiblere Formen von individueller Selbstdarstellung, als Möglichkeit etwa, relativ frei von sozialer Kontrolle verschiedene Rollen und Lebenskonzepte auszutesten.

Dass solche neuen Subjekt- und Wohnentwürfe in Wichards Studie keine Rolle spielen, kann dem Autor freilich nicht zum Vorwurf gemacht werden, geht es ihm doch explizit um die Untersuchung der normbildenden Wohnkultur des 19. Jahrhunderts. Doch offenbart dieser Seitenblick ein grundlegendes Problem der Studie. Über weite Strecken fehlt ihr ein begriffliches und methodisches Instrumentarium zur Beschreibung der feinen Unterschiede in der bürgerlichen Wohnkultur, sowohl innerhalb als auch vor allem außerhalb der literarischen Texte. So lassen die Darstellungen der einzelnen Wohnepochen klare Konturen vermissen. Stattdessen greift Wichard bei der Profilierung der gewählten Zeitabschnitte immer wieder auf Bekanntes und wenig Überraschendes zurück: Das Wohnen um 1800 changiere zwischen traditionellen Lebensformen des ‚ganzen Hauses‘ und der problematischen Selbstfindung des Bürgertums. Nach 1848 ziehe sich das resignierende Bürgertum ins Private (lies: in die Wohnung) zurück. Das Dekadenzbewusstsein, also die Ermattung und Lebensuntüchtigkeit bürgerlicher Subjekte, finde seinen Ausdruck in der literarischen Inszenierung des Wohnens. Wer Huysmans „Gegen den Strich“ gelesen hat oder Walter Benjamins Beschreibungen des „Etui-Menschen“, wird sich von solchen Einsichten kaum kalt erwischen lassen.

Diese Mängel sind allerdings weniger den Einzelanalysen der literarischen Texte anzukreiden, die für sich genommen oft lesenswert sind. Sie haben ihre Ursache in der methodischen Grundlegung der Arbeit. Trotz des in der Einleitung betriebenen Aufwands gelingt es dem Verfasser nämlich nicht, seiner Arbeit ein eigenständiges Forschungsprofil anzupassen. Vor allem die Auseinandersetzung mit themenverwandten Forschungen innerhalb und außerhalb der Literaturwissenschaft bleibt kursorisch und zielt oft haarscharf am Wesentlichen vorbei. Ergebnisse aus der Soziologie, Kulturwissenschaft, Architekturgeschichte, Konsumgeschichte werden bestenfalls angerissen, ohne dass es zu einer produktiven Diskussion von Argumenten, Kontroversen und Thesen kommt. Doch gerade diese wäre notwendig, um eigene Positionen zu entwickeln und erzielte Forschungsgewinne nachvollziehbar zu machen. Stattdessen hält sich Wichard mit nebensächlichen terminologischen Klärungsversuchen auf, die eher zur Verwirrung beitragen. So geht es etwa über mehrere Seiten um den verwendeten Diskursbegriff, der sich am Ende dadurch auszuzeichnen scheint, dass er sich selbst (beziehungsweise die Grenze zwischen literarischen und außerliterarischen Diskurs) zum Verschwinden bringt und in der Folge nicht mehr beim Interpretieren der Texte lästig wird. Auch der immer wieder auftauchende Hinweis darauf, dass das „Wohnen zu den unumgänglichen anthropologischen Grundkostanten“ gehört, mag beim ersten Mal noch sinnvoll sein, verliert aber in der Wiederholung seine Berechtigung, da erstens explizit die Historizität des Wohnens Thema der Studie ist und sich daher zweitens aus der anthropologischen Dimension des Wohnens keinerlei praktische Konsequenzen für die Untersuchung ergeben. Ärgerlicherweise annonciert die Einleitung zudem Themen, ohne im Untersuchungsteil diese Ankündigungen einzulösen, so etwa die Frage nach dem Gender-Aspekt des bürgerlichen Wohnens oder die Unterscheidung von ländlichem und städtischem Wohnen.

Wie es anders geht, hat unlängst Ines Lauffer in einer Studie über die „Poetik des Privatraums“ in der Neuen Sachlichkeit gezeigt. Ihre Arbeit gewinnt in der Auseinandersetzung mit Forschungspositionen nicht nur einen originellen Zugang zu den Primärtexten, sondern verspricht auch eine veränderte Sicht auf die untersuchte kulturgeschichtliche Epoche. Damit verleiht Lauffer ihren Textanalysen eine überzeugende und tragfähige Basis. Der im selben Verlag erschienenen Arbeit von Norbert Wichard fehlt diese Klammer. Nach 300 Seiten spröder Wissenschaftsprosa drängt sich zu oft der Eindruck von Redundanz und Oberflächlichkeit auf. Die größtenteils soliden Einzelbausteine der Studie vermögen daher nicht darüber hinweg zu täuschen, dass das Gebäude im Ganzen auf wackligen Füßen steht.

Titelbild

Norbert Wichard: Erzähltes Wohnen. Literarische Fortschreibungen eines Diskurskomplexes im bürgerlichen Zeitalter.
Transcript Verlag, Bielefeld 2011.
335 Seiten, 32,80 EUR.
ISBN-13: 9783837618990

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch