Mehr als Gespenster

Zu Margret Käfers juristischer Dissertation „Widerspiegelungen des Strafrechts im Leben und Werk des Richters und Poeten E. T. A. Hoffmann“

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu den bekanntesten der zahlreichen Dichterjuristen gehört zweifelsohne E. T. A. Hoffmann. Das literarische Werk des 1776 in Königsberg geborenen und 1822 in Berlin verstorbenen Spätromantikers hat, wie schon 1986 Brigitte Feldges und Ulrich Stadler in ihrer Einführung betonen, „immer wieder kontroverse Meinungen hervorgerufen. Während er in Frankreich als einer der bedeutendsten Autoren deutscher Sprache gefeiert wurde, galt und gilt er noch vielerorts in Deutschland als ein nur mittelmäßiger Schriftsteller. Man rechnete seine Erzählungen zur sogenannten Trivialliteratur oder suchte ihn mit dem Etikett ‚Gespenterhoffmann‘ abzustempeln.“

Dass sich diese bis ins weit ins 20. Jahrhundert geltende Tatsache längst geändert hat, zeigt nicht nur die kaum noch zu überblickende genuin literaturwissenschaftliche Forschung, sondern lässt sich auch an vielen kulturwissenschaftlichen Beiträgen ebenso wie an Untersuchungen aus Musik-, Kunst- und Rechtswissenschaft zum Multitalent E. T. A. Hoffmann ablesen.

Mit dem Fokus auf strafrechtlichen Implikationen widmet sich Margret Käfer in ihrer Tübinger juristischen Dissertation (2010) in sieben Kapiteln dem Richter und Dichter Hoffmann, wobei sie die Blickrichtung als „konkrete Anbindung an Hoffmanns Leben“ begründet: „Auf der einen Seite ist das Strafrecht die Rechtsmaterie, mit der sich Hoffmann beruflich auseinandersetzt, auf der anderen Seite bedient er sich in seinem literarischen Werk strafrechtlicher Fälle.“

Einleitend hält sie fest: „Vertritt Hoffmann in seinem Beruf als Jurist die Überzeugung, dass eine Gesinnung allein niemals Strafgrund sein kann, so wendet er sich als Literat in spiegelverkehrter Weise gerade den Gesinnungen seiner Figuren zu.“

Käfers einführendes Fazit heißt denn auch: „Den Dichter Hoffmann interessiert das Selbst, wie es durch Umwelteinflüsse geformt sich selbst erlebt und reflektiert, und nur auf die Darstellung des bildungsfähigen Selbst kommt es ihm als Poet an. Die Änderung der psychischen Einstellungen, das Erleben des Selbst eines Menschen, spiegelt sich dann in dem Verhalten des Menschen zu seiner Umwelt wider. Das Recht darf nach Hoffmann die psychische Verfassung aber nicht berühren, sondern sich nur auf die die Umwelt betreffenden Handlungen richten. […] Der Richter Hoffmann richtet nur das Äußere, der Dichter Hoffmann zeigt, wie die Beeinflussung des Inneren das Innere und das Äußere ändert.“

Entsprechend ihrer leitenden These, wonach Hoffmann die „auf dem juristischen Gebiet gewonnenen Einsichten zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit“ „in seinen poetischen Arbeiten geltend“ mache, referiert Käfer zunächst ausführlich die biografischen Stationen des Dichterjuristen.

Im zweiten Kapitel beleuchtet Käfer Hoffmanns Tätigkeit als Richter vor einzelnen Artikeln des Allgemeinen Preußischen Landrechts – insbesondere die §§ 16, 18 und 23 zitiert sie – vor allem zu Fragen nach der „Zurechenbarkeit“ und dem „freien Willen“. Dabei erweist sich für Käfer, dass für den Juristen Hoffmann „Gesinnungen“ als „die inneren Überzeugungen eines Menschen“ vor „rechtlichen Bewertungen zu schützen“ sind.

