„Die Juden waren eben nicht nur Opfer“

Yehuda Bauer unterstreicht in seinem Buch „Jüdische Reaktionen auf den Holocaust“ die Tragweite des jüdischen Widerstandes gegen das Naziregime

Von Constanze FiebachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Constanze Fiebach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor mittlerweile 20 Jahren ist das Buch erstmals veröffentlicht worden, in hebräischer Sprache. 1989 folge die englische Übersetzung – und nun liegt es auch in deutscher Ausgabe vor. Und obwohl, wie der Autor selbst im Vorwort bemerkt, in Deutschland ganze Bibliotheken über den Holocaust erscheinen, findet der Blick auf die Juden meistens nur aus der Perspektive statt, die sie als hilflose, wehrlose Opfer sieht.

Dass es jüdischen Widerstand gegeben hat, ist zwar bekannt. In die Tragweite und Struktur dessen wird aber kaum Einblick gewährt. Yehuda Bauer legt mit dieser deutschsprachigen Fassung einen aktualisierten, zumindest teilweise um neuere Forschungsergebnisse erweiterten Text vor.

Gut verständlich geschrieben und nach inhaltlichen Gesichtspunkten nachvollziehbar gegliedert – wenn auch nicht rein chronologisch – versteht das Buch es besonders, die Strukturen der Organisationen und Institutionen, von denen der jüdische Widerstand ausging beziehungsweise die sich daran beteiligt haben, darzustellen. Es werden Hintergrundinformationen zu wichtigen Personen gegeben, über deren Verbleib und ausschlaggebende Funktionen.

Viele elementare Fragen, die bis heute aktuell sind, finden in diesem Buch eine Antwort. So wird beispielsweise der gesamtgesellschaftliche Kontext, in welchem sich die Juden zur Zeit des NS-Regimes befanden, perspektivisch breit beleuchtet und dadurch nachvollziehbar, warum viele Juden damals Deutschland nicht verlassen konnten oder wollten.

Betont wird immer wieder der wirtschaftliche Faktor, der die Emigration vieler tausend Menschen verhindert hat. Auch die Einwanderungspolitik der möglichen und angedachten Einwanderungsländer, wie Palästina, der USA, Frankreich, Madagaskar, Japan und Großbritannien wird in erhellender Weise dargestellt. Dass von dort oftmals in so hohem Maße Gegenwind kam, wird selten so deutlich aufgezeigt.

In Relation zum jüdischen Leben in Deutschland wird immer wieder auf Juden in anderen Ländern referiert, wodurch die damalige Situation in Deutschland, sowie die Reaktionen der dort lebenden Juden und Nichtjuden noch klarer umrissen – und für viele Leser vermutlich verständlicher – werden. Dazu trägt auch bei, dass immer wieder aufgezeigt ist, welche Fakten welchen Personengruppen zu welchem Zeitpunkt bekannt gewesen sind. Und dass es lange – vor 1938/39 – nicht das erklärte Ziel der Nazis gewesen sei, Juden zu ermorden.

Yehuda Bauer ist bei seiner umfassenden Darstellung um Objektivität bemüht und benennt auch die negativen Reaktionen der Deutschen auf das Handeln der Nationalsozialisten. Denn zum Beispiel „[n]icht unerwähnt bleiben sollte, daß ein wahrscheinlich hoher Prozentsatz der Deutschen die ‚Kristallnacht‘ […] mit wenig Sympathie verfolgte“.

Allerdings gelingt ihm diese Objektivität nicht durchgängig. So ist im Zusammenhang mit der Wahl Adolf Hitlers zum Reichskanzler immer von „Machtergreifung“ die Rede, obgleich dieser Begriff in den Geschichtswissenschaften stark umstritten ist.

Herauszustellen ist, dass die moralische Dimension des jüdischen Widerstandes große Beachtung und Wertschätzung erfährt. Denn auch, wenn der Widerstand vielen Juden nicht das Leben retten konnte, bemerkt Yehuda Bauer, „daß sich die meisten der jüdischen Führer ehrenhaft verhielten, obwohl ihnen alle Mittel fehlten, angemessen zu reagieren und sie völlig machtlos waren“, was unseren Respekt verdient habe.

Das umfassende Glossar, erstellt von der Historikerin Juliane Wetzel, verhilft dem Leser zu einem besseren Überblick über alle am jüdischen Widerstand beteiligten Organe. Aufgrund der vielen Zahlenbelege, wie viele Juden wann wohin emigrieren konnten, sind die Übersichtstabellen in Kapitel zwei sinnvoll und hilfreich, wären aber im Anhang besser aufgehoben, da man ein solches Dokument eher am Ende erwartet und gegebenenfalls sucht.

Der Autor begründet den Verzicht auf einen wissenschaftlichen Apparat mit dem Ziel, das Buch solle „das allgemeine, gebildete und interessierte Publikum“ ansprechen. Dennoch wären Informationen über den Verbleib der genannten Quellen – viele Dokumente werden namentlich genannt – nicht nur interessant, sondern auch wichtig.

Wie sehr die ganze jüdische Welt, aber nicht ausschließlich diese, um die Rettung der Juden bemüht war, zeigt Yehuda Bauer in seinem Werk „Jüdische Reaktionen auf den Holocaust“ luzide auf und erlaubt dabei einen umfassenden Blick auf die weltweite jüdische Gemeinschaft, der dem Leser ein erweitertes Verständnis des Judentums gewähren kann.

Titelbild

Yehuda Bauer: Jüdische Reaktionen auf den Holocaust.
LIT Verlag, Münster 2012.
219 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783643109583

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