Königlich-coole Crime Fiction

Don Winslow erzählt in „Kings of Cool“ eine rasante kalifornische Teufelspaktgeschichte aus der Drogenszene

Von Michael BraunRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Braun

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Don Winslow ist der kalifornische Alfred Hitchcock unter den Krimiautoren. Seine auch in Deutschland mehrfach ausgezeichneten Bücher über die Drogenhölle im Surfer-Paradies, die Boone-Daniels-Krimis (2008 und 2009), die beiden „Savages“-Romane und die sogenannten „Standalones“ (seine nicht-seriellen Krimis seit 1997) sind temporeich und hochspannend. Die Plots sind intelligent und von abgründigem Witz, die Sprache ist drehbuchreif. „Savages“, Oliver Stones Verfilmung von Winslows 2010 erschienenem Roman „Zeit des Zorns“, kommt im Oktober 2012 in die deutschen Kinos. Der Film hat in den USA nicht die Jugendfreigabe erhalten. Das liegt an den stets präsenten Tabuthemen Drogen, Sex und Gewalt, die aber den Worten des 1953 geborenen Autors nach nicht an die Wirklichkeit des amerikanisch-mexikanischen ,Drogenkriegs’ heranreichen.

„Kings of Cool“, der neue Winslow, rasant übersetzt abermals von Conny Lösch, erzählt die Vorgeschichte zu „Zeit des Zorns“, mit anderen Worten: die Genese der harten Drogenszene aus dem Geist der Hippiebewegung, die von moralischem Kontrollverlust und sozialer Anarchie erfasst wird. Dieses komplexe Erklärungsbild ist der Horizont, vor dem sich Winslows „Savages“-Geschichten abzeichnen. Das bedarf eines wenigstens kurzen Hinweises auf das, was in „Zeit des Zorns“ geschieht, den man kennen sollte, wenn man wissen will, wie die „Kings of Cool“ wurden, was sie sind. „Zeit des Zorns“ (2011 in deutscher Sprache erschienen) stellt die mächtige menage-à-trois von Ben, Chon und O vor. Sie bilden ein junges Drogenkartell der etwas anderen Art in den Jahren nach „9/11“. Ben ist das Gehirn der mit exklusiven Drogen hantierenden Gruppe, der Afghanistan-Veteran Chon ihr verlängerter Arm, und die wohlstandsverwahrloste Hippietochter Ophelia das schönste Gesicht, das man sich zu diesen von Eifersucht unbehelligten Männern denken kann. Zu ihrem Unglück geraten sie in die erpresserischen Fänge eines noch mächtigeren mexikanischen Kartells, O wird entführt, der Showdown in der Wüste ist an Rasanz kaum zu überbieten.

In „Kings of Cool“ stehen die drei Helden gerade einmal – Zeit der Handlung sind die 1990er-Jahre – am Anfang eines nicht nur für sie lebensgefährlichen Unternehmens. Sie haben einen Handel mit erstklassigem Marihuana aufgezogen und genießen den Reichtum unter der kalifornischen Sonne. Probleme werden mit Bens Verstand oder Chons Killerinstinkt gelöst. Das ändert sich, als käufliche Drogenpolizisten und konkurrierende Händlerringe mit Nachdruck ihr eigenes Stück vom Kuchen fordern, was weder mit Taktik noch durch Taten zu verhindern ist. Das Trio muss sich entscheiden. Teilen oder aufgeben. Eine dritte Chance gibt es nicht.

Oder doch? Winslows erster Meisterkniff besteht darin, Scheinalternativen zu durchkreuzen und der Handlung mit geschickten Wendezügen stets einen neuen Thrill zu geben. In „Kings of Cool“ hängt dem Kriminalplot darüber hinaus nicht nur der Geruch der Romanwerkstatt Winslows an, aus der einige alte Bekannte wie Bobby Z. und der Bodyguard und Ex-Polizist Lado auftreten. Auch die Familiengeschichte des Trios funkt dazwischen. O sucht ihren Erzeuger, der sich danach als Urheber der gesamten Drogenszene entpuppt, der Zelebrant einer teuflischen Hochzeit von Hippieszene und Drogenhandel. Die Kinder erben die Sünden der Väter. Und auch Chon hat Probleme mit seinem Vater, einem Ex-Drogendealer, der immer noch ins Geschäft verstrickt ist, und zwar in das, das sich nun gegen seinen Sohn richtet. Der Teufelspakt am Schluss des Romans ist durchsichtig: „Ihr habt alles“, sagt ein Vertreter des Anti-Drogenestablishments zu dem Trio: „Ihr seid jung, habt Geld, coole Klamotten, schöne Mädchen. Alles. Ihr seid Könige“. Winslow-Leser wissen: danach folgt die „Zeit des Zorns“.

Der zweite und vielleicht wichtigste Kniff von Winslow ist sein Stil. Der ist kurzatmig, straff, zielsicher, scheut keine Kraftausdrücke, verrät aber Bildung und zugleich Ironie. Als die schöne Kim, eine Art ,gefallene O‘, sich ein Zimmer wünscht, heißt es: „ein (eigenes, Ms. Woolf) Zimmer“: Winslow hat keine Angst vor der Hochliteratur. Als Stan, Hippie-Buchhändler und ein betrogener Ehemann, eine Waffe auf seinen Nebenbuhler John richtet und ihm vorwirft, er habe Sex mit seiner Frau gehabt, entgegnet Doc Halliday (jener Urheber der ganzen Drogenszene): „Du doch auch.“ Und, um ein drittes Beispiel zu nennen, wie in Hebels „Unverhofftem Wiedersehen“ werden im 49. Kurzkapitel die Jahre 1968 bis 1971 an einer bunten Assoziationskette von politischen, kulturellen und Mode-Ereignissen, von Film- und Songtiteln aufgehängt, und das alles in 12 Zeilen; und nur Chons Vater John hat außer Woodstock und Janis Joplins Drogentod nichts mitbekommen. Dieses wissende Kurzhalten der Geschichte ist Winslows Erfolgsrezept. Die Recherche sieht man dem Krimi auf den ersten Blick nicht an, die Ironie schon. Kein Zweifel: Don Winslows „Kings of Cool“ ist königliche Unterhaltung, crime fiction mit Finessen.

Titelbild

Don Winslow: Kings of Cool. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Conny Lösch.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012.
361 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783518464007

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