Die Beschleunigung auf der Couch

Über Jeannie Mosers Buch „Psychotropen. Eine LSD-Biographie“

Von Jürgen WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Weber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„These powders and pills threaten our nation’s health, vitality and self-respect“, meinte der US-amerikanische Präsident Lyndon B Johnson im drogeninfizierten Jahr 1968, dabei waren es gerade die Universitäten und der Geheimdienst seines Landes gewesen, die die Drogen ab den frühen 1950er-Jahren in Umlauf gebracht hatten, um ihre Verwertbarkeit in Hinblick auf mind control zu testen. Besonders Psychotropika – darunter an prominentester Stelle LSD – spielten bei diesen umstrittenen Versuchen eine bedeutende Rolle mit der „in den 1960er Jahren die Suche nach Sinn und Orientierung, der Wunsch nach Selbsterprobung, nach Erfüllung und Bewusstseinserweiterung, nach Persönlichkeitsentfaltung, kreativer Selbstverwirklichung und Ausschöpfung aller Potentiale“ (O-Ton Moser) begonnen hatte. Der Zuständigkeitsbereich des „Bewusstseins“ bleibt unter Forschern zwar nach wie vor umstritten, denn sowohl Naturwissenschaftlicher als auch Geistes- und Sozialwissenschaftler reklamierten das Territorium des Geistes stets für sich, wohl auch deswegen, weil in der westlichen Zivilisation der Dualismus zwischen Körper/Materie und Geist allzu antagonistisch aufgefasst wird und nunmehr überwunden werden sollte. Einen Beitrag über die Folgen von LSD für verschiedene Wissenschaftsdisziplinen und die Entwicklung der Forschungen stellt nun diese LSD-Biografie „Psychotropen“ dar, der durchaus interdisziplinär die Wirkungsgeschichte einer Droge nachstellt.

Himmel oder Hölle?

Der Mensch trage sowohl Himmel als auch Hölle in sich, so der bekannteste Psychonaut und „Erfinder“ des LSD, Albert Hofmann, „mit diesen Stoffen könne man darin Einblick bekommen“. Sollte der menschliche Stoffwechsel diese Substanzen aber selbst in winzigsten Mengen autonom hervorbringen können, hätte Gott „als bestimmendes und strukturgebendes Prinzip“ abgedankt, interpretiert Stanislav Grof seine eigenen Forschungen in Anlehnung an Hofmann’s „Sorgenkind“ LSD. Zu seinem eigenen 101. Geburtstag schrieb Hofmann dann an den Apple-Gründer Steve Jobs einen ebenso bemerkenswerten Brief, den er mit den Worten „I hope you will help in the transformation of my problem child into a wonder child“ schloss. Selbst Timothy Leary, der Hohepriester des LSD, sah in den Computern das neue LSD; womit ihn auch Moser zitiert. Aber was hat eine psychodelische Droge mit Gott und Computern zu tun? Tatsächlich wurde der Computer im 21. Jahrhundert längst von einem bürokratischen Kontrollwerkzeug zu einem sozialen tool, sogar zu einem Symbol des individuellen Ausdrucks und der Befreiung. Aber LSD?

My own Personal Computer

Als Ken Kesey in den 1960er-Jahren mit seinen Merry Pranksters in seinem Magic Bus das LSD-Experiment jedem Menschen zugänglich machte („The Electric Kool-Aid Acid Test“), hatte sich die Droge von einem engen, intellektuellen Zirkel aus Universitätsprofessoren, Schriftstellern und Philosophen längst zu einem Massenphänomen entwickelt und schon damals waren Programmierer und Internet-Entwickler des Silicon Valley Teil dieser Bewegung. Moser nennt etwa Stewart Brand, ein Mitglied der Merry Pranksters, auf den der Begriff des Personal Computer zurückgehe. Er habe damals auch eines der ersten Social Networks, The Well, aufgebaut, das schon über Konten mit Email, Webpages und Diskussionsforen verfügte. Hatte die „biochemische Revolution“ zur bits und bites Revolution geführt? In jedem Fall waren pharmazeutisches neuro-enhancement die Voraussetzung und Fortsetzung „eines zum Menschen gehörenden geistigen Optimierungsstrebens mit anderen Mitteln“, denn ohne massiven Pharmazeutika-Missbrauch wäre die Schaffung dieser Parallelwelt wohl nicht möglich gewesen und die „Beschleunigung auf der Couch“ durch LSD führte dann wohl auch zum schnelleren und effizienteren Abheben am Schreibtisch.

Die psychopharmakologische Revolution

Natürlich widmet sich die vorliegende Publikation noch vielen weiteren Aspekten des LSD- Ge- und Missbrauchs, so etwa den Psychosen oder Nervenkrankheiten. Schizophrenie zum Beispiel könnte durchaus als Selbstvergiftung, Autointoxikation, biochemisch hergeleitet werden. Wenn also – wie Aldous Huxley vermute – an der geistigen eine chemische Störung schuld sei, dann könnte daraus auch abgeleitet werden, dass sich materielle Stoffwechselerkrankungen, als physiologische und biochemische Defekte gedeutet, in geistigen Fehlfunktionen und Verhaltensauffälligkeiten manifestierten, die dann im Urin, Blut oder Körperflüssigkeiten nachweisbar sind.

So werde der Geist in all seinen Varianten und unterschiedlichen Dimensionen körperlich einwandfrei begründbar und anstelle von Psychotherapie trete die Pharmakologie. Henry Fords Konzept der Beschleunigung der Produktion wird in die Psychotherapie dann so übersetzt, dass die Zufuhr der richtigen Chemie auch die erwünschte Harmonie wiederherstellt, die durch einen chemischen Mangel zuvor entstanden sei. Während Psychiatrie zuvor aber noch ihre Wissenschaftlichkeit nachweisen musste, wurde die LSD-Modellpsychose in Kooperation mit ihrem Komplizen, dem Neuroleptikum Chloropromazin, zum Prokurator: „Psychiatry, it seemed had overnight become scientific. Madness could be induced and resolved within hours. If this was the case, it could surely be studied systmetically and would quickly yield up its secrets.“ zitiert Moser David Healy, Autor von „Creation of Psychopharmacology“. LSD eröffnete also sicherlich neue Bewege der Bewusstseinsforschung, die Jeannie Moser in ihrer „LSD-Biographie“ facettenreich – und mit einigen sehr interessanten zeitgenössischen Illustrationen bebildert – beschrieben hat.

Titelbild

Jeannie Moser: Psychotropen. Eine LSD-Biographie.
Konstanz University Press, Paderborn 2012.
263 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783862530298

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