Die Homophobie der Frauenschaftsleiterin

Gerd Iltes „biographisches Lesebuch“ idealisiert die „NSDAP-Frauenführerin“ und KZ-Insassin Elisabeth von Gustedt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Frauenrechtlerinnen, die sich mit dem Faschismus mehr als nur arrangierten, gab es zu Beginn der 1930er-Jahre einige, darunter sogar die eine oder andere namhafte. Die Zahl der unbekannten oder längst vergessenen dürfte noch um einiges höher liegen. Eine von ihnen war die 1885 geborene Elisabeth von Gustedt, die sich nach der Machtergreifung zwar recht schnell von der NSDAP abwandte, ohne dass sich ihre Geisteshaltung allerdings grundlegend geändert gehabt hätte. Dennoch wurde sie bereits im Sommer 1934 von ihren einstigen GesinnungsgenossInnen ins Gefängnis geworfen. Gerd Ilte hat nun mit einem „biographischen Lesebuch“ an Gustedt erinnert.

Iltes Lebensbeschreibung Gustedts setzt mit einem hagiografischen Unterton ein, der mehr als nur leise an- und nie so ganz verklingt. Kritik liest man indessen nur höchst selten und allenfalls in verhaltener Form an. So etwa, wenn Ilte moniert, Gustedt sei „nur schwer in der Lage“ gewesen, „sich unterzuordnen oder ihre Positionen ausreichend kritisch zu durchdenken“.

Hingegen bescheinigt er seiner Protagonistin schon auf den ersten Seiten die „Berufung, Menschen zu führen“ und preist sie als „sehr vielseitige Schriftstellerin“, die „einem uralten Geschlecht“ entstammt.

Bereits als „junge Mädchen“ habe Gustedt „die Benachteiligung der Frau in Familie und Gesellschaft“ erfahren und empfunden. Fortan habe „der Kampf um die Rechte der Frau“ den „Mittelpunkt ihres Lebens“ gebildet. „Nur dank ihrem starken Charakter, ihrem persönlichen Mut und ihrer großen Willenskraft“ habe sie die Ehe mit Philipp Erhardt „überstanden“. Auch habe sie über die Jahre hinweg „gegen alle nur denkbaren Schwierigkeiten unbeirrbar für ihre Überzeugungen“ gestritten. Wofür genau sie sich einsetzte und wie sie ihren Kampf führte, lässt Ilte allerdings oft seltsam vage.

1930 jedenfalls, so erfährt man, habe sich Gustedt „umfassend“ über „das Leben und die Stellung der Frauen“ in NSDAP „orientiert“ und beschlossen, „eine Führungsrolle in der Frauenorganisation der NSDAP anzustreben“, da sie sich „in der Pflicht“ gesehen habe, „in der erfolgreichen Partei, deren Ziele ihr im Ganzen zusagten, die Rechte der Frauen einzufordern.“ Bald avancierte sie zur „Frauenschaftsleiterin für den Gau Berlin“ und trat in nähere Beziehung zu dem, wie Ilte findet „gebildeten, moralisch integeren“ Nationalsozialisten Gregor Strasser, ein früher Weggefährte Hitlers, der bereits 1923 an dessen Putschversuch teilnahm, 1934 allerdings im Rahmen des Röhm-Putsches einer parteiinternen ‚Säuberung‘ zum Opfer fiel. Ilte zufolge ist es die „Verbindung“ zu diesem Mann gewesen, die Gustedt „Mut und Kraft“ verliehen, „ihren Kampf um die Rechte der Frau und frühe Ideale der NSDAP gegen alle Widerstände zu führen“.

War sie auch Mitglied der NSDAP und Frauenschaftsleiterin, so war sie doch nicht mit allen Entwicklungen ihrer Partei einverstanden. „Es ekelte sie an“, verzeichnet Ilte, „dass Homosexuelle in Führungspositionen standen und die Frauen ihrer Rechte beraubten“.

Nach der „Machtübernahme“ sei Gustedt „von Parteimitgliedern und Hitleranhängern gemieden“ und „ihr Leben“ durch „anonyme Drohbriefe und Telefonterror erschwert“ worden, klagt Ilte. Selbst „detaillierte Mordpläne“ seien gegen sie ausgearbeitet worden. Wenn es diese Pläne wirklich gab, so wurden sie jedenfalls nicht ausgeführt. Allerdings wurde Gustedt im Juli 1934, einen Monat nach der Ermordung Strassers von der GeStaPo wegen „Staatsgefährdung, Ministerbeleidigung und Beunruhigung der Bevölkerung“ verhaftet und musste 55 Tage im Gefängnis verbringen. Vier Jahre später folgte eine Anklage wegen Hochverrat. Diesmal sollte die Haftzeit länger dauern. Erst im Herbst 1942 wurde sie wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes aus dem Zuchthaus entlassen.

