Poetry Slam und Internet

Über die Selbstinszenierung der Szene

Von Johanna KanzlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johanna Kanzler

In seinen Anfängen der Subkultur zugehörig, hat sich das Veranstaltungsformat Poetry Slam innerhalb von nur knapp zwei Jahrzehnten als fester Bestandteil des deutschen Kulturbetriebes etabliert: von Berlin über Dresden, Frankfurt und München bis nach Eschwege, Neukirchen und Marburg. Neben der riesigen Auswahl an Veranstaltungsorten haben sich mittlerweile auch einige Variationen des Slams herausgebildet. Neben Deaf Slams (finden in Gebärdensprache statt) gibt es Science Slams (thematisch auf wissenschaftliche Gebiete eingeschränkt) oder auch Mundart Slams (die Teilnehmer slammen im Dialekt ihres Heimatbundeslandes). Entsprechend dieser Veranstaltungsvielfalt variieren auch die Persönlichkeiten, die bei einem Poetry Slam auf der Bühne stehen: Sie sind Dichter, Geschichtenerzähler, Soundpoeten, Lebenskünstler oder Performer. Beim Poetry Slam geht es also neben dem Vortragen selbstgeschriebener Texte vor allem um die Selbstinszenierung des vortragenden Slammers. Auf der Bühne erschafft er ein Bild von sich als Person, welches für das Publikum ungemein wichtig ist, da es beim Poetry Slam von der Fülle an Auftritten und Informationen auch überfordert werden kann.

Vervollständigt wird das Bild des Bühnenauftritts durch die Präsentation im Internet. Die Inszenierung von Autorschaft realisiert sich dort generell in Form von Autorenwebsites, Verlagswebsites, aber auch kommerziellen Seiten wie beispielsweise Amazon, in Form von persönlichen Blogs oder in Schreib- beziehungsweise Literaturprojekten. Da das Internet aktuellen Umfragen zufolge hauptsächlich von Personen der Altersgruppe zwischen 14 und 29 Jahren genutzt wird und die meisten Poetry Slammer ebenfalls dieser Altersklasse angehören, verwundert es wenig, dass fast jeder Slammer auch eine eigene Website besitzt. Zudem ist das Internet durch die Aktualität der vermittelten Informationen wichtiger Ideenlieferant für die von aktuellen Geschehnissen beeinflusste Slam Poetry. Profitiert hat die Poetry-Slam-Szene in den letzten Jahren auch von der rasanten technischen Entwicklung im multimedialen Bereich. Zunächst gab es die Möglichkeit, durch Digitalkameras mit Videofunktion oder Handys mit integrierter Kamera einen Slam-Auftritt zu filmen und ihn später auf der eigenen Homepage online zu stellen. Inzwischen ist dies dank internetfähigem Smartphone viel zeitnaher möglich: Kaum gefilmt, kann das Video sofort bei Facebook, Youtube und Co. gepostet und innerhalb weniger Stunden von einer viel größeren Zahl von Menschen gesehen werden, als es beim Live-Slam möglich ist. Besonders die Videoplattform Youtube, seit Februar 2005 online, hat dem Poetry Slam so in den letzten Jahren zu seinem großen Bekanntheitsgrad verholfen.

Die bewusste Selbstdarstellung im Netz geht in den meisten Fällen mit der Konstruktion einer virtuellen Identität einher. Diese erlaubt eine Aufspaltung in öffentliche und private Person und gewährleistet, gerade im Internet, immer auch ein Stück Anonymität. Die öffentliche Inszenierung der eigenen Person ist jedoch kein singuläres Phänomen der modernen Medien wie dem Internet, sondern wird praktiziert, seitdem Personen aus der Privatheit in die Öffentlichkeit treten. Mit dem Aufkommen der modernen Massenmedien kam dann der Aspekt einer zusätzlichen medialen Inszenierung hinzu, immer im Hinblick auf eine möglichst wirksame Vermarktung des literarischen Werks. Bei allen veröffentlichten Informationen zu einer bekannten Person muss allerdings auch immer die Frage nach der Glaubwürdigkeit dieser Aussagen gestellt werden, wobei natürlich bewusst gefälschte Informationen auch Teil des Inszenierungskonzepts sein können.

Die Internetauftritte von professionellen Slammern sind meist Websites, deren Aufbau eine Mischung aus Blog und Autorenwebsite ist. Die Website von Slammer Andy Strauß beispielsweise heißt establishmensch.de und trägt den Titelzusatz „Neues und Absurdes über Politik, Literatur, Denkmäler und die Welt“. In diesem Fall beginnt die Selbstdarstellung also bereits bei der Benennung der Homepage, der Zusatztitel wiederum lässt sofort Rückschlüsse auf die Themen von Strauß’ Texten zu. Ein Establishmensch ist laut Strauß jemand, der innerhalb des Establishments freiwillig mitspielt und nichts hinterfragt. Der Internetnutzer wird also durch den Namen der Homepage schlussfolgern, Andy Strauß sei selbst ein Establishmensch. Mit seinen langen Haaren und dem wilden Bartwuchs entspricht er allerdings weniger dem Bild eines gesellschaftlich angepassten Menschen als einem revolutionären Freigeist.

