„Daran waren auch die Bücher schuld“

Gerhard Seyfrieds historischer Spionageroman „Verdammte Deutsche!“

Von Manu SlutzkyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manu Slutzky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ob sie den ganzen Schlamassel Adrian zu verdanken haben, sie und ihr Vater, diesen verdammten Deutschen, auf den sie hereingefallen ist?“

Vivian Peterman fühlt sich schuldig: Die 16-jährige Kunstschülerin hat sich in den 27-jährigen Oberleutnant zur See Adrian Seiler verliebt, und nun werden sie und ihr Vater, der Londoner Buchhändler Julius Peterman, der Spionage für die deutsche Marine verdächtigt. Peterman handelt nämlich mit Seekarten und maritimer Literatur, und das Deutsche Reich ist dabei, der Seemacht England Konkurrenz und den ersten Rang auf den Weltmeeren streitig zu machen. Im Vorfeld des Ersten Weltkrieges – wir schreiben das Jahr 1911 – sind Rosyth und Scapa Flow, die britischen War Stations der Navy für einen Krieg gegen Deutschland, im Auf- und Ausbau oder bereits gut bestückt, aber auch in Kiel und Wilhelmshaven liegen einige Geschwader mit etlichen neuen Kriegsschiffen auf Reede.

Eigentlich wollen die Menschen keinen Krieg – weder in London noch in Berlin. Aber der pathologische Verschwörer William Melville, Detective des Secret Service, und der hysterische Schreiberling William Le Queux, Verfasser ebenso reißerischer wie haltloser Spionagethriller, schreien beziehungsweise schreiben ihn herbei. Die Romane des einen und die Sachstandsberichte des anderen haben keinerlei Evidenz – und dennoch gewinnt ihr Wort an Gewicht, zeitigt die stetige Insinuation eines angeblichen „Überfalls“ des (künftigen) Gegners Folgen. Am Ende ist der Krieg unvermeidlich, und Gerhard Seyfrieds Roman schließt mit dem 4. August 1914, als England Deutschland den Krieg erklärt: „Daran waren auch die Bücher schuld“, die auf dürftiger Materialbasis, aber gespickt mit Fanatismen den Waffengang herbeischrieben.

„Verdammte Deutsche!“ hingegen ist ein – chapeau – glänzend erzählter und umsichtig recherchierter Spionageroman mit teils authentischer, teils fiktiver Staffage. Ein Roman, der – mit etlichen sympathischen Figuren auf beiden Seiten – aufklären möchte und der vielleicht, wäre er damals, auf dem Höhepunkt der Krise als utopische Verheißung erschienen, so manchen Leser zur Vernunft gebracht hätte. Er folgt der Chronologie der Ereignisse, er ist ähnlich wie eine Chronik oder wie ein Tagebuch aufgebaut, im historischen Präsens und aus wechselnden Perspektiven erzählt. Der Roman fokussiert auf Adrian und Vivian, auf Gustav Steinhauer, den – historisch verbürgten – „Meisterspion des Kaisers“, sowie auf Randolph Drummond, einen Geheimdienstmitarbeiter, der hilflos mitansehen muss, wie Komplotte ausgeheckt, Vorgesetzte manipuliert, Unschuldige gezielt belastet und Verfehlungen der Behörde camoufliert werden. Doch dann und wann gelingt es ihm, Schlimmeres zu vereiteln, diesen „Haufen Narren“, dem er selber angehört, auszubremsen – aber die Kriegsgefahr kann auch er nicht bannen.

Gerhard Seyfried, Jahrgang 1948, als Repräsentant und Chronist der linksalternativen Scene vielfach gerühmt und ausgezeichnet, tritt mit seinem gut gemachten, spannend aufgezogenen, virtuos erzählten Liebes-Agenten-Roman in direkte Konkurrenz zur hanebüchenen und unzusammenhängenden Germanophobie eines William Le Queux. Zwar erlaubt sich auch Gerhard Seyfried Freiheiten gegenüber der Historie, doch ist seine Darstellung niemals einseitig oder gar tendenziös. Er erweist sich, wie schon in den beiden früheren Werken seiner Kaiserzeit-Serie – zwei Romane, „Herero“ (2003) und „Gelber Wind“ (2008) thematisieren die Kolonialpolitik des Kaiserreiches –, als gänzender Historiker, der sich schlüssig Räume für Fiktives zu erschließen weiß. Respektvoll hat er sich die Tugenden des angelsächsischen Fabulierens zu eigen gemacht – niemals langweilen oder übertreiben und gar gegen den guten Geschmack verstoßen, dafür gut und ausgewogen unterhalten, Informationen dosiert verteilen, den Leser diskret an die Hand nehmen und den Spannungsbogen halten. Selbst Nebenschauplätze, die das historische Kolorit erweitern, werden gekonnt aufbereitet und erzählt: Die Suffragetten-Bewegung, das Londoner Verkehrssystem, die Industrialisierung, die überall die Landschaft versehrt sowie die Geschichte des deutsch-französischen Krieges von 1870/71. Ein Geschichtspanorama von besonderer Güte, erzählerischer Spannung und ‚britisch‘ anmutender Noblesse.

Titelbild

Gerhard Seyfried: Verdammte Deutsche! Roman.
Knaus Verlag, München 2012.
412 Seiten, 29,99 EUR.
ISBN-13: 9783813504279

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