Ein kalter Whydunit

Über Ferdinand von Schirachs Roman „Der Fall Collini“

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Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Collini hörte erst auf, als der Absatz seines Schuhs abriss“. Das Mordopfer ist tot, aber der Mörder hört nicht auf, ihm im Gesicht zu treten. So setzt „Der Fall Collini“ ein, das dritte Buch und der erste Roman Ferdinand von Schirachs.

Von Schirach arbeitet als Strafanwalt in Berlin. Zu seinen Klienten gehören Promis wie der ehemalige Spitzel Norbert Juretzko und der Politiker Günter Schabowski. Der 1964 in München geborene Schirach besuchte das Jesuiten-Kolleg St. Blasien und studierte Jura in Bonn. Seit 1994 ist er als Strafverteidiger tätig. Er ist auf Kapitalverbrechen spezialisiert.

Von Schirachs Debüt „Verbrechen“ erschien 2009, ein Jahr später folgte „Schuld“. Beide Bücher brachten dem Anwalt literarischen Ruhm und kommerziellen Erfolg: Seine Romane wurden in mehr als dreißig Sprachen übersetzt. Bearbeitungen erschienen im Kino und Fernsehen.

„Collini hörte erst auf, als der Absatz seines Schuhs abriss“. Grausam und kalt ist dieser Satz, mit einer wirksamen A-Assonanz. Der Pathologe kann die Zahl der Tritte später nicht rekonstruieren, aber das Mordopfer ist ein Industrieller, der das Bundesverdienstkreuz trug. Ort der Handlung ist die Brandenburg-Suite eines Luxus-Hotels, mit Blick aufs  Brandenburger Tor.

Caspar Leinen ist seit 22 Tagen Anwalt, als er Collini verteidigen soll. Und so stehen sich die beiden Männer gegenüber: der junge Deutsche und der alte Italiener, der Anwalt, der erst angefangen hat und der pensionierte Gastarbeiter, der scheue Jurist und der Mörder, der sein Opfer gehasst haben muss.

„Ich habe diesen Mann getötet“, sagt Fabrizio Collini. Er ist ein Mörder, der sofort bekennt, aber dessen Motiv ein Rätsel ist. „Der Fall Collini“ ist kein Whodunit, sondern ein Whydunit. Ein Kurzroman von weniger als 200 Seiten, in 19 Kapiteln. Von Schirach gibt sparsam Tipps. Sie führen den Leser in eine Richtung, aber bringen ihn nocht nicht auf die richtige Spur.

Das Ende des ersten Kapitels ist davon ein gutes Beispiel: „Er setzte sich auf eines der blauen Sofas in der Lobby. Ob er ihm etwas bringen dürfte, fragte der Kellner, Collini antwortete nicht. Er starrte auf den Boden. Seine Schuhabdrücke konnten auf dem Marmor im Erdgeschoss, im Lift und bis in die Suite zurückverfolgt werden. Collini wartete auf seine Festnahme. Er hatte sein ganzes Leben gewartet, er war immer stumm geblieben“. Als Leser ist man gespannt, wo die Erzählung hinführt.

Gibt es denn nichts zu beanstanden? Na gut: Die Beschreibungen sind manchmal etwas flach. Dass man bei Sex „die Wärme der fremden Haut“ fühlt, ist eine oberflächliche Beschreibung. Was riecht Leinen, wenn er mit dieser Frau im Bett liegt, was fühlen seine Fingerspitzen, woran denkt er? Schirachs Figuren zeigen kaum Emotionen. „Der Fall Collini“ ist dadurch ein etwas kalter Roman. Dadurch macht Schirach es eine Kritik, die etwas höhere Ansprüchen an Literatur stellt, leicht. Während Die Welt den Roman als „glasklare Geschichte“ pries, kritisierte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ seine „schiefe(n) Bilder und kitschige(n) Sentenzen“. Aber es ist Schirach nicht um feinsinnige Psychologie, sondern um die Suche nach einem Motiv, nicht um einen detailreichen Stil, sondern um eine spannende Geschichte zu tun. Und das ist ihm gelungen, gerade weil er so knapp schreibt.

Titelbild

Ferdinand von Schirach: Der Fall Collini. Roman.
Piper Verlag, München ; Zürich 2011.
196 Seiten, 16,99 EUR.
ISBN-13: 9783492054751

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