Pointierte und skurrile Geschichten

Über Kurt Vonneguts Erzählband „Hundert-Dollar-Küsse“, übersetzt von Harry Rowohlt

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der amerikanische Schriftsteller Kurt Vonnegut (1922-2007) ist ein Meister des witzigen und exzentrischen Tons. Für viele galt er als der legitime Erbe Mark Twains. Nach Vonneguts Tod hat Harry Rowohlt mehrere Kurzgeschichten des US-Autors ins Deutsche übersetzt, die im Zürcher Verlag Kein & Aber erschienen sind. Nach den beiden Auswahlbänden „Der taubenblaue Drache“ (2009) und „Ein dreifach Hoch auf die Milchstraße!“ (2010) nun also „Hundert-Dollar-Küsse“, mit sechzehn bisher unveröffentlichten Geschichten aus dem Nachlass.

Diese Texte stammen aus der frühen Schaffensperiode, als Vonnegut noch nicht berühmt war. Seine Karriere begann erst mit Romanen, wie „Schlachthof 5 oder Der Kinderkreuzzug“ (1969), in dem er die Zerstörung Dresdens, die er als Kriegsgefangener erlebte, literarisch verarbeitete.

In seinen fantastischen Kurzgeschichten lädt Vonnegut dagegen in eine wunderliche Welt ein und schafft skurrile Charaktere. Gleich in der Auftaktgeschichte „Jenny“ lernen wir George kennen, der in einer Firma für Haushaltsgeräte arbeitet. Jahrelang hat er schon den Vorschlag unterbreitet, Kühlschränke in Form einer Frau herzustellen. Schließlich konstruiert er „Jenny“ selbst und tourt damit von Haushaltsgerätehändler zu Haushaltsgerätehändler. Kein Wunder, dass sich bei diesem Außendienst zwischen den beiden eine ungewöhnliche Beziehung anbahnt.

Die Titelgeschichte dagegen erzählt von einem Zwischenfall im Großraumbüro einer Versicherungsgesellschaft. Hier wollen sich die Mitarbeiter einen Telefonscherz mit einem Pin-up-Girl erlauben, deren Nackedei-Konterfei in einem Herrenmagazin abgebildet ist. Auch Frauen können kauzig sein, wie die verwitwete Annie Cowper in „O kurze Kerze du, verlisch!“. Seit geraumer Zeit pflegt sie heimlich eine intensive Brieffreundschaft mit einem Unbekannten; doch dann kommt es eines Tages zu einem mysteriösen Treffen.

Weitere Protagonisten in den Geschichten sind zum Beispiel die junge Sekretärin Amy, die sich in einen flüchtigen Bankräuber verliebt, oder der Modelleisenbahn-Fan Earl Harrison, dessen Schwiegermutter etwas gegen sein Hobby hat und schließlich zu zerstörerischen Mitteln greift, indem sie als Bomberpilotin sein liebstes Spielzeug ruiniert.

In den sechzehn verrückten Geschichten fährt Kurt Vonnegut mit seinen Lesern mitunter Achterbahn. Mit seinem ironischen und lakonischen Erzählstil erzeugt er pures Lesevergnügen. Das sind Storys in bester amerikanischer Tradition. Komplettiert wird der Auswahlband durch ein kurzes Vorwort des amerikanischen Verlegers und Autors Dave Eggers, der Vonneguts Geschichten als Mausefallen-Storys bezeichnet, weil sie den Leser austricksen und gefangen nehmen.

Titelbild

Kurt Vonnegut: Hundert-Dollar-Küsse. Erzählungen.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Harry Rowohlt.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2012.
300 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783036956244

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