Anrufe, die Leben verändern

Radek Knapp nimmt uns in seinem Roman mit auf eine „Reise nach Kalino“

Von Frank RiedelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Riedel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die bisherigen Werke des 1964 in Warschau geborenen, 12 Jahre später mit der Mutter nach Wien ausgewanderten Autors, Radek Knapp, spielten zumeist in seinen beiden Heimatländern. Sie standen wie „Herrn Kukas Empfehlungen“ und „Gebrauchsanweisung für Polen“, im Zeichen charmanter interkultureller Missverständnisse und deren humorvoller Aufklärung. Mit der „Reise nach Kalino“ hat Knapp nun ein neues Genre für sich entdeckt: den Science-Fiction-Krimi.

Julius Werkazy, ein wenig erfolgreicher, liebenswerter Detektiv, der nie um eine Lebensphilosophie verlegen ist, wird gebeten, nach Kalino zu kommen. Dort erwartet ihn sein Auftraggeber F. Osmos, der Gründer des kleinen Stadtimperiums, und bittet ihn einen – ja, den dort historisch ersten – Mordfall zu lösen. Werkazy ist der erste Besucher in Kalino, einer „Art Stadt“, die seit Jahrzehnten völlig von der Welt abgeschottet existiert, extrem reich, aber auch geheimnisvoll ist. Bei seinen Ermittlungen findet er viel Zeit und Notwendigkeit, Kultur, Leben und Sprache der Kalinianer kennen zu lernen. Wie verändern sich Menschen, wenn alles Schlechte, Problematische oder Negative aus dem Leben verschwindet? Berufsbedingt neugierig tut er allerlei Unerlaubtes, denn in der hochtechnisierten, optimierten, stressfreien Gesellschaft herrschen Verbote, strikte Regeln und ständige Überwachung. Fremde wie Werkazy sind für die Kalinianer „Papiergesichter“, sie gehen diesen faltigen, sturen Wesen aus dem Weg, wo sie nur können. Aber unter den Einheimischen braucht der Detektiv aus einem sehr plausiblen Grund angeblich überhaupt nicht zu suchen: Ein Alibi spricht die ganze Stadt frei.

Wer aber hat dann das Seil beim Kletterausflug des Vizedirektors der Nahrungsfabrik, einem hervorragenden Wissenschaftler, gekappt?

Radek Knapp ist ein wirklich spannender, verblüffender Roman gelungen, der ebenso den Kriterien der Science-Fiction- wie der Kriminalliteratur gerecht wird. Mit Julius Werkazy hat er eine Detektivfigur mit einem „begrüßenswerten Hang zur Anarchie“ geschaffen. Der kauzige Ermittler arbeitet unerwartet geschickt und verliert den Fall nie aus den Augen. Dabei lassen die Überraschungen des kalinianischen Alltags ihm keine Ruhe. Perfektionsdiener, Translokationsschirme, Extraktionen, Simulationen, K-Mobile, Entspannungslokale, in denen man Dreifinger trinkt, sprechende Minibars – ein Novum löst das andere ab und ist doch bestens erklärt und nachvollziehbar. Vielleicht stellt man uns schon bald solche „sympathische[n] Unterbrechungen“ auf der Cebit vor.

Das faszinierende an dem Roman ist die Stimmigkeit. Der Leser fühlt sich als unsichtbarer Reisebegleiter, fiebert und kriminalisiert mit, lernt das System, die Idee, die Kalino zugrunde liegt, kennen. Hinter all dem verbirgt sich auch eine satirische Anschauung unserer Gesellschaft und deren Entwicklung. Die kalinianische Technik, Lebensphilosophie und sogar Sprache hat Knapp mit viel Fingerspitzengefühl erdacht, ohne dabei auf seinen humorvollen, sehr unterhaltsamen Erzählstil zu verzichten. Nichts bleibt unklar, fehlt oder ist überflüssig. Und auch der Mordfall bleibt, wie in guten Krimis, bis zum Schluss undurchschaubar. Ein Roman, den man in einem Stück verschlingt, ohne Nachgeschmack, eher mit nachhaltigem Appetit auf mehr.

Natürlich ist hier nicht der Ort, dem Werk die wunderbare Spannung zu nehmen. Im Gegenteil, es sei jedem geraten sich selbst auf die „Reise nach Kalino“ zu machen, wenn er wie Werkazy denkt: „Seltsame Geschichten sind das, was ich am ehesten glaube.“

Titelbild

Radek Knapp: Reise nach Kalino. Roman.
Piper Verlag, München 2012.
255 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783492054720

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