„Satan, dein Name ist Pubertät.“

Joey Goebel stößt in seinem Roman „Ich gegen Osborne“ die Türen der Schulhölle weit auf

Von Patrick WichmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Wichmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zunächst die Medien und die Populärkultur in „Vincent“, dann die Politik in „Heartland“, nun also eine Schule und ihre Schüler: Joey Goebel bleibt seiner hergebrachten Herangehensweise treu, auch sein neuer Roman ist eine Satire auf das Kleinstadtmilieu des amerikanischen Mittleren Westens. Einmal mehr ist es daher auch ein Außenseiter, dem er seine Stimme leiht. In „Ich gegen Osborne“ erzählt der 17-jährige James Weinbach aus seinem Schulalltag – und bietet damit tiefe Einblicke in die Mentalität seiner Generation.

„Satan, dein Name ist Pubertät.“ James Weinbach ist ein Paria, hat sich bewusst von der Umwelt abgesondert. Die großen Themen seiner Mitschüler, deren Leben sich nur um Partys, Drogen und Sex drehen, widern ihn an, daher hat er sich von ihnen distanziert. Statt in Jeans und T-Shirt geht er im Anzug zur Schule, anstelle von Rap erklingt aus seinem Autoradio Jazz, sein Ideal ist das Dasein eines Gentlemans. In diesem Lebensstil hat er bislang nur eine Gefährtin gefunden, seine Mitschülerin Chloe. Doch als James sie nach dem Spring Break, das er selbst auf der Beerdigung seines Vaters verbrachte, um ein Date bitten will, muss er erfahren, dass sie sich über die freien Tage zu einem Mitglied eben der Partygesellschaft gewandelt hat, die er so verachtet. Angefangen bei einer Randnotiz wie ihren neuen Schuhen (plötzlich trägt sie moderne weiße Turnschuhe), bis hin zu Gerüchten über bizarre Sexorgien ist Chloe plötzlich ein Teil des ihm feindlich gesonnenen Systems.

„Sie hatten Sex, und ich hatte den Tod.“ Diese Urkatastrophe setzt an einem einzigen Schultag eine Kette von Ereignissen in Gang, die in James Kampf gegen den Schulball gipfelt, in dem sich für ihn alles Schändliche subsumiert. Durch diese Konstellation wird ihm schließlich seine Einsamkeit inmitten dieser Umwelt wieder und wieder vor Augen geführt, bis letztlich nur die Flucht nach vorne bleibt: „Nicht die Highschool ist mein Ding, sondern die Zukunft.“

Joey Goebel entwirft in der Osborne-Schule einen Mikrokosmos, in dem Konformitätsdruck den Kindern die Richtung vorgibt. Jeder muss ein „Gangsta“ sein, um dazuzugehören, muss Kleidung, Verhalten und Denkweise der Popkultur imitieren, um beliebt zu sein. Gut ist, was konform ist – und konform sind letztlich Ausschweifungen aller Art. Und so versucht jeder, den externen Ansprüchen an seine Rolle möglichst gut gerecht zu werden. „Das Problem in Osborne war, dass alle immer nur das taten, was ihrer Meinung nach von ihnen erwartet wurde.“ Eine Generation, getrieben von einer gefährlichen Mischung aus Langeweile und Hemmungslosigkeit, eine Partygesellschaft von Egomanen. Außerhalb dieses Kosmos hingegen ist die Rolle des braven Teenagers angesagt, sodass eine gefährliche Doppelmoral unverkennbar wird: „Amanda war ein Speed nehmendes Mitglied von T.g.D.M. (Teens gegen Drogenmissbrauch), ein trinkfestes Mitglied von S.g.A.a.S. (Schüler gegen Alkohol am Steuer) und eine Fleischeslust frönende Person, die das Keuschheitsgelübde der Bewegung ‚Wahre Liebe wartet‘ abgelegt hatte.“

Zugleich erzählt Goebel, selbst ein Kind des Mittleren Westens, in seinem Roman auch etwas über das amerikanische Bildungswesen: Es ist bevölkert von Lehrern, die lieber mit ihren Schülern über Sport reden, anstatt zu unterrichten, und einer jungen Nachhilfelehrerin, die vor den Missetaten ihrer Schützlinge aus Handlungsunfähigkeit lieber die Augen verschließt. Ihnen stehen Schüler gegenüber, die durch gezielte Nicht-Mitarbeit ihr zwielichtiges Image pflegen. „Ein Problem bestand darin, dass die klügsten Leute in dem Kurs auch die stillsten waren.“ Intelligenz muss schon aus Gründen der Statussicherung versteckt werden. Und so vergisst man „allzu leicht, dass wir aus einem ganz bestimmten Grund hier waren: um zu lernen“.

Letzten Endes zeigt sich aber auch in James eine Figur des Systems. Er spielt die Rolle des Solitärs, die er durch eine spezifische Art von äußeren und inneren Merkmalen verkörpert. Daher ist auch sein Anzug schließlich nichts weiter als die sichtbare Uniform der selbstgewählten Außenseiterexistenz. Und um die Rolle des Sonderlings einzunehmen, ist es gleichfalls unvermeidlich, all die anderen Ausgestoßenen zu übersehen, ganz wie es James offenbar unwissentlich tut. Unklar bleibt dabei letztlich, ob die Jugend selbst die Verantwortung trägt, sich zu einer durch Hemmungslosigkeit pervertierten Fratze der Gesellschaft entwickelt zu haben, oder ob es umgekehrt eben gerade die Gesellschaft ist, die ihre Jugend rücksichtslos in den Abgrund der Ausschweifungen stößt.

Der 32-jährige Joey Goebel hat sich in seinem vierten Roman geschickt dem Kniff des jugendlichen Ich-Erzählers bedient. Was von außen betrachtet zu einer moralisierenden Abfolge halbwüchsiger Fehltritte verkommen wäre, wird durch James’ Augen zu einem Blick in den Alltag der Schulhölle. So gerät er nur an wenigen Stellen zu einem pubertär-transformierten Erwachsenen, der ebenso hochmütig wie sittenstreng auf seine Umwelt herabblickt. „Ich gegen Osborne“ mag zugespitzte Satire sein, ist dabei jedoch erschreckend nah an der Realität. Die Partygesellschaft ist überall – und es gibt kein Entrinnen. „Wenn Sie Ihre Mitschüler für gemein halten, warten Sie ab, bis Sie erleben, wozu Erwachsene fähig sind.“

Titelbild

Joey Goebel: Ich gegen Osborne. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog.
Diogenes Verlag, Zürich 2013.
432 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783257068535

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