Die Probe aufs Exempel macht Käfer detailliert zunächst am Fall des Tabakspinnergesellen Daniel Schmolling, der 1817 seine schwangere Geliebte ersticht. Vor dem Hintergrund der Preußischen Criminalordnung beleuchtet Käfer ausführlich den historischen Sachverhalt, das Verfahren und die Gutachten des Stadtphysikus Merzdorff, des Schmolling-Anwalts Bode, das Zweitgutachten Horns, die Ausführungen Hitzigs in der „Zeitschrift für CriminalRechtsPflege und das Votum von Hoffmann, der auf „Zurechnungsfähigkeit“ und für die Todesstrafe plädiert. Interessant, dass sich Hoffmann in seinem Gutachten mit medizinischen „Ausführungen Reils, Henkes, Hofbauers und Platners zur amentia occulta“, also einer Art „akuter halluzinatorischer Verwirrtheit mit Desorientiertheit, Ratlosigkeit“ auseinandersetzt und die von Merzdorff diagnostizierte und von Bode gezogene Schlussfolgerung aus dieser psychischen Erkrankung zurückweist: „Der Fall Schmolling macht zwei Überlegungen Hoffmanns deutlich: Zum einen geht Hoffmann grundsätzlich davon aus, dass ein Mensch fähig ist, mit freiem Willen zu handeln. Zum Zweiten nimmt er an, dass die freie richterliche Überzeugung nicht unhinterfragt durch die Bezugnahme auf und die Hinnahme eines Sachverständigengutachens gebildet werden kann.“

Als Mitglied in der sogenannten „Immediat-Untersuchungs-Kommission“, die im Gefolge des Wiener Kongresses und der Karlsbader Beschlüsse „zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe“ gebildet wurde, ist Hoffmann mit dem Fall des ehemaligen Lützow’schen Jägers und Juristen Ludwig von Mühlenfels befasst, dem im Sommer 1819 unter anderem demagogische Umtriebe vorgeworfen werden. Während Hoffmann bei Schmolling zum Ergebnis kommt, der Täter sei strafbar, gelangt er im Falle von von Mühlenfels zur Überzeugung, „dass keine Strafbarkeit vorliegt, da die etwaige strafbare Gesinnung des v. Mühlenfels nicht von einem Richter zu beurteilen ist“.

Abschließend appliziert Käfer die Ergebnisse dieser beiden juristischen Fall-Geschichten auf Hoffmanns „Kater Murr“ und „Meister Floh“, beide von Käfer als „Bildungsromane“ gelesen, wobei der Rückgriff auf die aktuelle literaturwissenschaftliche Debatte hier viel zu kurz kommt, betont diese doch gerade etwa im „Kater Murr“ „eine Verwirrung von Identität und eine intertextuelle Zitat- und Formenmontage als Parodie von Autobiographie und Bildungsroman“ – so beispielsweise Detlef Kremer in seinem Romantik-Lehrbuch.

So bleibt Käfers Resümee ihrer juristischen Untersuchung, wonach Hoffmanns Texte als Appell an die „Gesinnung des Lesers“ bzw. als „Bildungsmöglichkeit“ für den Leser zu verstehen seien, aus literaturwissenschaftlicher Sicht hinter ihren detaillierten Fall-Analysen – vor allem mit ihrer Verknüpfung zum medizinhistorischen Diskurs eines Reil oder Platner – zurück. Entsprechendes gilt auch für ihre Bemerkungen zur Rezeption. Gleichwohl gebührt Käfer das Verdienst, in ihrem Mittelteil den Blick auf die Verschränkung des juristischen mit dem medizinischen und literarischen Diskurs des Dichterjuristen E. T. A. Hoffmann geschärft zu haben. Doch bleibt auch kommenden Untersuchungen die Aufgabe, die verschiedenen Facetten des Hoffmann’schen Werkes „aus sich ergänzenden Blickwinkeln“ zu beleuchten, wie dies das bereits 2009 von Kremer vorgelegte E. T. A. Hoffmann-Handbuch zeigt. Und das macht gerade den Reiz dieses Autors aus, der eben weit mehr war als der „Gespensterhoffmann“.

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Margret Käfer: Widerspiegelungen des Strafrechts im Leben und Werk des Richters und Poeten E. T. A. Hoffmann.
Aus der Reihe Nomos Universitätsschriften: Recht, Band 686.
Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2010.
188 Seiten, 44,00 EUR.
ISBN-13: 9783832956561

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