Große Erwartungen

F. Scott Fitzgeralds Essays liegen in einer deutschsprachigen Ausgabe vor

Von Jörg AubergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Auberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

An seinem dreißigsten Geburtstag besuchte Francis Scott Fitzgerald Gertrude Stein und Alice B. Toklas in ihrem Pariser Salon. „Dreißig Jahre alt“, rief er aus. „Die Jugend ist vorbei. Was werde ich tun? Was kann ich tun? Was tut man, wenn man dreißig ist und die Jugend vorüber ist?“ Man fahre mit der Arbeit fort, antwortete Stein lakonisch und empfahl ihm, den in ihm ruhenden Roman zu schreiben. Fitzgerald blieben noch vierzehn Jahre, ehe er starb, in denen er nicht nur den Roman „Tender is the Night“ (1934; deutsch „Zärtlich ist die Nacht“) schrieb, sondern auch eine Reihe von Erzählungen und Essays, die erst später goutiert wurden.

In der zeitgenössischen Kritik galt Fitzgerald als literarisches Sprachrohr des ekstatischen, überdrehten Zeitalters des Jazz in den 1920er-Jahren, der schließlich sein Talent an die amerikanische Massenkultur und später an den Alkoholismus verloren hatte. In der kommunistischen Tageszeitung „Daily Worker“ sah 1934 Philip Rahv (der später zum Herausgeber der führenden amerikanischen Zeitschrift „Partisan Review“ in den Jahren des Kalten Krieges und „Commander in Chief“ der antikommunistischen New Yorker Intellektuellen werden sollte) Fitzgeralds Roman als Ausdruck seiner morbiden Klasse und des untergehenden kapitalistischen Gesellschaftssystems. In dieser Sichtweise drückte sich eine ideologische Engstirnigkeit aus, denn Fitzgerald war von der Welt, die er beschrieb, zugleich angezogen und abgestoßen, und kein revolutionärer Autor hätte, wie Alfred Kazin schrieb, sie besser durchdringen können.

Für Toklas war Fitzgerald ihr Favorit unter den jungen Autoren der „Lost Generation“: „Seine Intelligenz, Sensibilität und Distinktion, sein Witz und Charme ließen seine Zeitgenossen gewöhnlich und leblos erscheinen“, urteilte sie 1951 in einem Artikel für die „New York Times“.

Im Rahmen der verdienstvollen Fitzgerald-Werkausgabe im Diogenes Verlag liegen nun auch die autobiografisch gefärbten Essays Fitzgeralds aus den Jahren 1920 bis 1940 vor, die erstmals 2005 unter dem Titel „My Lost City“ im amerikanischen Verlag Cambridge University Press erschienen. Der Band „Früher Erfolg“ lässt den schriftstellerischen Reifeprozess Fitzgeralds in autobiografischen Momentaufnahmen ablaufen und erzählt von der Entwicklung eines Mannes aus dem amerikanischen Mittelwesten, der zu Beginn der 1920er-Jahre um Aufstieg und Anerkennung (in literarischer wie in ökonomischer Hinsicht) in der Medienmetropole New York kämpfte, ehe er sich schließlich aus Geldnöten als Drehbuchautor im industriellen System der Filmmetropole Hollywood in den späten 1930er-Jahre verdingte.

Der Defekt schien von Beginn an in die Karriere eingebaut. „Die Geschichte meines Lebens ist die Gesichte des Widerstreits zwischen einem überwältigenden Drang zu schreiben und einer Verkettung von Umständen, die dem entgegenwirken“, konstatierte Fitzgerald bereits 1920. Die Essays reflektieren seine zentrale Themen aus der amerikanischen Imagination: die Verderbnis durch den Wohlstand und die Zerstörung durch Armut und Elend. Als junger Mann will er Erfolg haben, in der sozialen Hierarchie aufsteigen, zugleich sich eine künstlerische Integrität als Autor im Medienbetrieb bewahren. Das Ideal des Midwesterners ist, es zu etwas zu bringen, hart zu arbeiten und viel Geld zu verdienen, das er aber wieder im Rausch des Lebens verprasst – in New York oder an der französischen Riviera.

