Toxische Liaison

A. L. Kennedy entwickelt in ihrem Roman „Das blaue Buch“ einen narrativen Sog, der zuweilen kapriziös anmutet

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Elizabeth Barber fährt mit ihrem Freund und Zukünftigen Derek auf einem Kreuzfahrtschiff über den Atlantik. Sie fühlen sich leicht unbehaglich unter all den angejahrten Mitreisenden, die sich ein Vergnügen gönnen möchten, dem sie kaum mehr gewachsen sind. Doch Derek und Elizabeth fahren in eine neue Zukunft. Vor allem Elizabeth will einen Schlussstrich unter die Vergangenheit ziehen, die mit einem dubiosen Gefährten verknüpft ist. Doch genau dieser Arthur Lockwood befindet sich – zufällig? – auch auf dem Schiff und stürzt Elizabeth in neuerliche Turbulenzen. Sie wird emotional hin und her geworfen zwischen dem gefährlichen Arthur, der eine noble Suite bewohnt, und dem biederen Derek, der von Seekrankheit gebeutelt wird und darob schlechter Laune ist.

Diese Konfrontation ist ungemütlich. Arthur hat noch immer Macht über Elizabeth, beide sind sie voneinander angezogen, ein Relikt ihrer langjährigen Zusammenarbeit. Mit ihrer Hilfe hat Arthur während Jahren als Medium gearbeitet, der Kontakt mit Verstorbenen aufnimmt. Auch wenn er seine Dienste zuweilen umsonst anbot, lebten sie davon, dass er sich bei vornehmen Damen mit seinem falschen Zauber beliebt machte. Im Grunde steckte dahinter nichts als arglistiger Betrug, zugleich wirkte dieser Schwindel auch versöhnlich für die Opfer. Arthur ist gewiefter Hochstapler und einfühlsamer Menschenfreund in einem. Mit dieser Doppelnatur ringt Elizabeth.

A. L. Kennedy ist eine Autorin, die ihre Leser und Leserinnen förmlich in Bann schlagen kann, auf dass diese am Ende der Lektüre wie aus einem Traum aufwachen. Dieses Verfahren liegt auch dem neuen Roman zugrunde. Der Text beschreibt eine emotionale Tiefenstruktur, wechselseitig aus der Optik von Elizabeth und Arthur, die zwischendurch den Blick auf die Inseln der Erinnerung frei gibt. Beschreibende Passagen wechseln sich ab mit kursiv gesetzten inneren Monologen und verschmelzen rhythmisiert ineinander. Dergestalt ist der Roman zugleich Elizabeths erregendes Vermächtnis, ihr „blaues Buch“ über eine Vergangenheit, die am Ende in ein versöhnliches Ende mündet.

„Das blaue Buch“ ist eigenwillig und bemerkenswert. Es zieht seine Leser von der ersten Zeile an hinein in einen Sog des Erzählens und Erinnerns, der mitreißen, der aber auch befremden kann. Beiderlei ist in diesem Buch angelegt. Auf dem Umschlag wird das Times Literary Supplement zitiert mit dem Satz: „Das blaue Buch bleibt im Gedächtnis, lange nachdem man es aus der Hand gelegt hat. Und darin liegt seine ungeheure Magie.“ Es lässt sich auch anders beurteilen. Diese Magie klingt – dem Inhalt angemessen – nach verlockendem Flitter, der seine Wirkung verfehlt.

Gleich zu Beginn klingt die emphatische Anrede an das noch unbekannte Du sowohl hoch artistisch wie zugleich kapriziös. Diese Doppelnatur bleibt dem Buch bis zum Schluss (und da erst recht) einbeschrieben. Auf der einen Seite beschwört der Text in inbrünstigen Arabesken die Gefühle der Verletztheit, des Begehrens und der Faszination zwischen Elizabeth und Arthur, auf der anderen Seite demonstriert die Autorin immer wieder ihre stilistische Meisterschaft, die sich in präzisen Beobachtungen und lebhaften Erinnerungen ausdrückt.

Eines der „Opfer“ Arthurs war auch eine Frau namens Agathe, die dem Genozid unter größten Leiden in Ruanda entkommen war. Arthur beschwor ihren Mann und ihren Sohn nochmals von den Toten herauf, damit sie von ihnen Abschied nehmen und selbst zur inneren Ruhe finden konnte. In der Doppelbödigkeit dieser Beschreibung, die die erlittene Erfahrung Agathes mit den Selbstzweifeln Arthurs virtuos zu einer Textur mischt, beweist Kennedy ihre Brillanz. Konzis bringt sie hier ein Geschehen auf den Punkt, ohne es ungebührlich auszumalen. Das bleibt hängen.

Die Kritik hat Kennedys Buch für ihre erzählerische Intensität und Sensibilität hoch gelobt. Dem ist mit Einschränkungen beizupflichten. Die emphatische Leidenschaft, die den gewundenen Satzperioden innewohnt, verfehlt stellenweise mit ihrer Opulenz die Wirkung. So lässt „Das blaue Buch“ widerstreitende Gefühle zurück.

Titelbild

A. L. Kennedy: Das blaue Buch. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Ingo Herzke.
Carl Hanser Verlag, München 2012.
365 Seiten, 21,90 EUR.
ISBN-13: 9783446239814

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