Die Eiswüste der Großstadt

Im Roman „Nicht im Traum“ von Robert Kleindienst gelingt es nicht, beide Handlungsorte glaubhaft zu verbinden

Von Michael KurzmeierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Kurzmeier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein reichlich langweiliges Leben eines uninteressanten Protagonisten mit konventionellen literarischen Mitteln darzustellen, ist eine besondere Herausforderung für einen Autor. Gelingt es nicht, das Unscheinbare poetisch schmackhaft zu machen oder gar anzuklagen, kommt doch nur ein unscheinbarer, langweiliger Text heraus. Der auf dem Umschlag mutig „Roman“ genannte 220-Seiten-Band „Nicht im Traum“ von Robert Kleindienst wäre deshalb besser eine Erzählung oder eine Novelle geblieben.

In der konventionellen Handlung rekapituliert ein Bibliothekar sein Zusammenleben mit und schlussendlich die ihrem Willen entsprechende Tötung seiner krebskranken Frau. Dieser Plot wird durch langatmige Passagen über sein Arbeits- und gegenwärtiges Privatleben gestreckt. So ist zu erklären, warum die Kapitel des Bandes so unverbunden wirken und sich der Leser immer wieder über belang- und zusammenhanglose Episoden aus dem reichlich durchschnittlichen Leben des Protagonisten Selander wundern muss. Passend dazu findet sich auch eine zerstückelte Motivik, so kommt etwa das Leitmotiv der Eiswüste anfangs häufig vor, um dann ohne Begründung zeitweise ganz zu verschwinden und ebenso zusammenhanglos im letzten Drittel wieder aufzutauchen. Systolische und Diastolische Momente, die ein Changieren zwischen der Großstadt und der fantasierten Eislandschaft der Träume Selanders ermöglicht hätte, finden sich nicht. Die duale und konträre Motivik wird nicht narrativ genutzt, wodurch sich die Wirkung des vielversprechenden Ansatzes ins Gegenteil kehrt. Andere Motive wie die Bücher, die im Leben des Bibliothekars eine bedeutende Rolle spielen, verschwinden im Laufe der Erzählung komplett. Es wirkt so, als habe sie der Autor nur eingeführt, um bei Bedarf die dürftige Handlung auf Kapitellänge verlängern zu können.

Selander scheint etwa – es gibt dafür letztlich keinen Beweis, denn diese Episoden spielen im schwachen Mittelteil der Erzählung, deren angedeutete Zwischenhandlung schnell wieder abbricht – zum Schlafwandeln zu neigen. Diese Angewohnheit bringt ihm etwa für eine Nacht in einer Gewahrsamszelle, da er schlafwandelnd von einem Streifenwagen aufgefunden wird. Nun ist das, was schon das spannendste Ergebnis jener Schlafstörung ist, völlig ohne Belang für die Erzählung, was den Autor aber nicht davon abhält, sie immer wieder als Füllmaterial der Kapitel zu verwenden. Schlimmer noch, gerade jene Kapitel des Mittelteils sind schlecht und langweilig erzählt, so dass man sich als Leser durchgängig fragt, welchen Effekt sich Kleindienst von ihnen erhofft hat. Die schlechte Erzählweise ist ein Problem, das sich beinahe durch das gesamte Buch zieht, da werden Beschreibungen unfreiwillig komisch, wenn jemand nur „einen Harnstrahl entfernt“ steht oder plötzlich „das erlösende Rauschen der Spülung“ zu hören ist, auch die Dialoge verkommen regelmäßig zum hölzernen Austausch schriftsprachlicher Sätze.

Dazu kommen dann auch noch unglaubwürdige, klischierte Charaktere, über deren Gesinnung nicht der geringste Zweifel aufkommen darf. Da gibt es einmal solche, die zum Familien- und Freundeskreis des zartfühlenden, antriebslosen Bibliothekars zählen, der sein Wochenende gerne entrückt von der Welt an malerischen Bergseen verbringt, nämlich seine Schwester und die stets hilfsbereite Freundin. Dem gegenüber sind die Vertreter der lauten, oberflächlichen Welt, nämlich die stets hartherzige Chefin und der stets unangenehme Kollege, der „von einer durchzechten Samstagnacht und einer abgeschleppten Frau“ erzählt, woraufhin sich Selander übergeben muss. Dazu noch eine geschwätzige Nachbarin und eine energisch-senile Mutter, und das Sammelsurium der Flachen und unoriginellen Figuren ist komplett. Jedenfalls bis gegen Ende noch ein mysteriöser Verfolger auftritt, dessen Mysteriösität und Verbindung zu Selanders Vergangenheit nicht nur durch die Nachbarin mehrfach betont werden muss, nein, der junge Mann hat auch noch einen muffigen Geruch in seinen alten, abgenutzten Kleidern.

Diese schlechte Figurenzeichnung verhindert konsequent jegliche Atmosphäre oder gar Spannung in der Erzählung. Was der Klappentext immerhin ein „dunkles Geheimnis“ nennt, nämlich dass Selander seine komatöse Frau durch eine Manipulation des Morphiumperfusors wie vereinbart getötet hat, ist schon vor der Hälfte des Buches eindeutig. Die viel interessantere Frage ist jedoch, welchen komplexen Gefühlen sich Selander nach einer solchen Tat zu stellen hat und wie und ob sich sein Familienleben sowie sein Verhältnis zu der Toten im Laufe der Jahre verändert. Leider wird diese Thematik in „Nicht im Traum“ vollständig ignoriert.

Die lesenswerten Stellen des Buches finden sich da, wo Traum und Wirklichkeit nicht nach Kapiteln getrennt ablaufen, sondern sich Selanders Realität dissoziiert, die Stadt von der Kulisse zur Handlungsmacht wird und die Motivik ausnahmsweise stringent ist. Leider sind diese Stellen viel zu wenige und könnten auch keinesfalls die vielen Mängel des Buches kompensieren.

Titelbild

Robert Kleindienst: Nicht im Traum. Roman.
Edition Laurin, Innsbruck 2013.
220 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783902866080

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