Zu dieser Ausgabe

In der letzten Ausgabe von literaturkritik.de wurde an dieser Stelle der Frühling in Aussicht gestellt. Wir bitten diese falsche Ansage zu entschuldigen. Außerdem war von Eskapismus die Rede – mittels Lektüre. Man kann sich aber natürlich auch in die unendlichen Weiten des World Wide Web flüchten. Doch ist das Internet überhaupt ein ‚Raum‘? Wie kann es sein, dass so viele Metaphern Eingang in den Sprachgebrauch gefunden haben, die dieses Medium als virtuellen Ort beschreiben? Wieso ist dauernd vom Cyberspace oder Webspace die Rede?

Unsere April-Ausgabe widmet sich diesem Thema aus einer besonderen Perspektive, und zwar jener der „Internet-Literatur“. Stellt das Internet ‚Raum‘ für besondere literarische Experimente zur Verfügung? Ermöglicht es neue Schreibweisen? Wie werden diese angenommen? Es stellt sich die Frage, was das eigentlich sein könnte, „Internet-Literatur“, was es in den 1990er-Jahren war und was man heute davon hält – falls es so etwas wie ‚Hypertexte‘ überhaupt noch gibt und man die Gattung nicht längst nur noch für einen schlechten April-Scherz halten sollte.

Der vorliegende, von unserem Mitarbeiter Jörg Schuster betreute Themenschwerpunkt vereint dazu ein Interview mit einer Pionierin des Genres, einschlägige Rezensionen sowie Beiträge von Studentinnen, die im vergangenen Wintersemester in Marburg ein Seminar zur „Internet-Literatur“ besucht und einige ihrer Beobachtungen aufgeschrieben haben.

Darüber hinaus bietet die vorliegende Ausgabe eine kleine Rubrik über den Dichter Jean Paul, der neben dem Schreiben eine nicht ungefährliche Form der Weltflucht kultivierte – den exzessiven Genuss beziehungsweise das angeblich strategische Trinken von Bier. Zum 250. Geburtstag des Autors haben unsere Autoren wichtige Neuerscheinungen für Sie besprochen.

Aufgrund des überdurchschnittlichen Presseechos für den ZDF-Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“, der Ende März von Millionen Zuschauern gesehen wurde und in den deutschen Feuilletons größtenteils enthusiastisch aufgenommen wurde, bringen wir einen ausführlichen kritischen Beitrag über diese Produktion. Doch nicht nur mit dieser Filmbesprechung, sondern auch mit einem kenntnisreichen Aufsatz über den Medientheoretiker Friedrich Kittler und einer Rezension über die im Stroemfeld Verlag erschienene polemische Internetkritik von Roland Reuß bietet die vorliegende Ausgabe einige Artikel, die unseren 2012 gefassten Vorsatz, das medienwissenschaftliche Profil unserer Zeitschrift künftig weiter zu verstärken, noch einmal besonders unterstreichen – to be continued!

Herzliche Grüße
Ihr
Jan Süselbeck