Szenarien des Trauerns

Ulla Lenzes Roman „Der kleine Rest des Todes“ beschäftigt sich mit haltloser Trauer und Identitätsverlust

Von Charlotte LampingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Charlotte Lamping

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Der kleine Rest des Todes“ erzählt von den katastrophalen Auswirkungen eines Sterbefalles: Der Vater der 33-jährigen Protagonistin Ariane kommt durch einen Flugzeugabsturz um. Und was bleibt, ist „der Rest“ des Lebens, den der Tod zurück lässt.

Der Roman von Ulla Lenze funktioniert bruchstückhaft, beschreibt Augenblicksstimmungen und Situationen nach dem Tod, die Unmöglichkeit, mit dem Verlust einer geliebten Person umzugehen. Von einer Handlung im Roman kann man nicht sprechen, wohl aber von Szenarien des Leidens. Die hemmungslos trauernde, ohnehin „nicht stabile“ Tochter verliert sich selbst in ihrem Schmerz: „Vielleicht reden Trauernde so, denn wer jemanden verliert, verliert auch sich selbst“. Gleichzeitig macht die Autorin deutlich, dass das Leben Arianes schon vor dem Tod des Vaters seine Richtung verloren hat. Ihr Leben könnte tatsächlich kaum chaotischer sein: ein längerer, Zuflucht suchender Aufenthalt in einem Zen-Kloster, desolate Wohnung, gescheiterte Beziehungen, steckengebliebene Dissertation. Die Autorin konstruiert demzufolge auch ein psychisches Krankheitsbild ihrer Hauptfigur: „Wie lange wird es dauern, bis ich wieder wer sein kann? War ich das je überhaupt?“

Ulla Lenzes kurzer Roman schildert die Ohnmacht und Hilflosigkeit, die der Tod bei Ariane hinterlässt. Er erzählt eine Geschichte über menschlichen Verlust, fehlende Zugehörigkeit – eine Geschichte über das Sich-Verlieren.

Die Frage, ob man sich verliert durch den Verlust von anderen oder ob dadurch erst die Verlorenheit des Menschen aufgedeckt wird, lässt die Autorin im Dunklen.

Es gibt elegante, intelligente und poetische Sätze in diesem Werk. Dadurch wird das Leid nicht nur impulsiv, sondern auch reflektiert und darüber hinaus schon zu etwas fast Artistischem. Zuweilen wirkt dies aber auch manieriert und man hat den Eindruck, hier soll angesichts des Themas Trauer das Poetische erzwungen werden.

Die Tendenz zur bruchstückhaften Darstellung, die den Roman beherrscht, führt zu weiteren Mängeln: Ariane wirkt in sich nicht konsistent entworfen. Man weiß nicht so recht, was der Text möchte: Will er das immense Leid von Ariane erklären (Anspielungen auf Verluste in der Kindheit, eventuelles Leiden an einer psychichen Krankheit etc.) oder reicht es, augenblickliche Trauer zu veranschaulichen? Für ersteres erscheint die Handlung zu knapp und die Persönlichkeit Arianes zu wenig scharf umrissen. Für letzteres spricht die Bemühung der Autorin, Arianes Lebensinhalte zu beschreiben. Die Mischung aus beidem ist vielleicht zu viel gewollt.

Titelbild

Ulla Lenze: Der kleine Rest des Todes. Roman.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2012.
156 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783627001797

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch