„Im Schatten bedeutender Leute“

Manfred Flügge porträtiert in seiner Biografie „Muse des Exils“ die Malerin Eva Herrmann

Von Jens FlemmingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Flemming

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lion Feuchtwanger, der im Winter 1936/37 Moskau besuchte, mochte den Praktiken des Sowjetsystems, der Liquidierung der alten bolschewistischen Elite und der Ermordung tausender zu ‚Schädlingen‘ gestempelter Menschen nicht auf den Grund gehen. Vor Stalin beugte er die Knie, und die Schauprozesse nahm er als Beispiele für wahrhaft demokratische Gerichtsverfahren, weil sich an der ‚Wahrheitsfindung‘ die Angeklagten aktiv beteiligt hätten. Viel lieber ließ er sich von den Machthabern feiern. Er „gehörte zu jenen, die hinfahren und zurückkommen und auf der Reise keine Entdeckung gemacht haben“, notierte Ludwig Marcuse, der mit ihm gefahren war, Jahrzehnte später. Mit von der Partie war noch eine weitere Person, die Marcuse in seinen Memoiren nie beim Namen nennt, aber mehrfach erwähnt: eine „charmante Zeichnerin“, die er an anderer Stelle relativ ausführlich charakterisiert. „Ihr Verhältnis zur deutschen Literatur“ habe sich darin erschöpft, „viele Literaten meisterhaft karikiert“ zu haben: „Sie war sehr nüchtern und sah sehr poetisch aus. Ihr Gehen war ein Schreiten, das eine mädchenhafte Eleganz zum Vorschein kommen ließ“. Von ihrer Schönheit und ihrem Wesen waren die meisten Männer und Frauen, die mit ihr zusammentrafen, fasziniert: Ihre Adoranten waren so zahlreich wie ihre Liebhaber.

Feuchtwangers Begleiterin war Eva Herrmann. Sie „malte mittelmäßig, aber ihre Karikaturen waren ausgezeichnet“, urteilte Golo Mann, der sie gut kannte. Die produktivste Zeit hatte sie, wie ihr Biograf Manfred Flügge mitteilt, in Sanary, jenem Ort an der französischen Riviera, der zahlreichen deutschen Intellektuellen zwischen 1933 und 1939 als Zuflucht diente. Feuchtwanger, ein wahrer Erotomane, der seine Errungenschaften mit der Leidenschaft eines Statistikers verzeichnete, hatte sie 1933 kennengelernt, im August 1935 wurde sie seine Geliebte. Ungeachtet anderer Affären, denen sich beide mit jeweils unterschiedlicher Intensität anheimgaben, hatte Eva Herrmann in Feuchtwangers Harem so etwas wie den ersten Platz inne. Bis Kriegsbeginn, auf den sie 1939 mit der Rückkehr, er zunächst mit Abwarten, dann auf abenteuerlichen Wegen 1940 mit Flucht in die USA reagierte, führten sie ein „eheähnliches Verhältnis“, gewiß vielfach unter- und durchbrochen, aber doch relativ stabil. Erst in Amerika verwandelte sich die Liebe in Freundschaft. Eva Herrmann hatte, wie unser Autor vermutet, mehr erwartet, Feuchtwanger vielleicht auch mehr versprochen, was er jedoch nicht halten konnte oder nicht halten mochte. Jedenfalls trennte er sich nicht von seiner Frau Martha, auf die er zur Bewältigung seines Alltags nicht glaubte verzichten zu können.

Eva Herrmanns Bedeutung speist sich aus der Tatsache, dass sie mit bedeutenden Leuten verkehrte: als Geliebte, als Freundin, als Gast oder Gastgeberin. Die Männer, mit denen sie schlief, waren Legion. Aber nur wenige davon erreichten tiefere Schichten ihres Herzens. Neben Feuchtwanger waren dies: Ricki Hallgarten, der Freund von Klaus Mann, eine innerlich zerrissene, problematische Gestalt, die 1932 Selbstmord beging; zuvor aber vor allem Johannes R. Becher, als dieser noch im Gewand des Bürgerschrecks steckte, ehe er sich 1923/24 endgültig mit der Kommunistischen Partei verbandelte, wo er recht schnell Karriere als Literaturfunktionär machte. Für die ohnehin von Krisen durchtränkte Beziehung zu Eva Herrmann, der Tochter eines wohlhabenden Malers aus den USA, die ein Leben ohne materielle Bedrängnis führen konnte, war das nicht zuträglich: 1924 zerbrach sie, aber beide bewahrten eine freundschaftliche, bisweilen zärtliche, bisweilen sentimentale Zuneigung füreinander. Nach 1945, als Becher aus der Sowjetunion nach Deutschland zurückkehrte, schickte sie ihm Care-Pakete, besorgte ihm in den Staaten Schuhe, Anzüge und Hemden.

Was rechtfertigt eine Biografie über eine Frau, die sich zeitlebens im Schatten anderer bewegte? Völlig klar wird das nicht. Wohl wahr, sie taucht in Erinnerungen derer auf, die sie kannten und von ihr beeindruckt waren. Auch mancher Romanfigur hat sie ihre Züge geliehen. Golo Mann, der sich am Ende enttäuscht äußerte, hat sie in einer seiner seltenen Erzählungen ‚verewigt‘. Aber sonst? Manfred Flügge widmet dem, was ihr zu eigen war, ihrem Proprium, nur wenige Seiten: der Malerei, den Karikaturen, von denen man einige im zweiten Jahrgang von Klaus Manns „Sammlung“ besichtigen kann, auch einem Kinderbüchlein von 1924 („Kasperl auf Reisen“), schließlich den seltsamen spiritistischen Hervorbringungen der späten Jahre, die es mit Hilfe eines Freundes zwischen zwei Buchdeckel brachten. Die Geschichte, die hier in flüssiger Prosa dargeboten wird, ist über weite Strecken die von anderen: von Becher, Feuchtwanger, den Mitgliedern der Familie Mann, Maria und Aldous Huxley, Sybille Bedford, um nur diese zu nennen. Nicht alles davon gehört zu den großen Unbekannten: Über die Feuchtwangers zum Beispiel hatte Flügge 2008 schon selbst ausführlich geschrieben.

Von einer Person, die sich, gestützt von den Zuwendungen des Vaters, in der Welt tummelte, gleichwohl „in ewiger Unerfülltheit“ lebte, bleibt nicht eben viel. „Ihrer künstlerischen Arbeit fehlte es an Ehrgeiz“, resümiert der Autor: „Sie wurde bewundert, geliebt, verwöhnt und dann wieder vergessen.“ Sie ans Licht zu holen, heißt zuvorderst, diejenigen zu porträtieren, in deren Dunstkreis sie sich bewegte. Den in das Innere der Protagonistin zielenden Erklärungen, die Flügge liefert, haftet ein Hauch von Common-Sense-Psychologie an, ersonnen wie am Küchentisch. Überraschend sind sie jedenfalls nicht. Immerhin, die Zahl der durchforsteten Nachlässe und der konsultierten Korrespondenzen ist beachtlich. Die darauf fußende Studie präsentiert ein Panorama von Figuren, die einem hier und da auch sonst begegnen, nicht zuletzt gewährt sie Einblicke in die Lebenswelten deutscher Emigranten in Frankreich und den USA. Das schließlich ist nicht gering zu achten: Jenes Treiben in Sanary und Los Angeles durchleuchtet zu haben, das allerlei interessante Einsichten evoziert, auch manch erhellende Details und amüsante Episoden birgt.

Titelbild

Manfred Flügge: Muse des Exils. Das Leben der Malerin Eva Herrmann.
Insel Verlag, Berlin 2012.
432 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783458175506

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch