Dem Verbrechen auf der Spur

Susanne Eichner, Lothar Mikos und Rainer Winter haben einen Sammelband zur transnationalen Kultur neuer Fernsehserien herausgegeben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Fernsehen ist Kult geworden“, konstatiert der Kultursoziologe Rainer Winter und merkt an, dies sei den „neueren Fernsehserien“ zu verdanken. Vielleicht ist aber tatsächlich gar nicht das Fernsehen selbst Kult, sondern es sind nur diverse Serien, und die werden bekanntlich vorzugsweise auf DVDs beziehungsweise Blue Ray Disks geschaut, sind sie in ihrer Komplexität doch wenig dazu geeignet, zwischen der Rezeption zweier Episoden ganze sieben Tage verstreichen zu lassen.

Jedenfalls leitet Winter mit seiner Bemerkung über das vermeintlich kultige Fernsehen einen Text ein, in dem es nicht um das Medium, sondern um „Fernsehserien als Kult“ geht. Welche Serien nun Kultstatus erlangen, liegt ihm zufolge nicht so sehr in den Händen derer, die sie herstellen, promoten und senden, sondern hänge weit eher von den Zuschauenden und ihren „kulturellen und sozialen Kontexten“ ab. Letztlich entscheidend aber sei die „kulturell und sozial eingebettete Interaktion zwischen Text und Zuschauer“. Denn als „Manifestationen des Populären“ entstünden Kulte, wenn, wie er im besten SoziologInnendeutsch formuliert, „soziale Formationen“ einen „medialen Text“ zu einem wichtigen „Bestandteil ihres Lebens“ erheben, indem sie sich um ihn „gruppieren, sich auf diesen spezialisieren, ihn in ritualisierten Praktiken wiederholt aneignen“.

Erschienen ist Winters Text in einem von ihm gemeinsam mit Susanne Eichner, Lothar Mikos und Rainer jüngst herausgegebenen Sammelband über die transnationale Kultur neuer Fernsehserien. Für die Einleitung zu dem Band mochte offenbar niemand des HerausgeberInnentrios verantwortlich zeichnen. Dabei ist sie gar nicht einmal so schlecht. So wird in ihr etwa überzeugend argumentiert, dass die „Vielfalt von Sinnangeboten“, welche die „Verfügbarkeit eines transnational entfalteten Kommunikationssystems“ anbietet, die Möglichkeiten der „Lebensgestaltung“ und des „existenziellen Verständnisses“ der Menschen erweitere. Denn „das „symbolische Material der Medien“ bilde heutzutage eine „wesentliche Grundlage für Identitätskonstruktionen“ der Menschen, die ihre Individualität „aktiv aus verschiedenen Elementen zusammenbasteln“. Dies führe keineswegs zu einer Vereinheitlichung persönlicher Eigenschaften qua Massenkultur. Vielmehr fördere die hiermit einhergehende „Reflexivität“ die „Individualisierungsprozesse“. Das mag vielleicht allzu optimistisch sein. Jedenfalls aber ist keine Rede mehr vom Kulturimperialismus, der zu Zeiten, in denen kommunistische Hochschulgruppen noch an den bundesdeutschen Universitäten florierten, geradezu rituell gegeißelt wurde. Dafür, dass dies nicht mehr so ist, gibt es gute Gründe: Denn die medialen Produkte „lösen sich von den Intentionen ihrer Produzenten, sie entwickeln eine Eigendynamik und gewinnen neue Bedeutungen, weil sie unterschiedlich übersetzt, rezipiert und angeeignet werden.“ Kurz: „Es entstehen transnationale Medienkulturen.“

Diese zu untersuchen ist das Anliegen des vorliegenden Bandes und seiner BeiträgerInnen. Hierzu, so heißt es in der Einleitung weiter, sei „die Verknüpfung verschiedener disziplinärer Sichtweisen und methodologischer Herangehensweisen“ erforderlich. Darum strebe das Buch eine „perspektivenreiche Annährung an dieses Phänomen“ an.

Ein Vorhaben, das allerdings nur mit gewissen Abstrichen als gelungen betrachtet werden kann. Denn die in den 23 Texten des Bandes vertretenen Ansätze bieten zwar tatsächlich zahlreiche Perspektiven auf den Forschungsgegenstand. Dieser selbst aber wird allzu sehr eingeengt und so der vielfältigen Serien-Kultur nicht ganz gerecht. Denn es werden vornehmlich Serien in den Blick genommen, in deren Zentrum kriminelle Machenschaften stehen wie etwa „The Sopranos“, „Alias“, „24“, „Dexter“ und „CSI“. Die zahlreichen anderen Genres, vertreten etwa durch „Live of Mars“ oder „How I Met Your Mother“, sind demgegenüber doch etwas unterrepräsentiert. Im Vergleich zu den in den Beiträgen immer wieder und ja nicht zu Unrecht beschworenen „komplexen Narrationen“ der Serien erscheint das schon ein wenig unterkomplex. Ein gewisses Korrektiv bietet immerhin der fünf Beiträge umfassende Teil zur „Transnationalen Adaption“ der kolumbianischen Telenovela „Yo doy Betty, la fea“.

Titelbild

Rainer Winter / Lothar Mikos / Susanne Eichner (Hg.): Transnationale Serienkultur. Theorie, Ästhetik, Narration und Rezeption neuer Fernsehserien.
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2012.
419 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783531178684

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