Reichtum konnte er sich mit Romanen wie „The Great Gatsby“ (der 1925 in kommerzieller Hinsicht nicht Fitzgeralds Erwartungen erfüllte) nicht erschreiben; das Geld floss in den Zeiten des wirtschaftlichen Booms eher über Kanäle des Tagesjournalismus in seine Kasse. „Am Ende ergab er sich den Vorgaben der ,Saturday Evening Post‘“, resümierte Rahv 1934 abschätzig. Zwischen den beiden Weltkriegen war die „Saturday Evening Post“ die Stimme des Mittelstandsamerikas, in dem sich Fitzgerald zu Hause fühlte. Neben diesem Medium nutzte Fitzgerald Zeitschriften wie „American Magazine“, „Ladies’ Home Journal“, „Woman’s Home Companion“ oder „Bookman“ als Publikationsorte, die nicht gerade durch ihr Faible für einen ausgeprägten ästhetischen oder politischen Avantgardismus auffielen.

Nachdem die „tollen Zwanziger“ schließlich in der Depression der 1930er-Jahre verschwanden und auch Fitzgeralds Geschicke sich in einem Abwärtsstrudel verfingen, suchte er sein Glück im Westen und heuerte in Hollywood als Drehbuchautor an. Doch obwohl der Künstler Fitzgerald die Massenkultur sowohl in seinen Erzählungen und Essays als Triumph der industriellen Massenkultur seismografisch beschrieb, blieb der Angestellte der Filmindustrie – wie Tom Cerasulo in seinem Buch über Schriftsteller in Hollywood („Authors Out There“, 2010) unterstrich – trotz seiner großen Ambitionen glück- und erfolglos. Obgleich er (wie in Budd Schulbergs 1950 veröffentlichten Roman „The Disenchanted“) als vom Alkoholismus gezeichnetes Wrack gezeichnet wurde, war Fitzgerald durchaus in der Lage, das eigene Scheitern zu reflektieren – sowohl in Kurzgeschichten als auch in autobiografischen Essays über den eigenen Zusammenbruch, die in der Zeitschrift „Esquire“ erschienen und nach seinem Tod von seinem Freund, dem Literaturkritiker Edmund Wilson, unter dem Titel „The Crack-Up“ (1945) in Buchform herausgebracht wurden.

„Man wird über Fitzgerald noch reden, wenn die Namen der meisten seiner schreibenden Zeitgenossen bereits verblichen sind“, zitiert der Verlag Gertrude Stein auf dem Umschlagstext, womit ein gültiges Urteil gefällt wurde. Neben dem großen Erzählwerk stellen die essayistischen Texte Dokumente einer zerrissenen Autorenexistenz unter dem Diktat des Geschäfts dar: An dem nicht aufzulösenden Widerspruch von Richtigem und Falschem, Utopie und Kommerz ist letztlich auch Fitzgerald zerbrochen und zugrunde gegangen. Leider hat es der Verlag versäumt, dem Band ein Nachwort zur Entwicklung Fitzgeralds vom „Jazz Age“ bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges beizufügen, und der von Melanie Walz erstellte Annotationsersatz (der an die Stelle des originalen Anmerkungsapparats gesetzt wurde) verliert sich häufig in Nebensächlichkeiten und Trivialitäten. Dennoch ist die Veröffentlichung dieses Essaybandes ein lobenswertes Unterfangen, das Fitzgerald die angemessene Bedeutung schenkt.

Titelbild

F. Scott Fitzgerald: Früher Erfolg. Über Geld und Liebe, Jugend und Karriere, Schreiben und Trinken.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Melanie Walz, Bettina Abarbanell und Renate Orth-Guttmann.
Diogenes Verlag, Zürich 2012.
374 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783257068351

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