Und der Feind trommelt…

Die Hör-Edition von Edlef Köppens Roman Heeresbericht zeigt das Irrewerden am Irrsinn des Krieges als vielstimmige Kollage

Von Veit Justus RollmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Veit Justus Rollmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Während bei vielen Hörbuch-Produktionen ein einzelner Sprecher mit der Vielstimmigkeit des guten Vorlesers den vielen Stimmen einer Erzählung seine eigene Stimme leiht, unterstützt die Entscheidung des Verlags, für viele Stimmen viele Sprecher zu wählen, in beeindruckender Weise ein zentrales literarisches Stilmittel Köppens: die Kollage.

Köppen kombiniert in seiner Erzählung der Fronterfahrungen des unspektakulären (was nicht mit schlicht zu verwechseln ist) und gerade deshalb so authentischen Kriegsfreiwilligen Adolf Reisiger ein Florilegium der unterschiedlichsten Zeitdokumente mit den eigentlichen Erzählpassagen. Neben den Reden der großen Befehlshaber, Parlamentarier und Monarchen – allen voran des letzten Kaisers des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation Wilhelm II – werden Verhaltensregeln für Offiziere auf Heimaturlaub, Anweisungen der Heereszensurstelle an die vom Krieg schreibende Zunft, Appelle deutscher Frauen gegen die Umtriebe der zuchtlosen „Gefangenenliebchen“ und nicht zuletzt Werbung aus den zeitgenössischen Printmedien eingearbeitet, durch die man – gleichermaßen zum Ärger wie auch zur Belustigung der Feldgrauen und „Frontschweine“ in den vordersten Gräben und in der Etappe – aus dem Krieg Kapital zu schlagen suchte: „Auch ohne Wasser wird der Frontsoldat sauber, wenn er sich mit Kiri Trockenseife reibt und die Miederware Thalysia-Edelformer betont die Weiblichkeit selbst der zu üppig geratenen deutschen Frau ohne Anleihen bei den fragwürdigen bis unwürdigen, mondänen Dessous der Erbfeinde in Paris.“

Die Stimmen vieler bekannter Hörbuchsprecher und Schauspieler, die der Verlag für die Höredition des „Heeresberichts“ gewinnen konnte, bringen diese Kollage eindrucksvoll zum klingen. Wenn etwa Köppen an einer der vielen literarisch hochverdichteten und manches Mal die Grenze zur Poesie fließend machenden Stellen seines Romans die Schrecken des scheinbar endlosen Trommelfeuers aus der Perspektive seines Protagonisten und eines seiner Kameraden schildert, die gemeinsam in endlosem Regen und Feuer vom Himmel in einem Granattrichter sitzen, der allmählich vollläuft – wissend, das, wenn Regen und Feuer nicht zeitnah enden, ihnen nur die Wahl zwischen Ertrinken und zerfetzt werden bleibt, werden nüchterne Beschreibungen aus einem Buch zur Kriegswaffentechnik zwischengeschaltet: „Die 35 cm Infanteriegranate wiegt 324 Kilogramm. Sie dringt acht Meter achtzig tief ins Erdreich, krepiert mit der Wucht des Anpralls eines D-Zuges von 10 Waggons a 50 Tonnen bei 84 Stundenkilometern Fahrt und schleudert 8110 Splitter umher.“

Köppens Komposition unterschiedlicher und heterogener Schilderungen lässt an Aldous Huxley, einen weiteren Meister der Kollage von Texten denken. Es erscheint absurd, dass Menschen und Tiere sich in einer Luft bewegen, in der Myriaden scharfgezackter und glühend heißer Todesboten umherschwirren; dass sie darin leben, arbeiten, kämpfen, essen und schlafen. Die eingestreuten sachlichen Beschreibungen erhöhen den Schrecken in einer Weise, die etwa durch detaillierte Schilderungen von Verwundungen wie etwa in den Kriegstagebüchern Ernst Jüngers kaum übertroffen werden kann. Die literarische Kontrapunktik Köppens wird durch die Höredition kongenial vertont.

Von den vielen Stimmen, die den Heeresbericht hörenswert hörbar machen, seien zwei herausgegriffen. Da ist einerseits der während der Produktion der Hörbuch Edition verstorbene große Charakterschauspieler Gerd Haucke zu nennen, dessen unverkennbar nuschelndes Organ den deutschen Kaiser gibt. Ihm und seinem Andenken ist das Hörbuch zugeeignet. Haucke verstärkt mit seinem Nuscheln und Silben-Verschlucken die Absurdität mancher Kaiserrede angesichts des Kriegsverlaufes. Ebenso zu nennen ist der Sprecher der eigentlichen Erzählung um den kriegsfreiwilligen Studenten Adolf Reisiger. Peter Bieringer gibt Reisigers Geschichte und Gedanken wie ein exzellenter Vorleser wieder; ein Vorleser, der die Interpretation dem Zuhörer überlässt. Bis auf wenige Stellen lässt er dem Text sein Recht, bleibt in seinem Dienst, ohne dem Leser seine eigene Lesart durch die Art seines Sprechens aufzunötigen. Sein und Köppens Reisiger ist kein Held, aber er ist aufgrund seines Pflichtgefühls tapfer – eines Pflichtgefühls, dessen Quelle weniger politische Meinung und Kriegszielglaube als vielmehr die Erfahrung der Kameradschaft an der Front ist. Er ist überzeugt von der Richtigkeit seiner Meldung zum Dienst an der Front, ohne dass er vor Lust oder Enthusiasmus bebt. Die Begeisterung, von der im Klappentext der Hörbuch Edition die Rede ist, bleibt im Gegensatz zu Erich Maria Remarque bei Köppen eher verhalten bis unspürbar. Während der Protagonist von „Im Westen nichts Neues“ trunken von Wacht am Rhein und der fanatischen dulce et decorum est pro patria mori-Litanei seines Lateinlehrers in die Schlacht an der Westfront zieht, ist Köppens Reisiger einfach Kriegsfreiwilliger. Punkt. Freiwilligkeit setzt eine gewisse Begeisterung für die Sache, ein hohes Pflichtgefühl voraus. Im Roman geschildert wird sie nicht. Wahrer ist das schnelle Ersticken der wie auch immer gearteten Euphorie. Dem geradezu gierigen Wittern nach dem „Wo?“ von Feind, von Schlacht, von Front, weicht die kalte Ernüchterung im Angesicht der Banalität des maschinellen Getötetwerdens: Da steht ein Mensch, es knallt kurz und scharf und der Mensch liegt da und wird in seinem Leben niemals wieder eine linke Hand haben. Das ist schlicht ekelhaft. Ekelhaft und unsinnig wie das ganze immer weiter ausufernde Völkerschlachten in Gift, Eisen, Blut und Schlamm.

Reisiger ist dennoch in vielen Situationen auf unspektakuläre Weise heldenhaft. Er ist kein Drückeberger, steigt mit von der Ruhr verwüsteten Därmen aufs Pferd und geht mit den Kameraden nach vorn: „totgeschissen oder totgeschossen, das ist doch schon ganz egal Herr Hauptmann“. Dieses mit Fatalismus gepaarte unprätentiöse Heldentum, das so über vier grauenhafte Jahre in jedem Abschnitt der West- und Ostfront sicher jeden Tag und an jeder Stelle zu finden war gründet nicht nur in der Fronterfahrung, sondern zudem in der völligen Zerstörung der Rückkehroption. Der Heimaturlauber Reisiger wünscht sich schnell zurück zu seiner „eisernen“ Batterie des Feldartillerieregiments 96. Die Kneipenparolen der Veteranen von 1870/71 („Ihr Jungens werdet wohl faul da vorne. Im Vergleich zu unserem Krieg ist das doch ein Spaziergang. Das bisschen Gas“) und die Tränen der Mütter, die fließen, obschon man sie über die Realität des Krieges andauernd belügt, sind schlimmer als das Flattern der schweren Luftminen, denen man sich im Sprung in den nächsten Unterstand entziehen kann.

Bieringers Stimme macht Köppens Text nicht nur hör-, sondern auch verstehbar. Das überdrüssig bis schließlich Irrewerden Reisigers – ohne aber an der Front zu meutern oder zu desertieren – ist auch ohne Pathos in der Stimme des Sprechers nur allzu plausibel.

Zwei weitere Aspekte sind im Hinblick auf die Hörbuch Edition von Edlef Köppens Heeresbericht zu erwähnen. Zunächst das Artwork der Edition – genauer die zeitgenössischen Kriegsfotografien auf den Pappschubern der Tonträger. Parallel zur Steigerung der Schrecken des ersten modernen Weltbrandes durch den Text der elf CDs, wird der Schrecken durch die Bilder gesteigert – von blumengeschmückten Zügen Richtung Westfront, über entstellte Landschaften, entstellte Gesichter, Verwesung ohne Gräber bis zum Höhepunkt der Felder, aus denen die Saat des Todes zahllose stumme Kreuze sprießen ließ. Die Fotografien werden durch die Bilder aus Karmers gespenstischem Gemäldezyklus „Landschaft und Tod“ im Booklet ergänzt. Ferner die wenigen eingestreuten Musikstücke. Die Kinderstimmen in Johannes Kirchbergs „Kinderlied“ mit ihrer Frage „Wo wohnt der liebe Gott?“ und der Antwort, die jeder Mensch angesichts des Grauens von Menschen begonnener Kriege schuldig bleiben muss, rufen eine Gänsehaut hervor.

Köppens Heeresbericht steht zu Unrecht im Schatten anderer Schilderungen des ersten Weltkriegs. Die Hörbuch Ausgabe in der Edition Apollon wird sicher das Ihrige dazu beitragen, zu neuer Beschäftigung mit einem Buch anzuregen, das zum Kanon der Schulliteratur gehören sollte.

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Edlef Köppen: Heeresbericht. 12 CD.
Edition Apollon, Königs Wusterhausen 2012.
39,90 EUR.
ISBN-13: 9783941940116

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