Den Nationalsozialismus überlebte Gustedt um einige Jahrzehnte. Zunächst in der DDR, aus der sie Ilte und ihrer eigenen Darstellung zufolge allerdings 1961 fliehen musste, „um einer Verhaftung zu entgehen“. Die letzten Jahre ihres Lebens verbrachte sie bis zu ihrem Tode 1978 in der BRD.

Beinahe ebenso hagiografisch wie Ilte beginnt, lässt er Gustedts Lebensabriss enden, indem er die Porträtierte abschließend als „mutige, selbstbewusste Frau“ zeichnet, „die ihre Kraft aus der tausendjährigen Tradition ihrer Familie, aus den Widersprüchen zwischen Tradition und gesellschaftlicher Gegenwart und aus der allmählich wachsenden Erkenntnis des verbrecherischen Charakters des Hitlerregimes bezog“.

Ilte adressiert Gutstedt gerne mit ihrem Vornamen und stellt so eine Nähe zwischen ihr und den Lesenden her, die letzteren sicher nicht immer genehm sein wird. Hingegen lässt er vieles, von dem, was er auf den gut 50 Seiten des biografischen Abrisses behauptet, unbelegt. So etwa die Fetstellung, „Elisabeth sehnte sich, jung verheiratet, nach einem Kind. Aber ihr Mann konnte nicht Vater werden“. Ebenfalls ohne Beleg bleibt die Behauptung: „Elisabeth nutzte bewusst einen Erholungsurlaub in Südtirol im Spätsommer 1913, um ihren Kinderwunsch wahr zu machen.“

Auch über eine Begegnung Gutstedts mit Adolf Hitler im Frühjahr 1924 berichtet Ilte ganz ohne Belege sehr detailreich aus dem Innenleben seiner Protagonistin. Sie saß, so weiß er, „in einem Münchner Café einem etwas ungepflegten Mann gegenüber, der das Gespräch mit ihr suchte. Sie war gleichermaßen angezogen und abgestoßen von seiner Persönlichkeit. Als sie am folgenden Tag aus der Presse erfuhr, dass ihr Gesprächspartner der aus einer Festungshaft kurzzeitig beurlaubte Hitler war, sah sie trotzdem keinen Anlass, seinem Wunsch auf ein Wiedersehen zu entsprechen. Er war ihr unsympathisch und sie kam nicht darauf, dass er einem eine wichtige Rollein der Politik spielen könnte.“ Durchaus möglich, dass sie das irgendwo so oder so ähnlich geschildert oder erdichtet hat. Aber eine Quellenangabe hätte man doch gerne gehabt. Nicht weniger misslich ist, dass er zudem darauf verzichtete, eine Literaturliste zusammenzustellen. Nennt Ilte überhaupt einmal eine Quelle, so beschränkt er sich auf die Titel der oft ausführlich zitierten Archivalien und Gutstedts Publikationen. Zu letzteren zählt deren einzige selbständige Veröffentlichung, der 1931 erschienene Kriegs-Roman „Jutta Cornill – Aus der Etappe des Westens“. „Bis heute“, befindet der Autor, „gibt es kaum ein ähnlich ehrliches Werk über den Einsatz von Frauen im Krieg“.

Iltes biografischem Abriss folgen sechs Texte Gutstedts. Gemeinsam lassen sie das Buch zu dem im Untertitel angekündigten „biographischen Lesebuch“ werden. Eröffnet werden Gutstedts Texte mit tagebuchartigen Aufzeichnungen über ihren Aufenthalt im „Frauenkonzentrationslager Moringen“ und „im Zuchthaus – Lauerhof und Jauer“, mit denen wohl, die „wertvollen Zeitdokumente“ gemeint seinen dürften, zu denen Ilte ihre „Tagebücher“ erhebt. Den Aufzeichnungen folgte ein Text, in dem sie begründet, „warum ich die DDR verließ“, dem sich zwei kürzere literarischen Texte anschließen: Die offenbar durch einen Aufenthalt im Süden Kameruns inspirierte „Geschichte der kleinen Ahanda“ und die historische Erzählung „Julnacht 1806/07“. Abgeschlossen wird die Textsammlung durch „eine kleine Auswahl aus dem lyrischen Schaffen“ Gutstedts.

Ob die Erinnerung an Elisabeth von Gustedt und ihr politisches sowie literarisches Wirken wirklich erhalten bleiben sollte, scheint fraglich. Das vorliegende Buch jedenfalls vermag nicht davon zu überzeugen.

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Gerd Ilte: Elisabeth von Gustedt. NSDAP-Frauenführerin - Widerstandskämpferin - Schriftstellerin - ein Leben für die Rechte der Frau.
dr. ziethen verlag, Oschersleben 2012.
224 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783862890415

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