Schwach und gefährlich
Anmerkungen zu Philippe Djians Roman „Die Rastlosen“
Von Thomas Neumann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEigentlich ist Marc kein unsympathischer Zeitgenosse. Der Protagonist in Philippe Djians Roman lebt als Universitätsdozent für Literatur zwar nicht gerade im Zentrum des kulturellen Lebens, scheint aber vor allem für seine weiblichen Studierenden durchaus attraktiv zu sein. Er ist Anfang Fünfzig, lebt in einem Haus außerhalb einer Universitätsstadt. Er wohnt zusammen mit seiner Schwester, mit der ihn eine schwierige Kindheit verbindet. Irritierend ist die Einleitung des Romans. Man findet den Protagonisten dort zusammen mit einer 23-jährigen nackten und toten Studentin zusammen in einem Zimmer. Nüchtern und emotionslos analysiert Marc die Situation und kommt zu dem Schluss, dass nur die professionelle Beseitigung der Leiche sinnvoll ist. Routiniert lässt er den Leichnam des Mädchens verschwinden. Erst zwei Tage später fällt ihm der Name des Mädchens wieder ein: Barbara.
Philippe Djian schreibt in einem nüchternen Stil. Knappe, präzise Beschreibungen der Charaktere lassen emotional lädierte Personen entstehen, die mit ihren Deformationen zwischen individueller Schwäche und Persönlichkeitsstörung agieren. Diese verschobenen Wertesysteme machen allerdings auch den Reiz der Geschichte aus. Bei dem Protagonisten Marc ist es eine gewisse Abgeklärtheit, die ihm Gleichgültigkeit dem eigenen Handeln gegenüber gestattet: „Seit vielen Jahren wünschte er sich Stabilität. Vieles hatte sich gebessert, seit er begriffen hatte, dass aus ihm niemals ein Schriftsteller werden würde, niemals würde er ein richtiger Schriftsteller sein.“ Seine Frustration über diesen gescheiterten Lebenstraum kann Marc schwer verbergen, aber er kompensiert ihn durch seine sexuellen Erfolge bei seinen Studentinnen. Als er eine attraktive, fast gleichaltrige Frau kennenlernt, die noch dazu scheinbar die Mutter der verschwundenen Barbara ist, fällt auch dieses „Entschädigungsmodell“ in sich zusammen. Die sexuelle Anziehung einer fast gleichaltrigen Partnerin bringt ihn aus dem emotionalen Gleichgewicht. Er verliert den Rahmen und den Handlungsspielraum für sein Verhalten vollständig aus den Augen.
Djian erhöht die Dramatik bei der Charakterentwicklung seines Protagonisten durch die Erzählgeschwindigkeit. Weitere Morde geschehen und die Abgeklärtheit des Protagonisten gerät ins Schwanken. Besonders spannend wird dies durch die Beziehung zur Mutter von Barbara. Seine Unsicherheit nimmt zu, seine Handlungen werden riskanter und risikoreicher, man könnte sie fast als kopflos bezeichnen. Letztendlich erfüllen sich die Vorzeichen, die die eigentliche emotionale und charakterliche Schwäche des Protagonisten offenbaren. Der Autor sorgt vor allem für Spannung und für einen guten Showdown. Aber das soll der nutzbringenden und unterhaltsamen Lektüre vorbehalten bleiben.
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