Mythologie und Markt

Nicholas Vaszonyi erforscht die Selbstinszenierung Richard Wagners

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer Künstler ist, braucht einen Mäzen, eine feste Anstellung oder muss sich vermarkten. Das gilt auch für Richard Wagner, der seine Musikdramen in einer Zeit schuf, die für Komponisten prekär war. Sie waren einerseits nicht mehr die Kunsthandwerker, die an einem Hof oder einer Kirche angestellt waren. Andererseits gab es noch kaum Ansätze eines Urheberrechts, das ihnen einigermaßen kontinuierliche Einnahmen hätte sichern können.

So kann man es Wagner kaum verdenken, wenn er energisch die eigenen Werke und mehr noch die eigene Person propagierte. Allerdings bietet er besondere Angriffsflächen. Er lobte das einfache Volk, prangerte einen dekadenten modernen Luxus an, aber hatte selbst solche Luxusbedürfnisse, dass er sich mehrfach hoch verschuldete. Mag dies eine private Schwäche sein, so zeigt sich der Widerspruch auch auf der Ebene ästhetischer Frontstellungen. Wagner griff die Oper seiner Zeit dafür an, dass sie zur volksfremden Ware heruntergekommen sei, verkaufte jedoch das eigene Konzept als volksnahe, ursprüngliche Kunst, die mit dem modernen Markt nichts zu schaffen habe. Sein Antisemitismus, insbesondere seine Angriffe auf den seinerzeit marktbeherrschenden Opernkomponisten Giacomo Meyerbeer, gehören in diesen Zusammenhang. Doch bediente sich Wagner der modernen Medien, um in einer Ökonomie der Aufmerksamkeit die eigene Position zu festigen.

Es ist dieser Widerspruch, der Nicholas Vaszonyi interessiert, wenn er der Entstehung der „Marke“ Richard Wagner nachforscht. Vaszonyis Ansatz zielt nicht auf Vollständigkeit. Vielmehr zeichnet er anhand wichtiger biografischer Stationen typische Muster von Wagners Selbstinszenierung nach.

Am Beginn steht Wagners Pariser Aufenthalt von 1840-42, der – trotz Meyerbeers Unterstützung – nicht die ersehnte Opernaufführung brachte und für den Komponisten Wagner also einen Misserfolg darstellte. Dem Publizisten Wagner dagegen gelang es, das Scheitern in einen Sieg umzumünzen, indem er sich als nicht korrumpierbar hinstellte. Seine Marktnische war die eines Gegners der Selbstvermarktung. Kaum verhüllt, ließ er in Erzählungen ein alter ego das Erbe Beethovens antreten und bereitete so das spätere Selbstbild als Vollender und Überwinder der absoluten Musik vor, deren Gipfel Beethoven repräsentiert: Überwinder, indem Wagner die symphonische Technik auf das Musikdrama übertrug und so den Weg von der absoluten Musik zum Wort vollendete, den er in Beethovens Neunter Symphonie betreten wähnte.

Doch betrifft dies fast schon Vaszonyis folgendes Kapitel, das zwei Selbstinszenierungen Wagners aus dessen Dresdener Zeit 1842-49 zum Thema hat. Wagner nutzte das Ansehen von Toten, um den eigenen Ruhm zu mehren. Bei der Überführung des Leichnams von Carl Maria von Weber 1844 war er nur einer von mehreren Akteuren, schaffte es jedoch, sich als Initiator ins Gedächtnis einzuprägen. Eine Aufführung von Beethovens Neunter, die damals durchaus noch kein Repertoirestück war, machte Wagner nicht nur durch exzessive Probenarbeit, sondern vor allem durch kalkulierte Werbestrategien in der Massenpresse zu einem Erfolg. Am Ende stand weniger Beethoven als Genie da als vielmehr Wagner.

Auch als Flüchtling nach der gescheiterten Revolution 1848/49 verzichtete Wagner keineswegs aufs Marketing. Durch gezielte Pressearbeit (besonders nach der Weimarer Uraufführung des „Lohengrin“ 1850), aber auch durch kunsttheoretische Schriften gelang es ihm, im Bewusstsein des Publikums präsent zu bleiben – keine geringe Leistung, wenn man seinen Status als Schweizer Exilant bedenkt, die Neuheit seines musikdramatischen Konzepts und die Tatsache, dass nach dem „Lohengrin“ bis zur Uraufführung von „Tristan und Isolde“ 1865 kein neues Werk von Wagner auf die Bühne kam. Dies bedeutete auch, dass seine Konzeption des Musikdramas für das Publikum lange Zeit nicht durch konkrete Werke veranschaulicht wurde und dennoch seine Wirkung entfaltete. Dies ungebrochen zu loben fällt freilich schwer. Vaszonyi begründet überzeugend, dass Wagners berüchtigtes Pamphlet über „Das Judentum in der Musik“ (1850) keineswegs, wie Wagnerianer heute wissen wollen, einen zu vernachlässigenden Sonderfall darstellt. Vielmehr hielt Wagner den eigenen Platz auf dem umkämpften Opernmarkt nur dann für gesichert, wenn er es schaffte, Konkurrenten wie Meyerbeer zu vernichten. Die anspruchsvolle Programmschrift „Oper und Drama“ von 1851, die das neue Musikdrama scheinbar übernational auf ein idealisiertes Griechentum zurückführt, ist die gehobene Entsprechung zum antisemitischen Machwerk, das Aufführungstermine freiräumen soll.

Vaszonyi zeigt überzeugend, wie Wagner in „Die Meistersinger von Nürnberg“ musikästhetische Konzepte thematisiert und so die eigene Kunstanschauung propagiert. Dagegen wirkt der Versuch, Isolde in der Schlusspassage von „Tristan und Isolde“ als ideale Wagner-Hörerin, die ein vorbildliches Rezeptionsmodell transportieren soll, etwas gezwungen. Wichtig ist indessen der Nachweis, dass das Opernwerk keineswegs so ganz von tagesaktuellen Kontroversen und Zwecken frei ist wie es Wagner suggerierte und manche Wagnerianer heute noch meinen.

Ziel- und Höhepunkt von Wagners Selbstinszenierung ist Bayreuth: ein Ort etwa in der Mitte des damaligen deutschen Territoriums, frei von einer allzu markanten Vergangenheit und damit optimal geeignet, ganz und gar zur Wagner-Stadt zu werden. Zwar hatte sich die Idee des politischen Revolutionärs, ein Gesamtkunstwerk mit dem und für das Volk zu schaffen, gründlich gewandelt: Nun zahlte der bayrische König Ludwig II. für ein Ereignis, zu dem nur eine zahlungskräftige Oberschicht anreisen konnte. Vaszonyi zeichnet den Widerspruch des Festivals nach, das durch fürstliches Mäzenatentum eine damals schon veraltete Grundlage hatte, in der Inszenierung als Event dagegen weit in die Zukunft vorauswies.

Nebenprodukt der Vorbereitungen war ab 1871 die Gründung zahlreicher Wagner-Vereine, die die Finanzierung der Bayreuther Festspiele sicherstellen sollten. Ein solches Vereinswesen, das einem lebenden Künstler galt, war damals ungewöhnlich und rief auch durchaus Spott hervor. Wagner selbst verhielt sich gegenüber den Initiativen zunächst vorsichtig, hielt zwecks Rufwahrung in der Öffentlichkeit Distanz und forcierte doch die bürgergesellschaftliche Unterstützung seiner Pläne. Mehr noch: Es gelang ihm, die Aktivitäten der Vereine zu koordinieren und die Organisationen über die ersten Festspiele hinaus zu erhalten. Seitdem stützt ein internationales Netzwerk, das jede Verbandstätigkeit zugunsten anderer Komponisten weit übertrifft, die Tradierung seiner Werke.

In einer solchen strategischen Weitsicht erweist sich Wagner, der alte Mythen zu Stoffen seiner Opern wählte und theoretisch die Rückkehr zum ursprünglichen Gefühl forderte, als moderner und vom Kalkül geleiteter Marktstratege. Sein Erfolg beruht nicht zuletzt auf dem Geschick, mit dem er „Wagner“ als Marke auf dem Feld der Musik etablierte. Vaszonyi trägt eine Fülle nützlicher Informationen zusammen und ist doch sehr vorsichtig, was ihre Bewertung betrifft. So könnte man fragen, ob nicht gerade das Ineinander von ideologischer Archaik und pragmatischer Modernität dem deutschen Faschismus entspricht, deren führende Vertreter in der Mehrzahl Wagner hochschätzten. Jedenfalls geht wohl das, was als unmittelbares Gefühl gilt, heute ohne mediale Vermittlung kaum mehr gewinnbringend zu nutzen.

Titelbild

Nicholas Vazsonyi: Richard Wagner. Die Entstehung einer Marke.
Übersetzt aus dem Englischen von Michael Halfbrodt.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2012.
239 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-13: 9783826047473

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