„Fug sprechen gibt es nicht.“

Zu Wolf Haas’ Roman „Verteidigung der Missionarsstellung“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Jetzt ist schon wieder was passiert.“ Dieser bis 2003 („Das ewige Leben“) alle Brenner-Krimis einleitende Satz, der längst zur Kultphrase geworden ist, kann – wie auf vieles andere auch – auf „Verteidigung der Missionarsstellung“, den neuen Roman von Wolf Haas angewandt werden. Wie schon in seinem 2006 erschienenen Roman „Das Wetter vor 15 Jahren“ hat der 1960 in Maria Alm in Österreich geborene Autor auch hier erneut das Buch im Buch und den Autor Wolf Haas als Romanfigur in Szene gesetzt. Hauptfigur des wieder einmal thematisch und formal auf kuriose und herausfordernde Weise überraschenden Buches ist Benjamin Lee Baumgartner, der sich während dreier globaler Lebensmittelkatastrophen immer am Ursprungsort aufhält und sich dort auch jedes Mal verliebt. So geschieht es zum ersten Mal in 1988, als er in London eine Beefburgerverkäuferin trifft, die ihm von der „madcowdisease“ oder auch „Kuhekrankheit“ berichtet, was ihn, den flugs Verliebten, jedoch nicht davon abhalten kann, bei ihr einen Burger zu kaufen und diesen auch zu verzehren. „Achtzehn Jahre nachdem er am Greenwich Market Bekanntschaft mit der Rinderseuche gemacht hatte, flog Dr. Benjamin L. Baumgartner nach Peking, um an der Vogelgrippe zu erkranken.“ So beginnt der zweite bedeutende Abschnitt, der den Protagonisten in der chinesischen Hauptstadt während eines internationalen Übersetzertreffens zeigt, wo er, dem Indianer aus dem Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ ähnelnd, eine Kollegin trifft, die der holländischen Volleyballspielerin Manon Flier ähnelt. Und wie schon damals in London tauschen die beteiligten Liebenden oder Verliebten ihre Namen nicht aus, bleiben sich also zumindest in diesem Punkt lange fremd („Ich finde, wenn man erst einmal den Namen weiß, ist der Zauber schon zerstört.“). „Bienenbüttel 2011“ ist das vorletzte Kapitel überschrieben, in dem der „Ich“ sagende Autor im Buch kundtut, das Benjamin Lee Baumgartner dort auf einer Sprossenfarm arbeitet, weil er eine Touristin kennengelernt hat, die dort ebenfalls arbeitet. Es hat ihn also an den Ausbruchsort der Durchfallepidemie Ehec verschlagen.

So weit, so einigermaßen verständlich und geradlinig und unterhaltsam. Doch Haas hat in „Verteidigung der Missionarsstellung“ eine Fülle von intelligenten Gags eingebaut, Fährten und Spuren ausgelegt, so dass man aus dem Googeln und bei Wikipedia-recherchieren gar nicht mehr herauskommt. Angeblich hat der Held des Buches seine Vornamen wegen des in den 1960er-Jahren sehr populären Linguisten Benjamin Lee Whorf, der unter anderem auch über indianische Linguistik geforscht hat. Hier verweist Haas auf seine eigene Vita, hat er doch ebenfalls Linguistik studiert und zeigt somit an, dass ihm beim Verfassen eines Buches der sprachliche Aspekt und die Theorie der Sprache ein Anliegen sind. Dies kommt noch deutlicher zum Ausdruck im ersten von mehreren Kapiteln, die mit „Die Baum“ überschrieben sind. Darin erfahren wir vom Autor im Buch – Wolf Haas –, der über sich sagt: „Seit 1996 lebe ich davon, Bücher zu veröffentlichen.“ Tatsächlich erschien damals der erste Brenner-Krimi „Auferstehung der Toten“, für den der Autor ein Jahr später den Deutschen Krimipreis erhielt. In dem ersten „Die Baum“-Kapitel also erzählt der Im-Buch-Wolf Haas, wie er Benjamin Lee Baumgartner kennengelernt hat (und dessen Frau, die er dann später „die Baum“ nennen wird): Sie waren Zimmernachbarn und als „sie nach einigen Tagen oder Wochen eine Bumspause einlegten, klopfte es inmitten der ungewöhnlichen Stille sehr laut an meiner Tür.“ Benjamin stand in der Tür, und während sein Gastgeber einen Kaffee machte, betrachtete er die im Zimmer aufgehängten Zitate des Philosophen Quine und des Semiotikers Sebeok. Soweit also zu diesem Aspekt von Haas’ herrlich leicht lesbaren, blitzgescheiten und überbordend komischen neuen Romans, der zusätzlich mit formalen und typografischen Wunderkerzen aufwartet, dass es eine wahre Freude ist und man am liebsten alle beschreiben möchte. Nur so viel: wenn Benjamin im Buch singt, sind die Notenlinien, Noten, Vorzeichen et cetera abgedruckt. Wenn die Holländerin und ihr Kollege in Peking beim Essen sind und sie sich, da sie chinesisch spricht, mit dem Kellner unterhält, sind diese Dialoge logischerweise in chinesischen Schriftzeichen dargestellt. Wenn Benjamin in London von seinem Besuch im Paisley-Museum erzählt, nimmt ein Satz die Form des Paisleymusters an (das nochmal auf dem Pappband des Buches eingeprägt auftaucht). Und so müssen folgerichtig mehrere Seiten, die auf die Aussage folgen, etwas wurde quergelesen, auch quer gedruckt sein. Dass das alles den Lesefluss nicht stört, liegt daran, dass Wolf Haas mit diesem Buch eine so herrlich kauzige Geschichte erzählt, den Leser allein auf der inhaltlichen Ebene – von der hier vieles noch gar nicht erwähnt wurde – bereits so beglückt, dass man dem an der Konkreten Poesie geschulten Autor, der sich auf dem Schutzumschlag des Buches hinter einem streng und trocken wirkenden, an die edition suhrkamp erinnernden Buch zu erkennen gibt, diese Mätzchen schulterzuckend nachsieht. Oder diese gestalterischen Elemente eben nicht als Mätzchen, sondern als formal notwendige Bestandteile anerkennt, die vielleicht dazu beitragen können, andere Bücher, die schon optisch schwer zugänglich erscheinen (wie zum Beispiel Mark Z. Danielewskis „Only Revolutions“), unbefangen anzugehen.

Titelbild

Wolf Haas: Verteidigung der Missionarsstellung.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2012.
240 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783455404180

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch