Flagge zeigen

Über Heinrich Deterings Gedichtband Old Glory

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Drei Jahre nach „Wrist“ erscheint nun also ein neuer Gedichtband von Heinrich Detering, im Brotberuf (wenn man das bei einem leidenschaftlichen Philologen sagen darf) Professor der Germanistik in Göttingen. Der vierte ist es, auch diesmal wieder im Wallstein Verlag erschienen. Hier publiziert Detering immer wieder auch wissenschaftliche Arbeiten, oder ganz andere Dinge, wie „Landschaft mit Poet“, seine Auswahl größtenteils eigener Hans Christian Andersen-Übertragungen.

Wie immer sind viele von Deterings Gedichten Literatur über Literatur. Das erste Poem „Kilchberg“ handelt von Selbstzweifeln des lyrischen Ich, doch schon der Titel verweist auf Thomas Mann, der in diesem Zürcher Vorort begraben liegt. Detering ist heute der vielleicht prominenteste Mann-Forscher, aber hier scheint sich der Dichter ,und nicht der Philologe in Beziehung zum bewunderten Autor zu setzen. Wenige Seiten weiter fällt der Name T. S. Eliot, und Johann Wolfgang von Goethe fehlt eben so wenig wie Anspielungen auf Gottfried Benns Nietzsche-Gedicht „Jena“, auf das Alte Testament oder den dänischen Dichter Johannes Larsen. Trotzdem ist das keine Dichtung für Philologen und Apothekergattinnen, sondern kommt so leicht und federnd daher, ist nur locker verbunden mit den literaturhistorischen Bezügen, dass man diese Gedichte mit Vergnügen liest, auch ohne Killy oder Kindler zur Hand zu haben.

Ähnliche Gedichte haben auch „Wrist“ und „Schwebstoffe“ (2004) zu bieten, aber einige Akzente sind anders gesetzt. „Old Glory“ handelt nicht nur von Orten wie die Gedichte im Vorgängerband, sondern vor allem von Reisen. Schwerpunkt dabei sind China und die USA, genauer ein mythisches AMERIKA in Großbuchstaben, an dem sich die Imagination des Dichters abarbeitet. Leider ist die letztere Sektion, die dritte von fünfen, einer der schwächeren in diesem gelungenen Band. Auf „Fox News“, diesen blasierten Verkündern der Erde als einer von Gott geschaffenen Scheibe, herumzuhacken, ist mehr als berechtigt, macht aber noch lange kein gutes Gedicht. In der Anrufung der Country-Ikone Dolly Parton ächzen die Reime, dass es schon nicht mehr feierlich ist:

sieh uns am Ende unsrer Fahrten
yes even cowboys get the blues
weil niemand für uns singt tu du’s
ja sing uns etwas Dolly Parton

Dafür versöhnt „Buffalo Bill verlässt Weimar“, melancholischer Abgesang auf die populärste Wild-West-Show der Jahrhundertwende, deren Geschichte Detering im Herzen der deutschen Kultur enden lässt. Nicht wahr, aber eine gute Pointe; dass Bill Cody auf einer „Never Ending Tour“ gewesen war, ist natürlich eine Anspielung auf Deterings großes Idol Bob Dylan (ein Gedicht über Elvis Presleys Tod in „Graceland“ gibt es auch). Und meisterhaft wird es, wenn Detering im Titelgedicht „Old Glory“ den amerikanischen Bürgerkrieg mit dem Schleswig-Holsteinischen Krieg der Jahre 1848-1851 überblendet: „das Rotweißblau an hölzerner Stange“ ist zugleich die Unionsflagge der Nordstaaten wie die Fahne Schleswig-Holsteins, das den damaligen Krieg verlor.

Zweitens ist dieser Gedichtband noch stärker als die vorigen durch traditionelle Formen geprägt, durch Reime, vierzeilige Strophen, Sonette. Detering beherrscht das traditionelle Repertoire nicht ganz so virtuos wie etwa sein literarischer Generationsgenosse Jan Wagner, dem auch ein Gedicht gewidmet ist. Trotzdem trägt das hohe Maß an Struktur viel zum swingenden Sound des Bandes bei, und führt zu schönen Treffern wie im Sonett „Drachen“, das in poetischen Bildern einen Flug durch die Wolken beschreibt, um dann – bei Robert Gernhardt gibt es das oft – den hohen Ton in der Schlusspointe zu vernichten: „das Flugzeug dreht noch langsam ein paar Ründchen / dann, leicht verspätet, landen wir in München“.Und drittens handelt es sich um ein erstaunlich religiöses Buch. Nicht in jedem Gedicht wird das spürbar, aber biblische Themen und Anspielungen sind über den ganzen Band verteilt, sei es der 23. Psalm in „im finstern tal“, Kains Mord an Abel in „Ende der Geschichte“ oder gleich „die Auferstandenen“. „Old Glory“ hängt nicht in Fetzen wie die originale Flagge des Kapitäns William Driver, sondern ist ein unbedingt empfehlenswerter Gedichtband.

Titelbild

Heinrich Detering: Old Glory. Gedichte.
Wallstein Verlag, Göttingen 2012.
73 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783835311671

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