Die Droge Globalisierung

Maylis de Kerangal erzählt im Roman „Die Brücke von Coca“ ein Exempel aus der globalisierten Welt

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es herrscht Aufschwung in Coca, einer Stadt zwischen Prärie und Urwald. Der neue Bürgermeister hegt große Pläne, Coca soll ein Zentrum für Biodiesel werden. Dafür braucht es allerdings eine neue, kühne Brücke über den Fluss – ein Wunderwerk der Technik, das für drei Milliarden Dollar von den besten Fachleuten realisiert wird. Aus aller Welt strömen diese nach Coca, auf Zeit und Abruf.

„Die Brücke von Coca“ erzählt von diesem Unternehmen. Der Projektleiter Georges Diderot kennt sich aus mit Großprojekten. Er baute Wolkenkratzer in Dubai, sprengte Diamantminen in den Permafrost und verlegte Öl-Pipelines durch die Einöde. Dafür genießt er weltweit einen guten Ruf. Für den ambitionierten Bürgermeister von Coca, John Johnson, ist er der rechte Mann. Dubai heißt das Ideal, das seinem „Bedürfnis nach Größe“ vorschwebt und für das er seine Stadt zu einer „aus Korruption gemauerten Festung“ ausbaut.

Coca ist gleichsam ein Omen: eine Stadt, die von der Droge Globalisierung erfasst wird. Sie legt sich glitzernde Finanzpaläste zu und in deren Schatten ganze Viertel, die mit Outlet-Stores, Fastfood-Shops, Vergnügungszentren und verwahrlosten Containerdörfern zugemüllt werden. Hier spannen die Brücken-Arbeiter im Dreischichtenrhythmus aus.

Maylis de Kerangal hat für ihre Geschichte eine nüchterne, geradezu funktionale Sprache gefunden, die sich dem Stoff perfekt anschmiegt. Sie spielt offen mit dem Mittel der dokumentarischen Reportage, die sich über kleine „People“-Geschichten ans Thema heranpirscht. Doch die kurz porträtierten Menschen erhalten kaum Tiefe, sondern bleiben instrumentalisierte Schablonen. Sie sind Schmiere im Getriebe der Erzählung.

Die Autorin rückt die ökonomischen und sozialen Prozesse in den Vordergrund, sie gibt detaillierte Anleitungen zu technischen Vorgängen oder erklärt kurz die historischen Hintergründe. Die menschliche Verfügbarkeit und Formbarkeit ist dafür ebenso Voraussetzung wie eine der unvermeidlichen Folgekosten. Georges Diderot kennt es aus eigener Erfahrung, die anderen erahnen es vielleicht erst, dass es bei einem derart globalisierten Unternehmen „nichts Privates gibt, was standhält, niemals“.

In dieser Maschinerie des Geldverdienens bleibt jedermann mit seiner persönlichen Geschichte allein; und erst recht jede Frau, wie Summer Diamantis, die als „Verantwortliche für die Herstellung des Betons“ von den Männern nicht einmal als Frau wahrgenommen wird. Einzig die Einheimische Katherine Thoreau macht eine Ausnahme. Sie ist Mutter dreier Kinder und die Frau eines verunfallten Mannes im Rollstuhl. Die Begegnung mit Diderot lässt sie aus der verkrachten Umgebung ausbrechen – eine feine Erinnerung daran, dass die menschlichen Bedürfnisse im Moloch der Globalisierung nicht glücklich aufgehoben sind.

Gerade weil die handelnden Figuren in dieser narrativen Konstellation beinahe zerrieben und verstümmelt werden, wirkt de Kerangals Roman auf faszinierende Weise schlüssig und konsequent. „Die Brücke von Coca“ ist ein bizarres, irrlichterndes, unterschwellig brutales Buch, dessen Eindruck man sich schwer entziehen kann. Die Menschen sind Nummern in einem globalisierten Raster, letztlich austauschbar, kurzfristig vielleicht mit der Macht ausgestattet, den strikten Zeitplan durch Streik in Verzug zu bringen. Darüber wird just in time verhandelt, denn meist heilt Geld die Wunden der humanen Ressource. Alles wird dem Prinzip der Ökonomie unterworfen, die Natur, die einheimischen Indianerkulturen, auch die Gefühle. Alles wird verdinglicht und einem anonymen, kalten Ordnungsprinzip geopfert, dem die Autorin stilistisch gerecht wird. Bei der Lektüre wähnt man sich immer wieder in einer groß angelegten Magazin-Reportage, die mittels Straffung und Zuspitzung operiert. Dafür bedient sich die Autorin auch bei filmischen Techniken, etwa den „Short Cuts“ von Robert Altman. Diese Mittel setzt sie gekonnt und sehr bewusst ein, indem sie die Erzählfäden einer nüchternen Instanz in die Hände legt: „siebzehn Stunden später wird man sie [Summer Diamantis] aus dem Flughafen von Coca kommen und auf dem Rücksitz eines zitronengelben Taxis Platz nehmen sehen, ihr straff gebundener Pferdeschwanz lässt Stirn und Hals frei, sie gibt dem Fahrer die Adresse“.

In seltenen Passagen trägt der Roman etwas dick auf, beispielsweise bei einer Messerattacke auf Diderot, doch diese bleibt Episode. Ebenso wie ein missglückender Sprengstoffanschlag. Am Ende wird das Werk stehen, unumkehrbar. „Ein Ereignis, das sowohl die Zeit als auch den Raum betrifft. Etwas Einschneidendes.“ Danach zieht die Karawane in alle Himmelsrichtungen weiter, getrieben vom Wunsch nach Glück und von der Angst, ein solches nie finden zu können. Die Droge Globalisierung hält sie solange in Bewegung, wie sie gebraucht werden, damit eine ambitionierte Clique ihrer Epoche den „Stempel des Optimismus, einer neuen Zuversicht“ aufdrücken kann.

Maylis de Kerangals Roman erinnert fern auch an die Prosa von William Gibson und an dessen literarische Analysen der globalen Daten-, Waren- und Menschenströme. Gemeinsam ist ihnen ein schneidender Realismus, der ebenso mimetische wie prognostische Qualität besitzt. Sie formulieren gewissermaßen eine Poetik der Globalisierung.

Titelbild

Maylis de Kerangal: Die Brücke von Coca. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Andrea Spingler.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012.
290 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783518422922

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