Zwischen Superheld und Spaski
Joachim Meyerhoffs zweiter Teil seines Romans „Alle Toten fliegen hoch“
Von Thomas Neumann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseJoachim Meyerhoffs neues Buch muss man schon deshalb lieben, weil es den poetischen Reihenuntertitel „Alle Toten fliegen hoch“ trägt. Der erste Teil beglückte den Leser schon mit einem Leseerlebnis, das an sprachlicher Qualität und unterhaltsamer Geschichte nichts zu wünschen übrig ließ. Daher sind die Erwartungen an einen zweiten Teil, der allerdings nichts weniger als eine Fortsetzung ist, relativ hoch. Oder ist es doch eine Fortsetzung? Wohl eher eine Meditation über ein ähnliches Thema.
In „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ wird die Jugend des Protagonisten beschrieben, der im Norden der Republik, in Schleswig-Holstein, in der Kreisstadt Schleswig, aufwächst. In dieser Kreisstadt gibt es eine Landespsychiatrie, den sogenannten „Hesterberg“, dessen leitender Arzt der Vater des Protagonisten ist. So wächst das Kind auf dem Anstaltsgelände auf, inmitten eines eingezäunten Geländes, auf dem sich auch die Patienten mehr oder weniger frei bewegen können. Und mitten unter ihnen leben der Erzähler und seine zwei Brüder. Zu ihrem Alltag gehört zum Beispiel Rudi: „Und dann war da natürlich noch Rudi, genannt Tarzan. Er kletterte gerne auf Bäume oder lag bewegungslos im Gras, auf der Lauer. Er trug stets einen sehr echt aussehenden Revolver bei sich, stürzte hervor, blitzschnell und lautlos, und hielt einem den Lauf an die Schläfe. Jeder, der ihn kannte, wusste, wie harmlos er war, machte ihm eine Freude und erschrak sich zu Tode. Tarzan liebte es, wenn man sich vor ihm auf die Knie fallen ließ und bettelte: ‚Bitte, bitte töte mich nicht!‘“
Der Erzähler beschreibt seine Lebenswelt, das Wechselspiel zwischen Familie und Psychiatrie, seinen dem praktischen Leben hilflos gegenüberstehenden Vater, der zwar ein exzellenter Arzt, aber ein abwesender Vater ist. Größeren Einfluss auf die Entwicklung des Kindes hat der Ort, der „Hesterberg“. Die Schreie der Patienten sorgen dafür, dass das Kind abends beruhigt einschlafen kann. Die sonderbaren Patienten werden fast zu Spielkameraden. Dass dabei indirekt die mangelhaften Bedingungen der Psychiatrie der 1970er- und 1980er-Jahre thematisiert werden, ist eines der Verdienste des Buches.
Es ist vor allem die poetische Sprache, die treffsicher an den Situationen ausgerichtete Wortwahl und die Sensibilität den Charakteren gegenüber, welche die literarische Qualität des Buches garantieren. Auch mit dem zweiten Teil von „Alle Toten fliegen hoch“ hat Joachim Meyerhoff ein literarisch bemerkenswertes Werk geschrieben, dass nicht nur thematisch wichtig, sondern auch noch unterhaltsam und spannend zu lesen ist. Dies freut einen besonders, wenn man selbst als Zeitgenosse an den Außenzäunen des Hesterbergs in den 1970er-Jahren vorbeigegangen oder -gefahren ist. Gerade dann bemerkt man, dass der Roman mehr als nur eine nostalgische Reise in die Vergangenheit ist. Chapeau!
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