Räuberpistolen

Jonas Jonassons Roman „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“

Von Jasmin M. HlatkyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jasmin M. Hlatky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kurz bevor im Seniorenzentrum Malmköping der hundertste Geburtstag von Allan Karlsson feierlich begangen werden kann, steigt der rüstige Jubilar kurzerhand aus dem Fenster und sucht das Weite.

Soweit führt ja alleine schon der Titel den Leser in die Geschichte ein, bereitet ihn aber zugegebenermaßen nur dürftig auf das nun folgende literarische Roadmovie mit Geschichtsstunde vor, das sich auf etwas über 400 Seiten entrollen wird. Der Protagonist Allan trifft nämlich nicht nur immer genau die richtigen Menschen auf seiner Flucht, sondern verkörpert außerdem noch ein gutes Jahrhundert Weltgeschichte. Parallel zur Flucht Allans und seiner stetig wachsenden Komplizenschar wird peu á peu seine Biografie erzählt und die hat es wirklich in sich – Bombenbauer, Spion, Vertrauter von Herrschern und Despoten, Zeitzeuge – keine Konstruktion ist dem Autor an dieser Stelle zu kühn. Zugegebenermaßen wirkt dieser Schelmenroman daher manchmal recht überzogen, etwa wenn Allan im Laufe seiner Abenteuer eines Tages im sibirischen Gulag Bekanntschaft mit Herbert Einstein, dem aller Welt bisher unbekannten und leider multipel unbegabten Bruder des großen Albert, macht. Auch sonst ist die Ausstattung passagenweise etwas sehr üppig geraten und viele Darstellungen bedienen sich gefälliger Stereotype, wobei manche Passagen nicht nur hanebüchen konstruiert sind, sondern schlicht sachlich falsch und schlecht recherchiert.

Aber vielleicht muss man es im Schelmenroman auch gar nicht so genau mit der Wahrheit nehmen und vermutlich macht genau die eine oder andere Flunkerei den Charme dieser Eulenspiegelei aus. Dadurch, dass sein Protagonist mit einer unglaublichen Naivität von einem Zufall in den nächsten stolpert, entlarvt er die Politik und Weltgeschichte, an der er ständig unfreiwillig mitwirken muss. Als Nachfolger von Candide, Simplicissimus und Forrest Gump bleibt Allan immer hilfsbereit und gutmütig und stellt damit diejenigen, mit denen er es zu tun hat, umso deutlicher bloß. Die strikt auktoriale Erzählhaltung und bewusst simple Sprache unterstützen dies – der Leser teilt schnell den liebevollen Blick des Romans für die Schwächen der Menschen. Stellenweise ist sogar Raum für feine Ironie und für ganz große Sätze: „Stattdessen wandte er sich an Gott und bat um Rat. […] Doch Gott antwortete mit Schweigen, das machte er manchmal.“

Auch wenn manche Erzählzüge besonders zum Ende hin etwas zu niedlich werden – dem Unterhaltungswert tut dies keinen Abbruch. Die Geschichte vom uralten Schelm bleibt lesenswert und ein großartiger Zeitvertreib.

Titelbild

Jonas Jonasson: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Wibke Kuhn.
Carl´s Books, München 2011.
416 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783570585016

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