Lobe das Werk

Dieter Borchmeyer will in seinem Buch „Richard Wagner“ vor allem das Werk würdigen – führt dann aber kenntnisreich auch in Leben und Zeit ein

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Vorwort seines Buches „Richard Wagner“ thematisiert Dieter Borchmeyer eine Herausforderung jeder biografischen Darstellung. Selbige, insbesondere solche, die Leben und Werk eines kreativ-künstlerischen Menschen zu erzählen trachten, erlägen oft der Versuchung, nach Belegen dafür zu suchen, wie das Leben ins Werk wirkte, um es gewissermaßen aus dem Leben heraus zu verstehen. „Biographismus“ nennt das Borchmeyer und dergleichen will er mit seinem Buch über Richard Wagner vermeiden. Zum einen ist die Lebensgeschichte des Richard Wagner oft genug bereits erzählt worden, zum anderen aber, so lässt Borchmeyer anklingen, verstelle zu viel Leben den Blick auf das Werk. Denn das große Kunstwerk, so stimmt er Wagners eigener Überzeugung zu, sei „nicht dem Selbsterlebten, sondern der Gabe des zweiten Gesichts für das Nie-Erlebte zu danken.“ Ein wenig Genie soll dann doch sein? Wenn sich überhaupt Werk und Leben bei Wagner bedingen, dann eher derart, wie es bereits 1924 der bedeutende Musikkritiker Paul Bekker in einem Buch über Wagner beschrieben hatte: „Wagner“, so zitiert ihn Borchmeyer, „habe Tristan und Isolde nicht geschrieben, weil er in Mathilde Wesendock verliebt gewesen sein, sondern er habe sich in sie verliebt, weil er Tristan schrieb.“ Es geht auch trivialer: Die Hunde in „Wahnfried“ waren nach Figuren aus seinen Werken benannt.

Im Mittelpunkt steht also das Werk: „Werk. Leben. Zeit“ untertitelt Borchmeyer in folgerichtiger Reihung sein Buch. Und auf den nachfolgenden fast 400 Seiten liefert der Autor eine ebenso kenntnisreiche wie klug einführende Übersicht über nahezu alles, was in Sachen Wagner von Bedeutung ist. Denn Wagner – und hier verwundert nun doch ein wenig die im Vorwort vorgenommene Abgrenzung vom allzu sehr Biografischen – ist nicht nur der geniale Komponist. Er ist auch Schriftsteller, der im Verlauf seines Lebens ein Fülle von programmatischen Texten zur Kunst und Kultur verfasste; er ist homo politicus, der nach Verstrickungen in beinah revolutionäre Aktivitäten in den deutschen Landen steckbrieflich gesucht wurde; er ist ein Organisator und Erneuerer des Musik- und Theaterwesens, das in der Idee des Festspiels, wie es schließlich in Bayreuth entsteht, eine völlig neue Erscheinung erhält; er ist eine prominente Persönlichkeit seiner Zeit, um den sich die Zeitgenossen scharten und dessen Leben nicht frei von skandalträchtigen Episoden war, die auch heute noch jederzeit Stoff für Gesellschaftsklatsch bieten würden. In all diesen Facetten entfaltete Wagner schon in seiner Zeit eine über das Musikalische hinausgehende Wirkung. Wagner wurde zu einer deutschen Bekenntnissache und die „Wagnerianer“ zu Jüngern derselben, woran schon Friedrich Nietzsche verzweifelte. Kaum prägnanter lässt sich diese Wirkung beschreiben als in der irritierenden Feststellung, dass Wagner ebenso zum Objekt der Bewunderung eines Adolf Hitler werden konnte, wie er Thomas Mann faszinierte. Der aber hätte gerne ,seinen‘ Wagner vor manchem seiner Bewunderer bewahrt.

Borchmeyer macht sein Wagnerwissen in angenehm lesbarer Weise verfügbar. Nach jedem Kapitel stellt sich das wohlige Gefühl ein, über die typischen Themen rund um Wagner ebenso umfangreich wie tiefgründig informiert zu sein. Über die musikalischen Themen informieren Kapitel wie „Umsturz der Werte – Tannhäuser“, „Mythos und Moderne – Der Ring des Nibelungen“. Kapitel wie „Utopie eines „neuen Weimar“ – Allianz mir Franz Liszt“, „Ein König für das Kunstwerk der Zukunft – Ludwig II“ oder „Nietzsches Abwendung“ widmen sich bestimmten lebens- und werkbedeutsamen Beziehungen Wagners zu Zeitgenossen. Das Kapitel „Das ,Judentum‘ in und außerhalb der Musik“ beleuchtet die ,berühmte’ antisemitische Schrift Wagners.

Liest man so Borchmeyers kundiges Buch als gelungene Einführung in diesen Wagnerkosmos, erfährt man auch, wie sehr Wagners künstlerische, publizistische und erst recht seine organisatorischen Aktivitäten zur Gründung der Bayreuther Festspiele eben doch immer wieder in Beziehung zu seinen jeweiligen Lebenssituationen standen. Warum also die einführende Abgrenzung des Autors vor allzu viel Leben in seiner Darstellung? Borchmeyer will das einzigartige Werk würdigen. Es erscheint inzwischen jedoch seltsam knochig, das Werk Wagners immer noch in vage genialische Höhen zu veredeln, fernab vom Leben des Tonkünstlers.

Dies war ein Leben im 19. Jahrhundert. Ihm zueigen ist die Sehnsucht nach dem Gesamtkunstwerk, einer romantisch-idealisierenden Aufhebung der Kunst in ein einzig Großes und Wahres. Im Wagner-Festspiel erfüllt sich dieser Anspruch. Kann aber ein Wagner’sches Musikdrama auch ,nur‘ eine Oper sein? Ist es ja längst – und in diesem Sinne haben Wagners Werke sich von ihrem Urheber und seiner Zeit emanzipiert. Hat sich aber der weihe- und mythengesättigte Rauch um das Werk verzogen, werden auch die trivialen und belanglosen Anteile des Werks sichtbar. Wenn Wagala und Wallala weiat, tut zuweilen ein wenig ironische Gelassenheit gut, um dem Kunstwerk zu begegnen. Weiß man zudem, was die Wagner’sche Sprache in seinen Werken zum Ausdruck bringen sollte – und bei Borchmeyer erfährt man es –,  dann wird aus ironischer Gelassenheit am Ende ein aufgeklärter Kunstgenuss: „Genial, der Wagner!“

Titelbild

Dieter Borchmeyer: Richard Wagner. Werk – Leben – Zeit.
Reclam Verlag, Ditzingen 2013.
400 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783150109144

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