Vom Gattopardo bis zur Graphic Novel

Anne Bohnenkamp-Renken gibt Auskunft über „Literaturverfilmungen“

Von Marc ReichweinRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marc Reichwein

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Klischees über die Gattung der „Literaturverfilmung“ gibt es viele. Unter eingefleischten Cineasten gilt sie oft als prätentiös und langweilig. Philologen wiederum kritisieren, dass sie gern vereinfache und verkürze. Sie monieren Eingriffe in Plot und Figuren und vermissen die sprichwörtlichen Leerstellen einer Buchlektüre: „Wo der Text anspielen und umschreiben kann, ist der Film allzuoft gezwungen, sich durch direktes Zeigen festzulegen“.

Ja, solche gegenüber dem Original scheinbar genuin defizitären Eigenschaften der Gattung Literaturverfilmung streift auch der vorliegende Sammelband – es handelt sich um die erweiterte Neuauflage eines erstmals 2004 erschienenen Büchleins in Reclams grüner Reihe „Interpretationen“. Insgesamt aber gilt positives Denken: Man soll nicht nur Probleme, sondern auch Möglichkeiten von Literaturverfilmungen sehen! Und zwar nicht nur funktional – in dem Sinne, dass audiovisuelle Versionen dramatische oder narrative Stoffe popularisieren. Sie können sie auch ästhetisch bereichern und ergänzen.

In einer ausführlichen Einleitung fächert Anne Bohnenkamp-Renken, die Herausgeberin des Bandes, das Themenfeld instruktiv auf: Sie weiß um die traditionelle Skepsis, die dem Genre gerade aus ihrer eigenen Zunft, der Literaturwissenschaft, entgegengebracht wird. Und sie betont, dass die früher zwangsläufige Hierarchisierung zugunsten des Originals „überholt“ sei. Tatsächlich gibt es mit „Clockwork Orange“, „Fahrenheit 451“ oder „Eyes Wide Shut“ ja seit langem diverse Beispiele, wo die Verfilmung längst populärer ist als ihre literarische Vorlage, wenn nicht sogar besser.

Jeder Medienwechsel bedeutet eine „Verschiebung und Veränderung, die es als produktiven Prozess zu untersuchen gilt“. Deswegen, so Bohnenkamp-Renken, müssen sich auch Literaturwissenschaftler, wenn sie Verfilmungen analysieren, auf das Konzept der Intermedialität und die Idee der Übersetzbarkeit in ein neues Medium einlassen. Dazu gehört die Einsicht, dass Literatur und Film nun mal durch „unterschiedliche Zeichensysteme“, sprich andere Formalisierungen und Konventionalisierungen geprägt sind.

Im praktischen Teil bietet der Band dreißig Proben aufs Exempel. Die Einzelanalysen variieren im Umfang zwischen 7,5 und 19 Seiten. Es handelt sich um keinen eigentlichen Kanon von Literaturverfilmungen, aber doch um Filmversionen solcher „Werke, die unabhängig vom Film bekannt sind und deren Bekanntheit beim Publikum der Filmregisseur entsprechend voraussetzen konnte“. So wie beispielsweise Werner Herzogs „Woyzeck“, Luchino Viscontis „Gattopardo“ oder Volker Schlöndorffs „Blechtrommel“.

Zur Gegenwart hin wird das Klassiker-Konzept naturgemäß brüchig – und die Auswahl der mit der Neuauflage neu hinzugekommen Filminterpretationen scheint vor allem einer gewissen Varianz der Gattungen geschuldet: Für „Persepolis“ hat man sich wohl auch und nicht zuletzt im Zuge der Aufwertung, die die Graphic Novel in den Feuilletons erfahren hat, entschieden. Schön, wenn der Begriff der Literaturverfilmung damit also auch offen für Comics ist, während „Nichts als Gespenster“ (nach den Erzählungen von Judith Hermann) sicherlich ein schönes Beispiel für den Nexus von Erzählbänd und Episodenfilm abgegeben hätte, aber bedauerlicherweise fehlt. Die Fantasy-Saga ist mit Tolkiens „Herr der Ringe“ (Regie: Peter Jackson) einschlägig vertreten, und Yasmina Rezas Erfolgsstück „Gott des Gemetzels“ (Regie: Roman Polanski) gibt Auskunft darüber, dass die Filmversion eines szenischen Textes nicht zwangsläufig in ein abgefilmtes Theaterstück münden muss. Mit den „Liaisons dangereuses“ berücksichtigt die Reclam-Monografie sogar die Gattung des Briefromans.

Die Auswahl ist, trotz einiger Lücken, die man monieren mag, fundiert begründet. Wer enzyklopädische Vollständigkeit sucht, greift zum „Lexikon der Literaturverfilmungen“, das rund 3600 Werke verzeichnet (allerdings seit 2001 nicht wieder aktualisiert worden ist). Wer indes an bekannten Literaturverfilmungen etwas lernen will, wird mit Reclam gut bedient.

Regisseure wie Rainer Werner Fassbinder, Luchino Visconti oder Stanley Kubrick sind mit jeweils mehr als einer Verfilmung vertreten – da erweist der Band den Autorenfilmern seine besondere Reverenz. Und der Aufsatz zu Tom Tykwers Adaption von Patrick Süskinds „Parfüm“ diskutiert ein fast schon topisches Subgenre: die trotz oder gerade wegen aller opulenten Ausstattung gescheiterten Literaturverfilmungen. Mit leichter Süffisanz gibt die Analyse „im Nachhinein Süskind recht, so lange so zögerlich mit der Vergabe der Rechte gewesen zu sein“. Der Mythos der Unverfilmbarkeit bestimmter literarischer Stoffe wird mit solchen Einlassungen freilich eher geschürt als geklärt. Auch ein aktuelles Beispiel wie „On the Road“ zeigt ja, wie ein entsprechendes Etikett zäh haften bleiben kann.

Eine kaum angeschnittene, aber letztlich auch relevante Frage ist die nach der Mitwirkung eines Original-Autors an weiteren medialen Versionen seines Werks. Der Anteil eines Daniel Kehlmann an der Verfilmung seines Bestsellers „Die Vermessung der Welt“, verbunden mit der Frage, ob die 3D-Technik als filmisches Äquivalent zur indirekten Rede gelten kann, beschäftigt vielleicht mal eine zukünftige Auflage der Reclam-Ausgabe. Einstweilen punktet die vorliegende, und zwar nicht nur mit dem Vorspann zur Literaturverfilmungstheorie.

Titelbild

Anne Bohnenkamp-Renken (Hg.): Literaturverfilmungen.
Reclam Verlag, Ditzingen 2012.
440 Seiten, 9,80 EUR.
ISBN-13: 9783150175361

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