Durch’s fade Kirgistan

Jan Sprengers Debüt „Kirgistan gibt es nicht“ über eine Generation, die sich vor allem durch eine fundamentale Gleichgültigkeit auszeichnet, überzeugt leider nicht

Von Friederike GösweinerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Friederike Gösweiner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Man sollte die Welt nicht überbewerten, nur weil sie einen Horizont hat.“ Das ist einer der zentralen (und gleichzeitig fragwürdigen) Sätze in Jan Sprengers Debütroman „Kirgistan gibt es nicht“. Vielleicht ist es überhaupt der Schlüsselsatz zum Verständnis von Sprengers Buch: Überbewertet wird hier nichts – nicht von den Figuren das Geschehen um sie herum und nicht vom Autor die Tatsache, dass er einen Roman schreibt. Dabei handelt es sich doch um eine literarische Form, mit der gewisse Erwartungen und Ansprüche verbunden sind. Während Ersteres das Grundthema des Romans benennt, verbirgt sich hinter Letzterem leider die Ursache seines Scheiterns. Dabei böte die Geschichte an sich ja einiges Potential.

Jonas ist auf dem Weg nach China. Zu Romanbeginn ist er in Kirgistan, wo er auf die schweigsame Ukrainerin Olga trifft, die er sofort anziehend findet und mit der er beschließt, zusammenzureisen. Bald gesellt sich das französische Pärchen Camille und Roger zu ihnen, und irgendwann stößt auch noch Uta dazu, mit der Jonas durch die Ukraine gereist ist, bis er eines Tages keine Lust mehr dazu hatte und sich einfach aus dem Staub gemacht hat, während sie in einem See badete. Uta hat Jonas zwar nicht ganz verziehen und scheint auf Olga eifersüchtig zu sein, allerdings empfindet sie ihrerseits Genugtuung darüber, dass Jonas bei Olga wieder und wieder abblitzt. Sex hat er zwar einmal mit ihr, auf dem Steinfußboden eines ehemaligen Sanatoriums, und macht ihr dabei vielleicht sogar auch ein Kind, aber ansonsten will Olga, die das ganze planvoll herbeiführt, jedoch nichts von ihm wissen. Und irgendwann, nachdem die Fünfergruppe in den kirgisischen Bergen in ein sagenhaftes Unwetter gerät und es alle nur mit Müh und Not in eine trockene Unterkunft schaffen, packt Jonas dann nachts seine Sachen und zieht wieder alleine weiter in Richtung China.

Was der Autor nun mit dieser Geschichte sagen möchte, bleibt für den Leser am Ende einigermaßen schleierhaft. Ging es ihm um die Schilderung einer unglücklichen Liebe, um das Leiden des Helden unter der permanenten Zurückweisung, um diese psychologische Dimension? Vielleicht, aber dafür leidet der Held eigentlich zu wenig. Ging es ihm darum, in einer Art Reisereportage Kirgistan zu porträtieren, ein Land, das noch immer nicht recht zu wissen scheint, was es ist? Vielleicht, aber für ein richtiges Porträt dieses Landes enthält der Roman viel zu wenige Informationen. Was also soll die Geschichte aussagen? So richtig schlau wird man als Leser nicht aus dem Buch. Das einzige große Grundthema, das man erkennen kann, ist eine fundamentale Gleichgültigkeit, die eben daher rührt, dass nichts mehr überbewertet wird. Vor allem die Hauptfigur Jonas hat diesen Gleichgültigkeits-Lebensmodus dieser Generation, zu der der gebürtige Weseler Sprenger, Jahrgang 1978, auch selbst zählt, verinnerlicht. Diese Gleichgültigkeit ist auch der Grund, warum in „Kirgistan gibt es nicht“ die Katastrophe ausbleibt, warum sich die Dinge nicht wirklich zuspitzen, nicht als zur Vierergruppe die eifersüchtige Uta hinzustößt, nicht als Olga endlich körperliche Nähe zu Jonas zulässt, nur um ihn Momente später umso vehementer von sich zu stoßen, und auch dann nicht, als alle zusammen in ein schreckliches Unwetter geraten, es also tatsächlich um Leben und Tod geht. Nichts hat mehr die Kraft, diese Figuren tatsächlich zu erschüttern. Und so gibt es auch keine Konflikte mehr, die offen ausgetragen werden, man spricht nicht mehr miteinander, sondern lässt den anderen kurzerhand wortlos sitzen oder schleicht sich heimlich in der Nacht aus dem Quartier, wenn es einem zu viel wird oder einem eben danach ist.

Für den Leser mag diese Gleichgültigkeit, mit der man sich in Sprengers Debüt begegnet, zuweilen geradezu frappierend sein. Unglaubwürdig ist sie aber nicht. Für den Roman ergibt sich daraus allerdings ein grundlegendes Problem – nämlich weil sich diese Gleichgültigkeit auch in der Anlage des Romans, in der gesamten Erzählkonstruktion niederschlägt. Eben weil eine Geschichte erzählt wird, in der allen alles egal zu sein scheint und niemand etwas dabei findet, fehlt jede Dramaturgie in der Erzählung. Es gibt so keine Entwicklung, die die Figuren durchlaufen, es kann kein Konflikt dargestellt und analysiert werden, der Handlung fehlt folglich eben auch ein Höhepunkt. Es wird einfach nur so dahin erzählt und am Ende fragt man sich, was man da jetzt eigentlich gelesen hat.
Vor allem fragt man sich, mit welchem Impetus Sprenger als Autor ans Werk ging, was das Movens war, das ihn bewegt hat, gerade diese Geschichte unbedingt aufschreiben zu müssen. Ein wenig wird man den Verdacht nicht los, jemand habe da einfach seine persönlichen Reiseerinnerungen aufgeschrieben, mehr nicht. Solche Reiseerlebnisse schreibt der Held Jonas ja tatsächlich auch im Roman auf. Längere Passagen daraus sind auch abgedruckt und unterscheiden sich interessanterweise in nichts von der übrigen Erzählung, die so geradezu dupliziert wird, was nicht unbedingt dazu beiträgt, den Spannungsbogen straff zu halten.

Sind solche Reiseeindrücke genug Stoff für einen Roman? Natürlich, aber nur, wenn man auch in der Lage ist, diesen Stoff literarisch aufzubereiten, ihn zu verdichten, zu verfremden, eine Geschichte daraus zu konstruieren, eine adäquate Sprache für sie zu finden, mit Bildern Stimmung zu evozieren. Davon spürt man in Sprengers Debüt leider wenig. In der Geschichte, die er erzählt, steckt keine Dringlichkeit. Es fehlt an Verve, es gibt kein erkennbares Anliegen und für ein überzeugendes Stimmungsbild ist der Roman sprachlich zu wenig gelungen, sodass das auch keine richtige Road Novel wird.

Sprengers Debüt transportiert explizit überhaupt keine Botschaft, impliziert sagt er nur aus, dass eine totale Gleichgültigkeit die Welt erobert hat und dass alle das schulterzuckend hinnehmen. Viel ist das nicht. Manchen Dingen sollte man vielleicht doch noch Bedeutung beimesssen. Egal, wie es sich dabei mit dem Horizont verhält.

Titelbild

Jan Sprenger: Kirgistan gibt es nicht. Roman.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2012.
240 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783871347504

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