Müder Aufguss von Altbekanntem

Niklaus Meiers diskursanalytischer Ansatz in seiner Studie „Die Sinndeutung des Kriegers in der deutschen Militärelite“ erbringt nur geringe Resultate

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Krieg sei schrecklich wie des Himmels Plagen, lässt Schiller den jungen Max Piccolomini zu seinem Vorbild Wallenstein sprechen. „Doch ist er gut, ist ein Geschick wie sie.“ Diese Metapher des Krieges als zwar grausamer, jedoch naturnotwendiger Teil der menschlichen Zivilisation wurde auch gern und oft von der deutschen Militärelite seit 1871 bemüht. Nur den oberflächlichen Betrachter könnten seine unbestreitbaren Schrecken erschüttern, wer aber, so der damals gängige Topos der Militärs, mit der Geschichte vertrauter sei, müsse auch erkennen, dass vom Kriege – gemeint war hiermit natürlich der klassische Staatenkrieg – wohltätige und reinigende Impulse für die großen Völker ausgegangen seien. Allein der Krieg befördere, so der ältere Moltke in einem Brief an den Schweizer Völkerrechtler Johann Caspar Bluntschli, die genuin sozialen Tugenden des Mutes und des Opfersinnes. Der ewige Friede dagegen berge nur die Gefahr, glaubte der gefeierte Sieger von Königgrätz und Sedan mit einem deutlichen Seitenhieb auf Großbritannien, dass sich überall der blanke Materialismus ausbreite. Ohnehin sei der ewige Friede nur ein Traum der Aufklärungsphilosophen und überdies kein schöner.

Der Schweizer Historiker Niklaus Meier hatte sich seiner in von der Universität Zürich angenommenen Dissertation die Aufgabe gestellt, die gängigen und wirkungsmächtigsten Kriegsdeutungen der deutschen Militärelite seit den Einigungskriegen bis zum Zusammenbruch von 1945 einer detaillierten Analyse zu unterziehen. Dabei stützt er sich – ganz im Fahrwasser des inzwischen gängigen Konstruktivismus – auf ein historisches Diskusmodell, dem es nicht darum geht, in hermeneutischer Absicht die Genese der analysierten Ansichten oder das darin tatsächlich Gemeinte zu Tage zu fördern. Meier beschränkt sich vielmehr ausschließlich auf die Rekonstruktion eines Argumentationsraumes, der durch bestimmte Denkmuster, Begriffe und Metaphern geprägt oder vorfiguriert gewesen sein soll und in dessen Mittelpunkt die Sinndeutung des Krieges vor dem Hintergrund einer Machtstaats- oder später Volkstumsmetaphysik stand. Nach Ansicht der Vertreter dieses sich auf Michel Foucault berufenden Modells bildeten die in dem Diskursraum verwendeten Begriffe und Denkmuster eine Art gedanklichen Käfig, in dem sie sich immer wieder reproduzierten und aus dem nur wenige der erwähnten Autoren auszubrechen vermochten.

Gruppiert um einige Hauptthemenfelder wie Machtstaat, Bellizismus, Sozialdarwinismus oder totaler Krieg arbeitet Meier im Hauptteil seiner Studie fleißig die Äußerungen der prominentesten Soldaten und Militärschriftsteller vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis in die Endphase des Dritten Reiches ab. Der Verfasser präsentiert dabei allerdings keine neuen Quellen, sondern referiert die meist schon hinreichend bekannten Aussagen der üblichen Verdächtigen wie Helmuth von Moltke, Colmar von der Goltz, Friedrich von Bernhardi oder Erich Ludendorff.

Natürlich kommen auch weniger bekannte Autoren der zweiten Reihe wie etwa der preußische General Albert von Boguslawski zu Wort. Außer ihrer chronologischen Anordnung ist aber für den Leser ein zusätzliches Ordnungskriterium für die genannten Textausschnitte nicht ersichtlich. Meiers Text erinnert sogar eher an einen Stafettenlauf der Begriffe. Hat ein Autor etwa ein Schlagwort genutzt, erlaubt es Meier, zum nächsten Autoren zu wechseln, der ebenfalls diesen Begriff genutzt hat. Es wird aber dabei nicht deutlich, in welchem Debattenkontext die zitierten Aussagen einzuordnen wären. Weshalb wurden die Texte überhaupt verfasst? Haben etwa die genannten Autoren aufeinander Bezug genommen?

Vielfach war das wohl der Fall, aber bei Meier erfährt der Leser kaum etwas darüber. Was sein Diskursmodell eigentlich aufzeigen soll und worin genau seine Vorteile liegen könnten, wird jedenfalls in seiner Studie nicht deutlich. Hier wäre vielleicht doch besser ein ideengeschichtlicher oder zum Teil sogar biografischer Ansatz zu verfolgen gewesen, um die Protagonisten der wichtigsten Deutungsversuche genauer zu betrachten. Wie war ihr geistiger Werdegang und unter welchen Einflüssen standen sie? Auch ist nicht zu verstehen, weshalb Meier überhaupt nicht auf die Besonderheiten der häufig genutzten Diskursforen eingeht. Auf die Rolle etwa der wichtigsten Militärzeitschriften in Preußen-Deutschland, auf ihre Herausgeber und deren redaktionelle Politik sowie auf die erreichte Leserschaft geht Meier erstaunlicherweise überhaupt nicht ein. Auch wäre zu fragen gewesen, ob der „Schwertglaube“ der Militärs sich tatsächlich nur auf die Soldaten beschränkt hat. Eine Ausnahme bildet immerhin Max Jähns, doch ansonsten taucht der bürgerliche Militarismus, den die Forschung inzwischen für die wilhelminische Zeit herausgearbeitet hat, bei Meier gar nicht auf. Muss man noch erwähnen, dass es vielleicht weiterführend gewesen wäre, zumindest ansatzweise ähnliche Denkmuster auch bei ausländischen Militärs aufzuspüren?

Wenn man aber nun weder die Genese, noch den Kontext oder wenigstens die Intentionen der Verfasser in Betracht ziehen will, wie es das historische Diskursmodell offenbar ausschließt, so bleiben letztlich nur eine Reihe blutleerer Begriffe oder Theoreme, die Meier immerhin fleißig entlang der Zeitachse und unter den bereits genannten Themenfeldern geordnet hat. Ob sie tatsächlich im Sinne einer Diskurstheorie das Denken der Militärelite geprägt oder gar gesteuert haben, wird jedoch durch seine Arbeit nicht deutlich. Wenn eine geschlossene Kaste von Berufsmilitärs tatsächlich in einheitlichen Begriffen und Argumentationsmustern gedacht hat, könnte dies auch andere Ursachen gehabt haben, etwa eine in diesen Kreisen verbreitete hohe Bereitschaft zur Konformität. Am Ende muss Meier sogar ehrlicherweise einräumen, dass eine Schwerpunktverlagerung, welche die Subjekte wieder in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt, durchaus sinnvoll wäre. Immerhin diesen bescheidenen Erkenntnisgewinn hat seine Arbeit erbracht.

Titelbild

Niklaus Meier: Warum Krieg? Die Sinndeutung des Krieges in der deutschen Militärelite 1871-1945.
Schöningh Verlag, Paderborn 2012.
352 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783506773630

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