Welt ewigen Sommers

Über Tom Wolfes Roman „Back to Blood“

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer Quentin Tarantinos schrille Filme schätzt, der wird auch Tom Wolfes Romane lieben. Die Werke der beiden sind Produkte der amerikanischen Pop-Kultur und haben mit der Realität nichts zu tun. Oder doch? In dem vielgepriesenen Roman „Fegefeuer der Eitelkeit“ aus dem Jahr 1987 nahm Wolfe, dessen snobistisches Erkennungszeichen der weiße Smoking ist, jene New Yorker upper class aufs Korn, deren Mitglied er selber war. In seinem jüngsten Epos „Back to Blood“ steigt der inzwischen 82-Jährige ein in die Welt des ewigen Sommers: Miami.

An diesem Ort bündeln sich wie in einem Brennglas viele jener Probleme, welche die amerikanische Gesellschaft und damit, zeitverzögert, jede moderne Gesellschaft auseinander zu treiben drohen. Zunächst steht Miami für den melting pot USA, wo die verschiedensten ethnischen Gruppen aufeinandertreffen, alle bestrebt, von dem versprochenen Wohlstandskuchen einen Teil abzubekommen, aufzusteigen auf der sozialen Sprossenleiter und trotzdem noch etwas zu bewahren von der Eigenheit des Herkunftslandes – wenn sich auch diese zuletzt nur noch in einer verschwommenen Vorstellung von Rasse und Blut manifestiert, einer immer mehr an Bindungsfähigkeit verlierenden Zielvorstellung, auf die der Titel hinweist.

Protagonist des Romans ist Nestor Comachos, Polizist und Spross kubanischer Einwanderer beziehungsweise Flüchtlinge, der alles tut, um einerseits den Erwartungen der kubanischen Comunity zu entsprechen und andererseits sehr genau auf die Signale hört, die von denen ausgehen, die die Weichen für den gesellschaftlichen Aufstieg stellen. Dabei erweist sich Nestor, den seine angloamerikanischen Kollegen in echter Redneck-Manier stets nur Nester nennen, als wahrer Simplex. So rettet er einen kubanischen Landsmann, der sich vor der coast guard auf einen Segelmast geflüchtet hat, durch eine wagemutige Aktion vor dem drohenden Absturz, womit er aber diesen zugleich der Ausländerbehörde in die Fänge liefert, die ihn zurück auf Castros Gefängnisinsel transportieren wird. Weil ihn daraufhin sogar die eigene Familie als Verräter an der kubanischen Sache, was immer das sein mag, verstößt, rücken selbst diejenigen von ihm ab, die den Befehl zum Eingreifen gegeben und ihn anfangs noch als Helden bejubelt haben.

Das jedoch ist erst der Anfang von Nestors Odyssee. Seine Wege kreuzen nunmehr zahlreiche Glücksritter und Pechvögel. So entwirft der Moralist Wolfe das Panoptikum einer Welt, in der alles seinen Preis hat und in der nur zwei Dinge zählen: Geld und Sex. Durch die Aufdeckung der Triebhaftigkeit gelingen ihm großartige Satiren: Ein vor allem durch das Fernsehen bekannter Psychiater hat sich auf die Behandlung von Pornographiesüchtigen spezialisiert. Es stellt sich jedoch heraus, dass der Arzt diese Sucht mit allen Mitteln fördert, um seine schwerreichen Patienten nicht zu verlieren.

Entsetzt beobachtet eine junge Kubanerin die Saturnalien, die eine ansonsten überaus prüde Gesellschaft bei der jährlichen columbus day regatta feiert. Sie selbst ist aber durchaus bereit, ihren makellosen Körper, den Wolfe mit einer gewissen Altersgeilheit feiert, einzusetzen, wenn es gilt, sich Zugang zur sogenannten besseren Gesellschaft zu verschaffen. Ein russischer Oligarch schenkt der Stadt Miami eine riesige Gemäldesammlung, unter der Bedingung, dass diese ein Museum baut, welches seinen Namen trägt. Als das Museum fertig gebaut ist und der Name des Mäzens protzig über dem Eingang prangt, erweisen sich dessen Bilder als Fälschung.

All dies und vieles mehr wird mit Sinn für dramatische Verzögerungen und spannungsreiche Effekte erzählt, was die Lektüre dieser beinahe schon soziologisch angehauchten Status-Burleske durchaus vergnüglich macht. Tatsächlich aber geht es in Wolfes Roman um die gleichsam erkenntnistheoretische Frage, wie sehr Herkunft und Interessen die Einstellung zur Realität bestimmen und welche Rolle die Medien und das Internet (YouTube) dabei spielen.

Wolfe ist ein Sittengemälde gelungen, das Einblicke erlaubt in die Regeln einer Gesellschaft, die Freiheit verspricht und strikte Rollenvorschriften kennt. Wir erleben die Auswirkungen von bizarren Einwanderungsgesetzen, die Gepflogenheiten eines völlig überspannten Kunstmarktes und den Hype um Filmstars und Fitnessbranche. Zwar begibt sich der Roman sprachlich oft auf das Niveau seines Personals, etwa in der Verwendung des Comic-Jargons. Jedoch nur so ergibt sich eine gültige Sicht auf jenes ferne Land, das uns gleichwohl so nahe ist. Denn dass Wolfe kein spezielles und etwa abseitiges Milieu treffen will, zeigt sich darin, dass er im Anhang all jenen Menschen und Institutionen für die Unterstützung seiner Recherche dankt, die er gerade noch so gnadenlos karikiert hat. Oder ist am Ende auch die „Danksagung“ nicht ganz ernst gemeint?

Titelbild

Tom Wolfe: Back to Blood. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Wolfgang Müller.
Blessing Verlag, München 2013.
765 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783896674890

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