Das Gegenteil von Kunst
Warum Friedrich Hirschls „Flussliebe“ keinen bleibenden Eindruck hinterlässt
Von Jens Zwernemann
Es muss für jeden Lyriker wie die Fahrt zwischen Skylla und Charybdis sein – die Frage, wie verständlich beziehungsweise wie verschlüsselt man sich ausdrückt. Sind Sprache und Inhalt zu sehr verdichtet, läuft man Gefahr, als elitärer Vertreter einer neo-Celan’schen, hochgradig hermetischen Lyrik angefeindet zu werden, ist man zu deutlich, erscheinen die Gedichte sofort trivial, oberflächlich und (horribile dictu) geschmäcklerisch. Friedrich Hirschl, der mit „Flussliebe“ seinen mittlerweile siebten Gedichtband vorgelegt hat, schien die Entscheidung zwischen diesen beiden Extremen allerdings nicht sonderlich schwer gefallen zu sein: Die 98 in „Flussliebe“ versammelten Gedichte sind sprachlich wie inhaltlich so luzide, dass man sie bereits nach dem ersten Lesen sehr genau erfasst haben dürfte. Dabei folgen die meist nur rund acht (kurz-)zeiligen Texte einem haikuähnlichen Schema: Auf eine häufig metaphorisch gefasste Naturbeobachtung folgt eine Wendung in Form einer allgemeinen Aussage oder einer (vermeintlich) überraschenden Deutung des zuvor Dargestellten. Das klingt zunächst so, als könne es ein potentiell ingeniöses poetisches Schema sein; bei Hirschl allerdings führt es zu Texten wie aus der Schreibwerkstatt einer Volkshochschule:
Schneewäsche
Der Himmel nahm sich
der schmutzigen Schneewäsche an
Bedauerlicherweise dachte er nicht
an das empfindliche Material
als er den Vollwaschgang wählte
Die Schlussfolgerungen, die auf die eingangs angestellten Beobachtungen folgen, sind nur gelegentlich wirklich überraschend, selten geistreich und niemals tiefgehend. Im Gegenteil: Mit ihrer erstaunlich eindimensionalen Bildlichkeit und ihren befremdlich unbedarften Personifikationen – wer hätte gedacht, dass jemand noch allen Ernstes von „Herrn Winter“ und „der Königin [Sonne]“ auf „ihrem Wolkenthron“ schreiben könnte? – zeugen Hirschls Gedichte von einer fast schon kindlichen lyrischen Naivität, die in ihrer Einfalt auch etwas durchaus Entwaffnendes hat:
Nachtgesicht
Mit vielen Sternaugen
beobachtet es uns
damit ihm nichts entgeht
Dabei lacht sein Mund
der Sichelmond
Interpretationen erübrigen sich – mangels Tiefgang – bei den Gedichten aus „Flussliebe“ praktisch völlig, und sollte es doch einmal einen Text geben, dessen Inhalt nicht sofort klar ist, so wird die Überschrift gewiss sofortige inhaltliche Aufklärung bringen. Dabei besteht kein Zweifel daran, dass Hirschls Gedichte sicherlich gut gemeint sind – doch gerade das ist ja bekanntlich nur allzu oft das Gegenteil von Kunst.
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