Nicht gekommen, um zu schweigen

Über ein Lesebuch mit den Reden des Literaturnobelpreisträgers Gabriel García Márquez

Von Kristy HuszRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kristy Husz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jeder Mensch kennt sie, die notwendigen Übel, die man nur unter Zwang erledigt. Die Unannehmlichkeiten, die man zu umgehen versucht, bis der Druck von außen zu groß geworden ist. Für Gabriel García Márquez sind es diese drei: schreiben, Preise entgegennehmen, Reden halten. Gezwungenermaßen begann er einst mit dem Schreiben, widerwillig lässt er sich mit Auszeichnungen überhäufen, da „jede öffentliche Ehrung der Anfang der Einbalsamierung ist“, und höchst ungern entert er Podien, denn beim Sprechen vor Publikum hat er „Angst umzufallen“.

Der Ort, an dem er diese Sorgen verhandelt: just seine frühen Reden. In Form einer originellen Captatio Benevolentiae tritt er in ihnen die Flucht nach vorn an, schildert en détail sein Vortragsvermeidungsverhalten: „Ich versuchte, krank zu werden, bemühte mich, eine Lungenentzündung einzufangen, ging zum Barbier in der Hoffnung, dass er mir die Kehle durchtrennt, und verfiel zuletzt darauf, ohne Jackett und Krawatte zu erscheinen, um bei einer so förmlichen Veranstaltung wie dieser schon am Eingang abgewiesen zu werden, aber ich hatte vergessen, dass ich in Venezuela bin, wo man überall im Hemd auftauchen kann.“ Das Ergebnis: ein Schulterschluss mit den Zuhörern, durchwoben von feinem Humor.

Abseits jener Metaebene hat der kolumbianische Schriftsteller und Journalist, der vor allem in spanischsprachigen Ländern auch Gabo genannt wird, nichts Unwichtiges mitzuteilen: Freundschaft, Heimat, Geistesleben, Politik, Gewalt und – nicht bloß in seiner Nobelpreisrede – die „Einsamkeit Lateinamerikas“ sind die Themen, die sich wie ein roter Faden durch seine Darlegungen ziehen.

Für einen Mann, der dieses Genre eigentlich gar nicht gern hat, erweist er sich, wie schon in seinen literarischen und nicht-fiktionalen Erzeugnissen, als präziser Beobachter und Chronist der jüngeren Zeitgeschichte, als Meister der spannenden Anekdote und wortmächtiger Gestalter der Zukunft. Gabo, der sich irgendwann damit arrangiert zu haben scheint, ein gefragter Redner zu sein, ist dabei, wie das Umschlagbild suggerieren könnte, kein vor sich hin plappernder Papagei, sondern weiß genau um die Wirkung seiner Sätze. So vermag er selbst der Einweihung eines kubanischen Kinosaals etwas Magisches abgewinnen, wenn er über die Gemeinsamkeiten von Wissenschaft und Kunst sinniert.

Einundzwanzig Texte, die zwischen 1944 und 2007 bei unterschiedlichsten Anlässen vorgetragen wurden, hat García Márquez nun für einen handlichen, bei seinem Stammverlag Kiepenheuer & Witsch erschienenen Sammelband ausgesucht. Ergänzend lassen sich im Anhang ein Nachwort des Herausgebers Cristóbal Pera und hilfreiche Anmerkungen finden, die Auskunft über die Entstehung des Buches, die Zusammenarbeit mit dem Autor und die Hintergründe der einzelnen Vorträge geben.

Ein rundes kleines Werk, an dem vom Design über die chronologisch angeordnete Auswahl bis hin zur „Message“ des beliebten Redners nichts auszusetzen ist: Es macht Freude, Gabriel García Márquez, dessen hemdsärmlige Rhetorik Herz und Verstand anspricht, beim Erkunden eines anfangs überhaupt nicht geschätzten Elements zu begleiten. Dass der – gemessen in Jahren seit der Verleihung – älteste lebende Literaturnobelpreisträger mittlerweile an Demenz leidet und vermutlich nie wieder neue Schriften veröffentlichen wird, gibt dem Lesebuch allerdings einen traurigen Beigeschmack. Hoffentlich wird sich da die kecke Platzierung eines Papageis auf dem Cover, der auch auf das Schicksal des Arztes Dr. Juvenal Urbino im Gabo-Roman „Die Liebe in den Zeiten Cholera“ anspielen könnte, nicht noch als tragische Ironie entpuppen.

Titelbild

Gabriel García Márquez: Ich bin nicht hier, um eine Rede zu halten.
Übersetzt aus dem Spanischen von Silke Kleemann, Curt Meyer-Clason und Dagmar Ploetz.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012.
155 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783462044768

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