Strauß macht dem aufmerksamen Leser also von vornherein klar, dass die Informationen, die auf seiner Website zu finden sind, nicht unreflektiert aufgenommen werden sollten. Inhaltlich beschäftigen sich die Beiträge hauptsächlich mit alltäglichen Erfahrungen oder skurrilen Entdeckungen, wie beispielsweise der Beitrag vom 17. Februar 2013. Dort berichtet Strauß von einem Automaten in einem Club, an dem es neben Schokoriegeln und Kaugummis auch Zigarettenfilter und -paper oder Kindercreme zu kaufen gab. Des weiteren berichtet er natürlich auch von seinen Slam-Auftritten, postet in diesem Zusammenhang auch Beiträge von anderen Autoren oder eigene Gedichte.

Die Präsentation seiner Texte und Videos wird mittels der Kategorie „Über“ durch eine explizite Selbstdarstellung gerahmt. Dort findet sich ein Text, in dem Andy Strauß in der dritten Person von sich selbst berichtet. Auffällig ist besonders die fettgedruckte Hervorhebung folgender Wörter bzw. Wortgruppen: Andy Strauß, das Schreiben, Lady McBeth, Abitur, Günter Grass, Abiturzeugnis, zu viel Kritik, Soziologiestudiums, Poetry-Slam-Bühnen, Straßenkunst, soziale Kämpfe, voller Härte, Ostfriese und Leer. Seinen Namen vorangestellt, bilden diese Schlagworte den Grundstein für das Bild, welches sich der Leser vom Autor Strauß macht. Durch sie präsentiert sich Andy Strauß als literaturbegeisterten jungen Menschen, Schriftsteller und Künstler, der seine Meinung stets offen kundtut und mit einer Prise Witz und Ironie versieht. Diese Selbstdarstellung basiert jedoch nicht nur auf den eigenen Aussagen des Autors, sondern auch auf den Kommentaren Außenstehender. Unter dem von Andy Strauß selbstverfassten Text sind circa siebzig Youtube-Videos verlinkt, in denen sich befreundete Slammer wie Lars Ruppel oder Frank Klötgen, der Slam-Moderator des WDR, Jörg Thadeusz oder auch der deutsche Komiker Karl Dall zum Thema Andy Strauß äußern.

Die zwanzigjährige Josefine Berkholz präsentiert sich auf ihrer Website josefineberkholz.site88.net im Gegensatz zu Andy Strauß weniger laut und exaltiert, aber nicht minder professionell. Ihre Seite ist komplett in schwarz-weiß gestaltet, ein Ganzkörperfoto im Hintergrund wird zum größten Teil vom Textfeld verdeckt, so dass kein Gesicht erkennbar ist. Links daneben gibt es zwar ein Foto von Berkholz, doch darauf ist sie nur im Profil abgebildet, noch dazu ist es leicht unscharf. Die junge Autorin mystifiziert ihr Erscheinungsbild und somit sich als Person und lenkt dadurch den Fokus der Präsentation auf ihre Texte und anderen künstlerischen Aktivitäten. Thematisch beschäftigt sie sich hauptsächlich mit der Gefühlswelt heranwachsender junger Menschen und schöpft dabei natürlich aus ihren eigenen Erfahrungen.

Strauß und Berkholz repräsentieren nur zwei von unendlich vielen Möglichkeiten, sich als Slam Poet in Szene zu setzen. Andy Strauß gehört zu den Slammern, er ist eine richtige „Rampensau“, die ohne Rücksicht auf Verluste für eine unterhaltende Performance alles gibt. Sein Vortragsstil zeichnet sich durch extrem schnelles Sprechen aus, manchmal verhaspelt er sich deshalb. Dieser unsaubere Sprachstil ist aber keineswegs störend, sondern passt sehr gut zum lässigen und leicht verrückten Erscheinungsbild des Autors Andy Strauß und kann gar als Markenzeichen gesehen werden. Genauso gibt es aber auch die ruhigen, gefühlvollen Slammer wie Josefine Berkholz, die sich auf die Vermittlung ihrer Textaussage konzentrieren und dabei, dank virtuosen Umgangs mit dem gesprochenen Wort, das Publikum ebenso unterhalten und zum Klatschen bringen. Ihre Auftritte beeindrucken vielmehr durch die Flut an Wörtern und Wortspielen, die sie ohne vom Blatt abzulesen bewältigt und dem Zuschauer regelrecht entgegenschleudert.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Inszenierung von Slammern in erster Linie über den Live Auftritt bei Poetry Slams stattfindet. Die Inszenierung im Internet ist die Fortsetzung dieser Bühnenperformance, der Bühnenraum wird durch den virtuellen Raum erweitert. Inszenierungskonzepte dienen immer der Interaktion mit der sozialen Umwelt, deshalb ist die Inszenierung im Netz, besonders im Zeitalter der sozialen Netzwerke, nicht mehr wegzudenken. Mediales Selbstdesign ist nicht mehr nur Möglichkeit zur Selbstdarstellung, sondern ist im Zuge der virtuellen Inszenierung zur Notwendigkeit geworden. Nur wer hervorsticht, auf der Bühne wie im Internet, hat beim Poetry Slam die Chance, über die Auftritte in kleinen Clubs hinaus bekannt zu werden.