Gereimte Wochenkommentare

Erich Kästners bissige Anmerkungen zur Weimarer Republik

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erich Kästner (1899-1974), vor allem bekannt durch seine Romane und Kinderbücher, hat in den Jahren 1928 bis 1930 im Berliner „Montag Morgen“ wöchentlich ein Gedicht veröffentlicht. Das erste erschien am 11. Juni 1928 und hatte die legendäre Droschkenkutschfahrt von Gustav Hartmann von Berlin nach Paris zum Inhalt. Das letzte Gedicht vom 22. April 1930 war dagegen eine humorvolle „Osterpredigt“. Nur siebenmal kam die linksdemokratische Wochenzeitung, zu deren Mitarbeitern auch Walter Mehring, Erich Mühsam, Carl von Ossietzky und Erich Weinert gehörten, ohne Kästners Montagsgedicht heraus.

Die gereimten Wochenkommentare erschienen erstmals 1989 in Buchform im Aufbau Verlag als Taschenbuch in der damals beliebten bb-Reihe (Band 636). Nach über zwanzig Jahren liegen sie nun in einer repräsentativen Ausgabe im Zürcher Atrium Verlag vor, der sich in den letzten Jahren als „Erich-Kästner-Verlag“ verdient gemacht hat.

Kästners „Montagsgedichte“ sind bissige Anmerkungen zur Weimarer Republik, deren Politik und Gesellschaft ihm genügend Stoff für seine gereimten Wochenbilanzen boten. Auch den Alltag und seine Menschen nahm er immer wieder zur Zielscheibe, und so spiegeln sich in den Versen die kleinen und großen menschlichen Schwächen wider.

Ob das Baumblütenfest in Werder an der Havel, der Berliner Presseball, die eigene Lesereise nach Köln, die Atlantik-Überquerung des Luftschiffs „Graf Zeppelin“ oder die betrügerischen Geschäfte von Hugo Stinnes – alles hat Kästner aufs Korn genommen.

Zu den knapp hundert Gedichten gibt es kurze Kommentare, die dem Leser Hinweise zu ihrer Entstehung sowie den Ereignissen und Personen geben. Diese Anmerkungen zum besseren Verständnis basieren auf den bb-Kommentaren von Alexander Fiebig, die für die vorliegende Atrium-Ausgabe verändert beziehungsweise ergänzt wurden.

Außerdem hat Marcel Reich-Ranicki, ein ausgewiesener Kästner-Verehrer, ein Vorwort geschrieben, in dem er darauf verweist, dass es an der Zeit ist, den Dichter nicht nur als Kinderbuchklassiker und Moralisten zu sehen. Und diese Gedichte tragen dazu bei – immerhin entstanden sie zur selben Zeit, als Kästner mit „Emil und die Detektive“ der literarische Durchbruch gelang.

Titelbild

Erich Kästner: Die Montagsgedichte.
Mit einem Vorwort von Marcel Reich-Ranicki.
Atrium Verlag, Zürich 2012.
224 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783855353811

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