Lax-ness

Der letzte Gedichtband von Robert Lax

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

he wasn´t very hot on crime,
but how he love´d organization
auf das verbrechen gab er nicht viel,
aber er liebte das organisieren
Robert Lax, der kürzlich verstorbene amerikanische Lyriker (1915 - 2000), war ein Minimalist. Seine Texte waren Sekundentexte, oft nur zwei Zeilen lang. Zwei Zeilen und eine ganze Welt umfassend:

liebenswerter hund
frisst liebenswerte katze.
Der letzte, noch zu Lebzeiten erschienene Band heißt "moments", "höhe/punkte"; er ist, wie das seit vielen Jahren im Zürcher Pendo Verlag erscheinende Werk, zweisprachig, was angesichts der Lax-ness oder Lakonik dieser Gedichte einen unschätzbaren Gewinn darstellt, denn die deutschen Übertragungen ("Versionen") von Alfred Kuoni sind nicht nur vorzüglich, sie liefern bereits auch die erste Interpretation. Der Titel "moments", von Kuoni mit "höhe/punkte" wiedergegeben, könnte angesichts der Kürze der hier versammelten 68 Texte auch "Eingebungen" bedeuten, und angesichts ihrer schwarzen Komik auch "Tiefpunkte":

weiss nicht, was ich ihm gesagt haben mag,
sagte das orakel,
aber er schien überhaupt nicht glücklich.
Die Komik des Gedichts erschließt sich, wenn man es vor dem Schema der Orakel-Anfragen und -Antworten liest, und sein Witz liegt darin, dass es das Orakel selbst zum Subjekt der Geschichte und zum Träger der Perspektive macht. Indem aber das Orakel nur die Folgen seines Tuns wahrnimmt, sich aber selber nicht versteht und daher auch nicht wissen kann, was die Trauer oder die Bestürzung beim Befrager ausgelöst haben könnte, eröffnet Lax eine schlagend neue und einleuchtende Variante jener Orakel-Geschichten, die seit 2.000 Jahren zum Kanon des Abendlandes gehören.

Die Kürze der Texte lenkt die Aufmerksamkeit des Lesers automatisch auf das Gemachte, auf die Sprache und ihren Hallraum. Die Leser, die mit beiden Versionen etwas anfangen können, der deutschen wie der amerikanischen, profitieren vom Spannungsfeld, das zwischen den parallel gedruckten Fassungen entsteht. Schon das oben zitierte Eingangsbild macht dies deutlich. Beide Versionen unterscheiden sich um Nuancen, wobei mir die deutsche fast besser gefällt, denn sie repräsentiert in nuce die Wortbildungsgeschichte der Fügung "Organisiertes Verbrechen": der vorangestellte Determinant ("organisiertes") und das Nomen ("Verbrechen") sind eine feste Verbindung eingegangen, fast so wie beim - pardon - "Roten Kreuz"; ihre Auflösung erzeugt die Fallhöhe und ergibt den Witz. Alfred Kuonis Lösung, "das organisieren", erscheint mir akzentuierter und zugleich vieldeutiger als das originale "the organization"; vor allem aber wird an diesem Beispiel sichtbar, in welch produktives Verhältnis Original und Übersetzung hier eintreten: sie geben sich wechselseitig Farbe und Relief. Die deutschen Versionen sind wie gute Interpretationen, die eine Perspektive vorgeben und zu weiteren Interpretationen anregen.

Der Band "moments / höhe/punkte" wurde von John Beer herausgegeben; es wird nicht deutlich, ob auch die Zusammenstellung der Texte vom Herausgeber stammt. Sie sind sehr heterogen, manche von ihnen weiten sich zu kleinen Dialogen und Mini-Dramen aus, wieder andere tendieren zum Aphorismus, zum Witz, zur Kurzprosa. Manche Texte repräsentieren kleine Apokalypsen, andere umfassen in drei, vier Zeilen die ganze Schöpfungsgeschichte. Sie können die Welt umarmen:

Titelbild

Robert Lax: moments - höhe/punkte.
Pendo Verlag, Zürich 2000.
78 Seiten, 11,20 EUR.
ISBN-10: 3858423858

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