Das große Theater der Liebe

Joe Wrights Neuverfilmung von „Anna Karenina“ bringt das stärkste aller Gefühle auf die Kinobühne – und hinterlässt beim Zuschauer doch ungestillte Sehnsüchte

Von Daniela OttoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniela Otto

Warum noch eine Neuverfilmung von „Anna Karenina“, wenn es bereits so viele davon gibt? Spekulieren wir. Sagen wir, der Regisseur hatte einfach Lust darauf. Das, die schlichte Gegenfrage ‚warum nicht?‘ und ein durchaus vorzeigbares Resultat geben dem Film seine Existenzberechtigung. „Anna Karenina“ ist dermaßen durchzogen von einer solchen unbegründeten Lust – der Lust am Schwelgen im Bilderrausch, der Lust am Überschwang, an unnötiger Opulenz, ja Luxus gar – dass es unmöglich ist, sich diesem dekadenten Sog zu entziehen.

Joe Wright, der mit „Stolz und Vorurteil“ und „Abbitte“ bekannt wurde und bei seiner Stoffauswahl stets eine Vorliebe für das große Drama bewies, serviert dem Zuschauer seine Version von „Anna Karenina“ gewissermaßen als bombastische cineastische Sahnetorte. Man probiert, sie schmeckt, man bekommt Appetit, will mehr und mehr, bis schließlich der Moment kommt, in dem man satt ist und keinen Bissen mehr hinunterbekommt. Verlässt man den Kinosaal, hat man zwar einen zuckersüßen Geschmack am Gaumen kleben, aber dennoch das Gefühl der Übersättigung. Das Gesehene war geschmackvoll, ästhetisch. Und doch ein wenig zuviel des Guten.

Eben dieses Überzeichnete ist jedoch intentioniert. Denn das Besondere des Filmes ist seine selbstreflexive Inszenierung: Die Kinoleinwand wird zur Theaterbühne. Wenn sich der Vorhang des Lichtspieltheaters öffnet, beginnt das Drama und Joe Wright spielt mit der Tatsache, dass es sich hierbei um eine Liebesgeschichte handelt, die nur die Weltliteratur hervorbringen kann. So lieben, so sterben, das geht nur auf der ganz großen Medienbühne. Die Wirklichkeit dagegen verblasst und steht einmal mehr in entzauberter Blöße da.

Die meisten Szenen präsentieren sich also gewollt kulissenhaft, der Film steht im Zeichen des Taumels: Alles dreht sich, wenn das Bühnenbild sich ändert, die Figuren ihre Garderobe wechseln, wenn sich die Fatalität der selbstvergessenen Liebe von Anna Karenina und dem Grafen Wronski während eines nicht enden wollenden Tanzes abzeichnet. Keira Knightley als Anna zu besetzen, die ihren Mann Alexej Karenin betrügt und die geballte Wucht der gesellschaftlichen Ächtung im Russland des 19. Jahrhunderts erfährt, bezeugt das Vertrauen des Regisseurs in die Britin, mit der er bei diesem Projekt zum dritten Mal zusammengearbeitet hat.

Knightley ist weder eine komplette Fehl- noch Idealbesetzung: Sie ist hübsch anzusehen, fast puppenhaft ausstaffiert mit schönen Kleidern und funkelndem Schmuck. Der Größe dieser weltberühmten Figur wird sie schauspielerisch jedoch nicht gerecht. Ihr immer gleicher Gesichtsausdruck, die allzu gespielte Sehnsucht und theatralische Leidenschaft werden spätestens dann enervierend, wenn sie ihren Geliebten während des Lustaktes „Mörder, Mörder, Mörder“ nennt. Diesen spielt Aaron Taylor-Johnson, der Jude Law als spießigem und biederem Ehemann den Rang als Hollywoods Schönling abläuft. Das weniger an Schönheit und mehr an Charakter schadet Law jedoch keineswegs: Seine Performance als Annas Gatte, der innerlich zwischen Vergebung und Verdammung oszilliert, ist eine der besten im Film.

„Anna Karenina“ anzuschauen ist durchaus ein Genuss. Dass der Film am 6. Dezember anlief und somit während der emotional aufgeladenen Vorweihnachtszeit platziert wurde, trägt seinen Teil dazu bei. Das verschneite Russland wird umso attraktiver, wenn es auch hierzulande draußen kalt wird. Der Film spielt mit einer der größten Sehnsüchte überhaupt, die in dieser Jahreszeit vielleicht am stärksten ist: Dem Verlangen nach einer solch allumfassenden Liebe, wie sie Anna und Wronski spüren. Die Inszeniertheit des Filmes lässt uns jedoch nicht vergessen, dass diese Liebe niemals von der Kinoleinwand in die Wirklichkeit herabsteigen wird. Schaut man auf das traurige Ende, kann man hierfür dankbar sein. Betrachtet man diese unbändige Leidenschaft, bleiben wir doch wehmütig zurück.

„Anna Karenina“. R: Joe Wright. Vereinigtes Königreich/Frankreich 2012. 130 Minuten.

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