Die Geschichte als Aufgabe

Laurent Binet macht in „HhhH“ das Attentat auf den SS-Schergen Reinhard Heydrich zu seiner persönlichen Angelegenheit

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel klingt kryptisch und weckt Neugier. „HHhH“ heißt das literarische Debüt des 1972 geborenen Laurent Binet. Das Akronym steht für „Himmlers Hirn heißt Heydrich“. Binet, der seinen Militärdienst 1996 als Französischlehrer bei der slowakischen Armee abgeleistet hat, ist damals mit dem Attentat auf den SS-Schergen Reinhard Heydrich in Prag 1942 konfrontiert worden. Sein Buch, das mit Roman bezeichnet ist, versucht dieses Ereignis aufzuarbeiten und nachzuerzählen. Dabei beleuchtet er einerseits die schwer fassbare Figur Reinhard Heydrichs, andererseits verfolgt er die beiden Attentäter, den Slowaken Jozef Gabčík und den Tschechen Jan Kubiš, bei ihren Vorbereitungen für den Anschlag. Ersteres erweist sich als einfacher, denn der „blonden Bestie“ Heydrich ist als einer der brutalsten Nazifiguren bis heute viel historische Aufmerksamkeit zuteil geworden.

Ausgehend vom eigenen Interesse, dieser Geschichte auf den Grund zu gehen, arbeitet sich Binet Schicht um Schicht in den Stoff hinein, um diesen Prozess selbst festzuhalten. Soweit möglich lässt er die beiden Ebenen einander abwechseln. Während Heydrich unter Himmler eine steile Karriere verfolgt, die ihn auf den Posten des Reichsprotektors für Böhmen und Mähren führt, verlassen Gabčík und Kubiš klandestin ihre Heimat, um sich in London unabhängig voneinander dem tschechischen Untergrund anzuschließen. Für ihr Attentat kehren sie zurück, indem sie mit einem Fallschirm in unbekanntes Niemandsland abspringen. Die beiden wissen, dass sie ihr Unternehmen kaum heil überstehen werden. An einer Straßenecke in Prag kulminiert schließlich die Parallelhandlung.

Das Attentat misslingt, Heydrich wird nur verletzt, doch weil es dem Land an Penicillin mangelt, erliegt er wenig später im Spital einer Blutvergiftung. Die Sicherheitskräfte reagieren konfus. Während die einen zur Vorsicht raten, vergelten andere das Attentat mit einer brutalen Strafaktion, die eher zufällig das Dorf Lidice trifft. Laurent Binet beschreibt seine Auslöschung als einen ersten Wendepunkt vor Stalingrad. Der Slogan „Lidice Must Live!“ ging um die Welt und zeigte das wahre Gesicht der Naziherrschaft. Trotzdem folgten noch Millionen von Toten durch die von Heydrich geplante „Endlösung“ der Judenfrage.

In einer Krypta gefangen und von der SS aufgespürt, zweifeln Gabčík und Kubiš selbst am Sinn ihrer fehlgeschlagenen Tat. Binet entgegnet ihnen: „Vielleicht schreibe ich dieses Buch, um sie begreifen zu lassen, dass sie sich täuschen.“ Mit seinem Roman reiht sich Laurent Binet ein in eine Reihe von neuern dokumentarischen Romanen, erinnert sei an „Kongo“ von David van Reybrouck  oder „Die Elenden von Lodz“ von Steve Sem-Sandberg. Nicht zu vergessen ist auch der Roman „Die Wohlgesinnten“ von Jonathan Littell, den Binet ausdrücklich erwähnt und als „Houellebecq bei den Nazis“ kritisiert. Tatsächlich geht er selbst behutsamer vor. Beflissen recherchiert er die Umstände und hinterfragt ständig das eigene Tun, bevor er sich bei der Beschreibung des Attentats zu einer anschaulichen, dichten literarischen Erzählung hinreißen lässt.

Binet geht einen Mittelweg zwischen Sem-Sandberg und van Reybrouck, ohne freilich einem Vergleich mit ihnen standzuhalten. Das liegt weniger am Vorgehen selbst als an seiner literarischen Manier, mit der er das Prager Attentat zur „persönlichen Angelegenheit“ macht: „Was für eine Unverschämtheit, einen Mann, der seit langer Zeit verstorben ist und der sich nicht mehr wehren kann, wie eine Marionette zu behandeln! Ihn Tee trinken zu lassen, obwohl er vielleicht nur Kaffee mochte. Ihn zwei Mäntel anziehen zu lassen, obwohl er vielleicht nur einen einzigen besaß.“

Laurent Binet fehlt offenkundig die Souveränität – oder Unverschämtheit – um sich für eine klare ästhetische Lösung zu entscheiden. „Weil ich Sklave meiner Skrupel bin“? Programmatisch vergleichbar mit van Reybrouck ist sein „Roman“ (der im Grunde keiner ist) als Recherche angelegt. Allerdings überzieht Binet den narrativen Dreh des lückenhaften Wissens insofern, als ihm Fehler und Korrekturen von geradezu peinlicher Naivität unterlaufen. Dazu ein Beispiel: Binet erklärt sich die bigotte Haltung des französischen Außenministers Daladier 1938 aus der reaktionären, prononciert antilinken Grundhaltung, um wenige Zeilen später anzuerkennen, dass Daladier ja radikaler Sozialist gewesen sei. In solchen Passagen mangelt es Binet entweder an basalem Schulwissen, oder ihm misslingt die rhetorische Koketterie. Zu letzterer gehört auch, dass sich seine Sprache zu oft in saloppen Wendungen gefällt.

Die stetig wiederkehrenden Berichtigungen oder Einschränkungen verfehlen derart ihre Wirkung und verraten eine etwas naive Didaktik. Das macht die Lektüre von „HhhH“ trotz vital erzählter Stellen zu einem eher langfädigen Lektüreerlebnis.

Titelbild

Laurent Binet: HHhH. Himmlers Hirn heißt Heydrich.
Übersetzt aus dem Französischen von Mayela Gerhardt.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2011.
445 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498006686

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